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Profillos in Halle, verzettelt in Magdeburg - Wissenschaftsrat bleibt kritisch Hochschulen: Experten fordern den Umbau

Von Hagen Eichler und Jens Schmidt 13.07.2013, 01:19

Braunschweig/Magdeburg l Den letzten Schliff bekommt der Text in der Aula. Unter einer Orgel sind lange Tischreihen aufgebaut, an denen sich die Wissenschaftler und Politiker im Braunschweiger Haus der Wissenschaft zum Abschlussplenum versammeln. Mehrere Dutzend Änderungsanträge sind abzustimmen. Dann ist der Bericht des Wissenschaftsrates fertig, der Sachsen-Anhalts Hochschulen den Weg in die Zukunft weisen soll. Und es steht fest: An der bereits vorab bekanntgewordenen Kritik gibt es keine Abstriche - im Gegenteil.

Wenig später nimmt Wissenschaftsminister Hartmut Möllring (CDU) zwei Etagen höher vor der Presse Platz. Seine zentrale Botschaft an diesem Nachmittag: Noch ist nichts entschieden. Die Empfehlungen seien ein "wichtiger Baustein" zur Weiterentwicklung der Hochschullandschaft. "Aber natürlich kann man das nie eins zu eins umsetzen." Nach den leidenschaftlichen Auseinandersetzungen bei Demonstrationen und im Landtag versucht Möllring, Druck herauszunehmen, Zeit zu gewinnen. Bis zum Jahresende, kündigt er an, will er ein Strukturkonzept vorlegen. Details, in welche Richtung es gehen wird, will er nicht nennen - dazu sei es jetzt zu früh.

"Das ist kein Todesurteil auf Raten, sondern eine Chance." - Wolfgang Marquardt, Vorsitzender des Wissenschaftsrates

Die Vorschläge des Wissenschaftsrates jedenfalls liegen jetzt auch offiziell auf dem Tisch. Maßgeblich verfasst hat sie der Münchner Bildungsforscher Manfred Prenzel - zwei Jahre lang hat der Professor gemeinsam mit vielen Experten Sachsen-Anhalts Hochschulen durchleuchtet. Dabei hat er auch Stärken identifiziert. So seien die Fachhochschulen "relativ forschungsstark" und gut vernetzt. Doch schnell kommt Prenzel zu den Schwächen: In Sachsen-Anhalt studieren sehr viele länger als vorgesehen. "Das ist ein Indiz dafür, dass das Ausbildungskonzept nicht klar strukturiert ist." Und es gibt ein sehr fein verästeltes Studienangebot mit vielen Fächerkombinationen, die von jeweils sehr wenigen Menschen belegt werden. Dadurch leide die Qualität, warnt Prenzel.

Unbeirrt gibt sich der Wissenschaftsrat bei seiner Einschätzung der halleschen Medizinausbildung. Wolfgang Marquardt, Vorsitzender des Wissenschaftsrates, erinnert an die Begutachtung von 2009. Bereits damals habe man die Lage der Medizin in Halle "sehr kritisch" eingeschätzt, und kritisch sei sie nach wie vor. Um die Schließung zu vermeiden, gebe es nur eine Chance: einen Neustart. Dazu müsste die Universitätsklinik den bestehenden Forschungsschwerpunkt Epidemologie und Pflegewissenschaft ausbauen. "In diesem Bereich ist Halle auf dem Weg zu einem Alleinstellungsmerkmal", sagt Marquardt.

Die zweijährige theoretische Grundausbildung ("vorklinische Ausbildung") sei dafür nicht nötig. Sie sollte daher verlegt werden - die geänderte Textfassung nennt Magdeburg, aber auch Jena und Leipzig als mögliche Standorte. Die Universitätsmedizin möge das "nicht als Todesurteil auf Raten, sondern als Chance ansehen", appelliert der Chef des Wissenschaftsrates. Möllring greift diese Vorlage bewusst nicht auf. Der Volksstimme gegenüber tritt er später deutlich auf die Bremse (siehe Interview) - immerhin hat sich der Landtag gerade für eine vollständige Medizinausbildung in Halle ausgesprochen.

Dem Wissenschaftsrat ist es jedenfalls ernst mit seinen Vorschlägen - das zeigt eine Liste der Textveränderungen in letzter Minute, die der Volksstimme vorliegt. Die Zusammenfassung endet nunmehr mit einer Aufforderung an das Land: Dieses möge doch bitte nach einem Jahr den Wissenschaftsrat "über den Stand der Umsetzung unterrichten". Der Wissenschaftsminister hat Hausaufgaben aufbekommen.

"Es entstünde eine Rumpf-Fakultät ohne Entwicklungschancen." - Jens Müller, Sprecher Uni-Klinikum Halle

Und noch eines bekommt Möllring mit auf den Weg: Die Hochschulen umbauen und gleichzeitig den Etat kürzen - das geht nicht. "Zum Umsteuern braucht man Zeit", betont Prenzel. Man könne nicht von heute auf morgen Studiengänge abschaffen, weil die jetzigen Studenten das Recht hätten, bis zum Abschluss weiterzustudieren. Möllring betont, die Landesregierung sei bereit, beim Umbauprozess zu helfen. Für 2014 sei eine Million Euro zusätzlich in einen Fonds eingestellt. "Das ist doch eine Hausnummer."

Am Nachmittag, aus dem Braunschweiger Haus der Wissenschaft sind längst alle Autoren des Gutachtens abgereist, melden sich die Hochschulen zu Wort. Die Medizinische Fakultät in Halle klagt über "nicht nachvollziehbare" Empfehlungen und sieht sich ungerecht behandelt. Sollte die Vorklinik nach Magdeburg verlegt werden, werde eine "Rumpf-Fakultät" ohne Entwicklungschancen entstehen, sagt Pressesprecher Jens Müller. Auch die künftige medizinische Versorgung in Sachsen-Anhalt sei gefährdet - ein Argument, dem der Wissenschaftsrat widerspricht.

Die Landesrektorenkonferenz (LRK) hingegen meidet jeden scharfen Ton. Sie ist offensichtlich bemüht, wieder als Gesprächspartner wahrgenommen zu werden. Von LRK-Präsident Armin Willingmann gibt es an diesem Freitagnachmittag nur Lob: dafür, dass der Wissenschaftsrat eine Reduzierung von Studienplätzen ebenso ablehnt wie finanzielle Kürzungen. Die Hochschulleitungen seien zu Strukturmaßnahmen "grundsätzlich bereit", verkündet Willingmann und setzt noch einen drauf: Gleiches gelte für die Mitwirkung am Haushaltskonsolidierungskurs des Landes. In der Hochschulpolitik bewegt sich etwas.