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Spitzel im Gesundheitswesen Während des Röntgens nahm die Stasi Schlüsselabdrücke

Ulrich Mielke enttarnt in seinem neuem Forschungsheft 53 Stasi-Spitzel im Gesundheits- und Sozialwesen der Altkreise Schönebeck und Staßfurt.

Von Wolfgang Schulz 16.09.2014, 01:17

Magdeburg l Als "ganz normal" ließ Anfang September 1987 ein Patient eine Untersuchung im Urologischen Fachbereich des Kreiskrankenhauses/Kreispoliklinik Schönebeck und das anschließende Röntgen über sich ergehen. Er konnte nicht ahnen, dass die angebliche Nachkontrolle, zu der er vom Chef der Urologie bestellt worden war, überflüssig war wie ein Kropf und einzig der Stasi dazu diente, seine Sachen zu durchwühlen und Abdrücke seiner Wohnungsschlüssel zu nehmen. Der DDR-Geheimdienst brauchte die Schlüssel, um unauffällig in der Wohnung des Patienten Abhörwanzen zu installieren.

Die konspirative Schlüsselbeschaffung zum Operativen Vorgang (OV) "Verräter" war einer der ersten Aufträge, die der IM (Inoffizieller Mitarbeiter) "Peter Müller" zur vollsten Zufriedenheit seines Führungsoffiziers vom Ministerium für Staatssicherheit erfüllte. Als stellvertretender Kreisarzt im Rat des Kreises Schönebeck war der damals 34-jährige Mediziner eine wertvolle Quelle für die Stasi, beschaffte er ihr doch Informationen aller Art über Patienten und Kollegen. Das nutzte die Stasi weidlich aus.

Oberschwester erhielt 150 Mark pro Monat für Dienste

In seinem 20. Forschungsheft enttarnt Ulrich Mielke 53 Stasi-Spitzel aus dem Gesundheits- und Sozialwesen der ehemaligen Kreise Schönebeck und Staßfurt. IM "Peter Müller" ist für ihn eines der traurigsten Beispiele, wie Ärzte ihre Patienten gewissenlos verraten und ihre Schweigepflicht skrupellos gebrochen haben. "Der Urologe ist für mich sogar kriminell, denn durch das unnötige Röntgen hat er eine vorsätzliche Körperverletzung begangen", so Mielke, der seit 20 Jahren in Zusammenarbeit mit dem Bürgerkomitee die Verstrickungen von medizinischen Mitarbeitern auf der Grundlage von Stasi-Akten aufarbeitet.

Der Arzt sei sogar bereit gewesen, den Patienten noch einmal zu bestellen und röntgen zu lassen, wenn "die Maßnahme nicht den erwarteten Erfolg" gebracht hätte. Das gehe aus einem Aktenvermerk der Stasi vom 2. Oktober 1987 hervor. Darüber hinaus habe IM "Peter Müller" auf Bestellung eigene ärztliche Gutachten über bestimmte Patienten für den Geheimdienst angefertigt und sogar ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben, das dann bei der Stasi in der "Handakte" zum OV "Abenteuer" landete. Auch in den Kreisen Schönebeck und Staßfurt hat das MfS IMs in allen Bereichen des Gesundheits- und Sozialwesens angeworben. Neben Ärzten und Krankenschwestern gehörten dazu Verwaltungsmitarbeiter, Zahntechniker, eine Gemeindeschwester, ein SVK-Kreisdirektor, ein Chemiker sowie Ehepaare, die ihre Wohnungen für konspirative Treffs zur Verfügung stellten.

Eine Oberschwester aus Schönebeck war von 1975 bis 1989 als IM "Anita Krüger" für die Stasi tätig und wirkte dabei fünf Jahre lang als Führungs-IM. Ihr waren bis zu fünf Spitzel zugeordnet, die sie anleitete. Als halbhauptamtliche MfS-Mitarbeiterin stand sie im Range eines Gefreiten für den Medizinischen Dienst und erhielt 150 Mark monatlich plus Treuegeld bei guter Leistung. Im Kreis Staßfurt lag ein Schwerpunkt der Stasi-Tätigkeit auf der "Verhinderung des ungesetzlichen Verlassens der DDR im Gesundheitswesen".

Hautarzt verriet kranke Patienten an die Stasi

Innerhalb kurzer Zeit waren mehrere Ärzte auf nie geklärte Art und Weise in den Westen abgehauen, was die Stasi in helle Aufregung versetzte. Zahlreiche Spitzel erhielten gezielte Aufträge, um herauszufinden, ob und wie die Ärzte ausgeschleust worden waren, wer noch in Betracht für eine Flucht käme und wie das verhindert werden könnte.

Dazu mussten die IM unter anderem briefliche Kontakte mit den ehemaligen Kollegen im Westen aufnehmen, was aber nicht zu den erhofften Erfolgen führte. Besonders widerwärtig trieb es IM "Karl". Der langjährige Kreisdermatologe spitzelte 31 Jahre lang für die Stasi und verriet in großem Stil Patienten mit Geschlechtskrankheiten, die dann nicht selten von der Stasi erpresst worden sind. "Mit seiner Hilfe wurde eine Übersicht über Personenkreise erarbeitet, die, moralisch gesehen, Fehltritte unternahmen", heißt es in der Einschätzung der Leistung des IM "Karl" vom 19. Februar 1971 durch einen Stasi-Leutnant.

Ulrich Mielke stellt den Band 20 über die Stasi-Spitzel in den Kreisen Schönebeck und Staßfurt am Donnerstag, dem 18. September, um 18 Uhr im Dokumentationszentrum im ehemaligen Stasi-Knast am Magdeburger Moritzplatz vor.