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Bergbaubetrieb im Osten Wismut: Zwei Bergmannsleben

Gerd Kuchenreuther aus Gera hat bei der SDAG Wismut Uranerz für die Sowjetunion gefördert - und war anschließend am weltweit größten Umweltsanierungsprojekt beteiligt.

Von Volkhard Paczulla 07.01.2015, 01:09

Ronneburg l Der Bergbau, sagt Gerd Kuchenreuther, der sei nun mal mit Dreck verbunden. "Und er hinterlässt Umweltschäden, überall."

Die an sich richtige Feststellung ist aus dem Munde des ehemaligen Kumpels dennoch eine Untertreibung. Denn der Geraer hat sein Bergmannsleben nicht im Kali-Schacht verbracht und nicht in der Kohle. Er war beim größten Wirtschaftsprojekt der Besatzungsmacht in der DDR beschäftigt: der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut. Das Element Wismut lieferte nur den Tarnnamen. Gefördert wurde radioaktives Uran. Hauptsächlich für die atomare Aufrüstung der Sowjetunion.

Natürlich hätten das alle gewusst, wischt der Wismut-Rentner jede Legendenbildung vom Tisch. Nach den Atombombenabwürfen der Amerikaner über Hiroshima und Nagasaki hätten die Russen fieberhaft versucht, die verheerende Waffe ebenfalls in die Hand zu bekommen. Vier Jahre später war der technische Rückstand aufgeholt. Was Moskau fehlte, sei ausreichend spaltbares Material gewesen. "Gefunden haben es die Russen Anfang der 1950er Jahre auch hier bei uns", sagt Kuchenreuther und breitet die Arme aus: "Das weiß kaum jemand, aber rund um die Kleinstadt Ronneburg war die größte Uranerz-Lagerstätte Europas."

Als junger Kerl wollte der gebürtige Greizer eigentlich zur See fahren. Der Weg auf ein Handelsschiff führte üblicherweise über den Armeedienst. Volksmarine. "Aber die wollten mich unbedingt zu den Mot.-Schützen einziehen. Da habe ich nein gesagt", erzählt der drahtige Mann, wie er sein Angebot zum Längerdienen zurücknahm.

Man schrieb das Jahr 1965. Gerd hatte gerade sein Abitur gemacht und stand vor der Frage: Was jetzt? "Geh doch zur Wismut", riet ihm einer. Die würden immer gute Leute suchen, und außerdem stimme das Geld. Auch das hat in Ostthüringen jeder gewusst. Aber nicht alles.

Kuchenreuthers Bergmanns-Karriere begann auf der Halde des Tagebaus Lichtenberg. Dort befand sich damals das Lehrrevier. "Dass das keine gesunde Gegend war, weiß ich erst so richtig seit 1992", merkt der Bergmann an, ohne das Wort Strahlung auszusprechen.

Das Unternehmen brauchte Diplom-Ingenieure. Kuchenreuther studierte an der Bergakademie Freiberg Bergbau und Tiefbau. Fünf Jahre lang, mit Praktika im Kalirevier und in der Steinkohle in Zwickau. Die Wismut warb massiv um die Absolventen. Der Start des Jung-Ingenieurs Ende 1971 verlief unerwartet. Knall auf Fall, du bist ab sofort Steiger, hieß es. Und merk dir: Der Plan ist hier Gesetz! "Die alten sowjetischen Methoden", fügt Kuchenreuther an und lächelt.

Spaß sei das aber nicht gewesen. Der Steiger als leitender Mitarbeiter war mit unter Tage und nach der Schicht der Prügelknabe beim Rapport. Wie viel wurde gesprengt? Wie viele Hunte beladen? Die Hauer hätten doch überall hingeschossen (gesprengt), die waren Leistungslöhner und wollten Kubik machen. "Ich aber musste drauf achten, dass die im Erz bleiben", schildert der Bergmann seinen Job. Wenn er den Kumpels ankündigte, er werde sowieso mal der Betriebsleiter, war das Gejohle groß.

Aber das war ernst gemeint. 1974 Revierleiter und ab 1977 Bereichsobersteiger in Beerwalde, da war Kuchenreuther schon verantwortlich für ein paar hundert Mann. Ohne SED-Parteibuch hätte er gar nicht so weit kommen dürfen, wurde ihm gesagt. Also auch das noch, Genosse werden und später stellvertretender Schachtobersteiger. "Ich hatte damals einen guten russischen Geologen", erinnert er sich. Den bat er einmal auf einen Besuch zu sich nach Hause. Bringst die Frau mit, wir feiern ein bisschen. Der russische Kollege kam nicht. Er durfte nicht. "So viel zur deutsch-sowjetischen Freundschaft", winkt Kuchenreuther ab.

Irgendwann merkte er, dass sein Aufstieg wie von unsichtbarer Hand gebremst wurde. Heute ist ihm klar, warum. Eine Schulfreundin hatte einen Ausreiseantrag gestellt, die Staatssicherheit wollte, dass er über sie berichte. Kuchenreuther lehnte ab. Scheinbar folgenlos, es passierte zunächst mal gar nichts. Und später war es Gorbatschows Abrüstungspolitik, die bei der SDAG alle Aufmerksamkeit forderte. Denn sie hatte bei der Wismut noch ganz andere Folgen als im Rest der DDR: Das Uran wurde nicht mehr gebraucht. Die Wismut, Staat im Staate, schloss ganze Betriebe.

Nach dem Mauerfall stand die Zukunft der gesamten SDAG in Frage. Die jungen Bergleute suchten ihr Glück anderswo. Die Älteren erhielten Abfindungen, schulten um. Die bleiben durften, waren froh, als 1991 von der Bundesrepublik der Sanierungsauftrag kam. Nach langen Verhandlungen hatten sich die Russen ganz rausgezogen, und dann begann die große Rechnerei. "Den Sanierungsaufwand haben Wismuter kalkuliert, das waren kluge Leute", sagt Kuchenreuther anerkennend. 13,2 Milliarden D-Mark hatten die damals errechnet. So viel ist es auch geworden. Nur mit der Dauer hätten sie falsch gelegen. "Wir glaubten damals alle, in zehn Jahren wäre die Platte geputzt."

Es brauchte mehr als doppelt so viele. Den erfahrenen Bergmann aus Gera haben sie schon im Februar 1992 in die neue Unternehmensleitung nach Chemnitz geholt. Die Demontage unter Tage und die Verfüllung der Schächte, sagt er, sei noch das Leichteste gewesen. Elf Millionen Tonnen Filterasche aus Braunkohlekraftwerken wurden als Bindemittel für den Versatz eingebracht.

Als viel schwieriger habe sich jedoch die Beseitigung der kontaminierten Hinterlassenschaften über Tage erwiesen. Halden, Aufbereitungsanlagen und Schlammseen mit den Resten des ausgewaschenen Erzes. Bis zu 60 Meter tief.

Im gewaltigen Tagebau Lichtenberg verschwanden vier Kegelhalden komplett. Das alles umweltgerecht zu sichern und zu entsorgen, sei noch einmal eine Herausforderung für ihn gewesen, resümiert Kuchenreuther, der 2008 in Vorruhestand ging. Mit 61. Er genießt es, mit seiner Frau zu verreisen, Fahrradtouren zu unternehmen, Ski zu laufen.

Die Wismut sollte nun hinter ihm liegen, auch die Jahre ehrenamtlicher Kommunalpolitik als SPD-Mann im Geraer Stadtrat. Aber als der Vize-Vorsitzende des Bergbauvereins Ronneburg starb, holte ihn der Beruf wieder ein. Kuchenreuther übernahm den Posten und später den Vorsitz. Seither kümmert er sich um die Traditionspflege. Viel Arbeit, knurrt er. Aber man trage schließlich Verantwortung.