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Mitglieder beobachten mehr Antisemitismus Jüdische Gemeinden schrumpfen

In den Jahren nach 1994 kamen noch zahlreiche Juden aus der ehemaligen
Sowjetunion nach Sachsen-Anhalt. Inzwischen ist der Zustrom weitgehend
versiegt - und die jüdischen Gemeinden sorgen sich um ihre Zukunft.

Von Jörg Aberger 24.11.2014, 01:30

Halle (dpa) l Die jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt sind überaltert und werden immer kleiner. "Das Durchschnittsalter liegt inzwischen bei 66 Jahren", sagte der Vorsitzende des Landesverbandes jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt, Max Privorozki, der Nachrichtenagentur dpa. Während Anfang des Jahrhunderts jede der drei dem Landesverband angehörigen Gemeinden rund 100 Neuzugänge im Jahr verzeichnet habe, kämen heute nur noch insgesamt etwa zehn Juden nach Sachsen-Anhalt. "Wenn es so weitergeht, bin ich sehr pessimistisch, was die Zukunft der Gemeinden angeht."

Noch haben die im Landesverband organisierten Gemeinden nach dessen Angaben rund 1450 Mitglieder. Die größte ist die Jüdische Gemeinde zu Halle mit etwa 600 Gläubigen, gefolgt von der Synagogengemeinde zu Magdeburg mit rund 500 und der Jüdischen Gemeinde zu Dessau mit 350. Außerdem gibt es noch die 100-köpfige Jüdische Gemeinde Magdeburg, die der Union progressiver Juden angehört, sowie die Synagogengemeinde Halle, die keinem der Verbände angeschlossen ist. Bei ihr gibt es nach Angaben des Landesverbandsvorsitzenden keine belastbaren Angaben zur Mitgliederzahl.

"Die Jüdische Gemeinde zu Halle, um ein Beispiel zu nennen, hatte 2005 noch etwa 700 Mitglieder", berichtete Privorozki. Doch während die Gemeinde zwischen 10 und 15 Bestattungen im Jahr registriere, würden lediglich zwei Geburten in der Gemeinde gezählt. "Und die jungen Leute verlassen die Stadt häufig, um woanders zu arbeiten."

Die Umbrüche in den Gemeinden führten auch zu einer neuen Ausrichtung der Arbeit, erklärte der Verbandsvorsitzende. "Früher stand die schnelle Integration der Neuankömmlinge im Mittelpunkt." Heute gehe es etwa darum, altersgerechte soziale Einrichtungen in Sachsen-Anhalt zu schaffen. "Es gibt hier zum Beispiel kein Altenheim und auch kein Pflegeheim für jüdische Mitbürger." So gingen die alten Menschen zum Beispiel nach Berlin, wenn sie auf Unterbringung und Pflege angewiesen seien.

Trotz der Überalterung der Gemeinden setzt sich der Landesverband für jüdischen Religionsunterricht an den Schulen Sachsen-Anhalts ein. Dazu gebe es bereits Gespräche mit der Landesregierung. Problematisch sei jedoch, dass die notwendige Zahl von Schülern zur Einrichtung einer entsprechenden Klasse nur in Halle erreicht werden könne. Dennoch wolle man an dem Plan festhalten.

Ein wachsendes Problem ist zudem laut Privorozki der Antisemitismus in Sachsen-Anhalt. "Wir müssen deshalb auch unser Sicherheitskonzept überarbeiten." Hätten bislang zum Beispiel in Halle 2000 Euro im Jahr für Sicherheitstechnik zur Verfügung gestanden, würden dafür jetzt 12000 Euro angesetzt. An Gottesdienst-Tagen kämen in der Synagoge Sicherheitskräfte zum Einsatz, die Übergriffe verhindern sollen. Das belastet die Kassen der jüdischen Gemeinden zusätzlich, die das Land jährlich mit rund 1,3 Millionen Euro bezuschusst.

Positiv ist Privorozki zufolge, dass vor allem Schulklassen die angebotenen Führungen durch die Synagoge annehmen. "Wir hatten aber auch schon Bundeswehrsoldaten, Polizisten und Gäste aus dem Verein Arabisches Haus zu Führungen bei uns." Pro Jahr würden etwa 70 dieser Rundgänge organisiert.