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Vor allem Eltern von Gymnasiasten zahlen, um ihren Kindern bessere Chancen zu verschaffen Jeder vierte Schüler setzt auf Nachhilfe

Nach den Halbjahreszeugnissen stellen sich Nachhilfe-Institute auf den
Ansturm der Eltern ein. Immer häufiger bekommen auch Schüler mit
passablen Noten bezahlte Lehrer-Unterstützung.

Von Hagen Eichler 30.01.2014, 02:29

Magdeburg l Wenn Sachsen-Anhalts Schüler morgen die Halbjahreszeugnisse nach Hause bringen, läuten bei vielen Eltern die Alarmglocken. Ist die Versetzung gefährdet, sehen etliche nur noch einen Ausweg: den Gang zum Nachhilfelehrer. 1,1 Milliarden Euro setzt die Branche deutschlandweit um. Doch immer häufiger zahlen Eltern auch dann für Extra-Stunden, wenn die Zeugnisse gar nicht katastrophal sind.

"Mancher hat gute Noten, will aber in Mathe noch besser werden, weil er ein gutes Abitur fürs Jura-Studium braucht", sagt Elke Reidemeister. Sie leitet in Magdeburg Sachsen-Anhalts größte Niederlassung des Branchenriesen Studienkreis. In dessen Unterrichtsräumen üben bereits Dritt- und Viertklässler, deren Eltern den Sprung aufs Gymnasium sicherstellen wollen.

Auch bei älteren Schülern ist es vor allem die Hoffnung auf ein gutes Abitur, die die Kundschaft in den bezahlten Nachmittagsunterricht treibt. Reidemeister und ihre Kollegin Karin Borchert betreuen doppelt so viele Gymnasiasten wie Sekundarschüler. "Vielen wird in der 9. oder 10. Klasse Klasse bewusst, was sie einmal schaffen wollen, und dann suchen sie Hilfe."

Das beobachtet auch die Schülerhilfe, der zweite große Anbieter. "Schüler werden heute früher angemeldet, nicht erst, wenn die Versetzung gefährdet ist", sagt Matthias Pohlmann, der in der Altmark drei Ableger des Instituts betreibt. In den regulären Schulen sieht man die Bildung auf Privatkosten teilweise kritisch. Mancher Lehrer lehnt es ab, ihr Auskünfte zum Unterrichtsstand zu erteilen, sagt Studienkreis-Leiterin Reidemeister.

Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD) will auf den offensichtlichen Förderbedarf mit mehr Ganztagsschulen reagieren. "Dann können sich Familien und alleinerziehende Mütter und Väter womöglich teure Nachhilfestunden sparen", sagte er der Volksstimme. Die Lehrergewerkschaft GEW fordert seit Jahren, die Schulen müssten so umgestaltet werden, dass kommerzielle Nachhilfe unnötig wird.

Der Markt ist gewaltig. 23 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 21 Jahren gaben für die renommierte Shell-Jugendstudie an, dass sie aktuell Nachhilfe bekommen. "In der gesamten Schullaufbahn nimmt wohl jeder dritte bis vierte Schüler einmal Nachhilfe", bestätigt der Berliner Bildungsforscher Dieter Dohmen.

In Ostdeutschland ist die Nachfrage geringer, vor allem wegen der niedrigeren Einkommen. Auch war kommerzielle Nachhilfe in der DDR unbekannt. "Wenn es da mal eine Fünf gedonnert hat, war das eher ein Problem des Lehrers, das er selbst lösen musste", sagt Studienkreis-Büroleiterin Karin Borchert. Seite 4