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Oberster Kassenprüfer des Landes Ralf Seibicke Präsident Gnadenlos geht

Nach zwölf Jahren ist Schluss. Rechnungshofpräsidenten müssen dann ihren Stuhl räumen. Nächste Woche ist es bei Ralf Seibicke soweit. Er hat viel bewirkt und viele genervt. Am Montag fließen etwas Sekt und wenige Tränen.

Von Jens Schmidt und Michael Bock 21.02.2015, 01:24

Magdeburg l Als Sachsen-Anhalts erster Rechnungshofpräsident Horst Schröder 2003 seinen Dienst beendete, bekam er einen feierlichen Abschied. In der prächtigen Staatskanzlei in Magdeburgs Hegelstraße, im feinen Festsaal. Nun geht auch für Schröders Nachfolger Ralf Seibicke die Amtszeit zu Ende. Am Montag bekommt auch er einen Abschied. Im Landtag. Im Landtagsrestaurant. Manche sagen dazu auch Kantine.

Immerhin. Die Regierungsspitze wollte dem widerspenstigen Seibicke erst gar nicht festlich Adieu sagen. Landtagspräsident Detlef Gürth zeigte Erbarmen.

Korken knallen werden vielleicht ein paar Zimmer weiter. In einigen Fraktionen. Ist Seibicke am 1. März weg, können sie endlich ihre Personalbesetzungswünsche am Rechnungshof verwirklichen. Es geht um Präsidentennachfolge (CDU), den Vizepräsidenten (SPD), einen Senatsposten (Grüne). Bis zur letzten Sekunde hat Seibicke das personelle Wunschkonzert der Parteien durchkreuzt, da er es aus fachlichen Gründen für falsch hält.

Seibicke hat keine Regierung vom Sockel gestoßen. Wie sein Vorgänger Schröder, der 1993 die Gehälteraffäre ins Rollen brachte und damit bundesweit Wellen schlug. Doch als Schröder zehn Jahre später ging, waren viele Wunden vernarbt und der Ton war versöhnlich geworden. Zumal sich der finanzpolitische Kurs der Regierung gedreht hatte. Bei Seibicke ist es anders. Seibicke macht keine Kompromisse. Er kennt nur richtig oder falsch. Null oder eins. So digital tickt ein guter Kontrolleur. Aber eben kein Politiker. Der Ton zwischen ihm und den Regierenden wurde umso rauer, desto näher seine Amtszeit sich dem Ende neigte. Kultusminister Dorgerloh bekam das zu spüren (Chaos in der Lehrerbesetzung), SPD-Chefin Budde (Dienstwagenfahrt in den Urlaub) und das Ressort von Finanzminister Bullerjahn (fragwürdige Steuererleichterung für einen SPD-Unternehmer). Und wer meinte, man könne Seibicke mit einer vagen Aussicht auf spätere Anschlussposten weicher stimmen, der irrte. Wenn Seibicke Ende nächster Woche sein Büro verlässt, dann geht er nach Hause. Und hat endlich mal Zeit für die beiden Kinder. Beruflich hat er nichts, noch nichts.

Dabei hatte Seibicke gleich zu Beginn vermintes Terrain betreten und sich auch die Achtung der Regierenden erworben: Etwa bei der Prüfung der Jüdischen Gemeinden. Oder beim Landessportbund. In beiden Fällen stellten Seibickes Prüfer schwerste Verstöße im Umgang mit Steuergeld fest. In beiden Fällen wirkte die Prüfung wie eine Zäsur. Verantwortliche traten zurück, die Politik ordnete die Geldvergabe neu. Die Verbände mussten sich neu organisieren.

Seibicke ist ein Prüfer gnadenlos. Im Großen wie im Kleinen. Wenn er schwere Minen hebt, bringt ihm das viel Anerkennung ein. Doch wenn er jede Knallerbse herauspuhlt, schütteln selbst Wohlmeinende den Kopf. Wie eisig seine eiserne Konsequenz wirken kann, hat auch sein Vorgänger und Ziehvater zu spüren bekommen: Als Vorgänger Horst Schröder an seiner alten Wirkungsstätte vorbeischauen wollte, fragte er, ob ihn ein Fahrer mit Dienstwagen vom Bahnhof abholen könne. Seibicke lehnte ab.

Seibicke bereut nichts, wenn man ihn fragt. Nur eine Sache gibt es, die er heute etwas differenzierter bewerten würde. Den Stadion-Neubau in Magdeburg. An seiner Kritik würde er auch heute nicht rütteln lassen, "Es ist ja fast alles eingetreten, was der Rechnungshof prophezeit hat: zu groß, zu teuer, die Betreibergesellschaft ging pleite." Aber die Zuständigen, den Magdeburger Oberbürgermeister Lutz Trümper und den Stadtrat, die würde er etwas sanfter anfassen. Denn die Magdeburger Finanzpolitik sei ja alles in allem solide. Ganz anders als die in Halle. "Dort ist sie eine Katastrophe."

Seibickes Aufstieg ist rasant. Nach dem Studium der Finanzökonomie fängt er Mitte der 80er Jahre beim Rat des Bezirks in Magdeburg an. Mit 26 ist er mit zuständig für den Bezirkshaushalt. Ende 1990 rückt er ins neu gegründeten Finanzministerium Sachsen-Anhalts. Mit Anfang 30 ist er Referatsleiter und Vize-Abteilungsleiter Haushalt - das schaffen nur wenige aus dem Osten. Die Westler sind beeindruckt von dem Ostdeutschen, der die Haushaltsordnung fast auswendig kann. Der ehemalige Regierungschef Wolfgang Böhmer (CDU), Anfang der 90er Finanzminister, erinnert sich: "Vor wichtigen Haushaltsberatungen hieß es: Wir nehmen den Seibicke mit, der hat alles im Kopf."

Seibicke ist gern im Finanzministerium. Das ändert sich Mitte der 90er. Der politische Wind hat sich gedreht. Die neue SPD-Regierung bringt neue Leute und andere Sitten mit. So werden Neben-Kassen aufgemacht. Die verschleiern die wahre Verschuldungslage. Dem peniblen Seibicke stinkt das. Mit dem neuen Staatssekretär Klaus Köpp liefert sich Seibicke einen Kampf. Der stählt die Nerven, raubt ihm aber den Schlaf. Er führt ein Tagebuch, will sich für ein drohendes Disziplinarverfahren wappnen.

Dann kommt die rettende Hand vom damaligen Rechnungshofpräsidenten Horst Schröder, der den blitzgescheiten und prinzipienfesten Ministerialbeamten schon länger im Blick hat. Schröder holt Seibicke an den Rechnungshof, macht ihn mit Mitte 30 zum Stabschef und bald zum Nachfolger. Er setzt ihn gegen den Willen des damaligen Regierungschefs Reinhard Höppner durch. Der Ärger in der SPD hält lange an; auch als Höppner schon nicht mehr an der Macht ist. Seibicke bekommt im Landtag die Mehrheit dank der Stimmen von CDU, FDP und Linken. Als Ralf Seibicke am 1. März 2003 das Amt antritt ist er mit 42 Jahren der jüngste Rechnungshofpräsident Deutschlands. Diesen Titel behält er elf Jahre lang.

Dass der junge Chef alles andere als leger ist, bekommen die 165 Prüfer bald mit. Präzision, Fleiß, hohes Denktempo - was er von sich verlangt, fordert er auch von anderen. Wer nicht mitkommt, erfährt wenig Nachsicht. Manche fühlen sich geschurigelt. Für Seibicke sitzt der Rechnungshof in einem hohen, hohen Turm, dessen Wächter sich von nichts und niemandem beirren lassen. "Über uns ist nur der blaue Himmel", sagt er mal. Der Satz bekommt Flügel und erreicht jede Abteilung seines Hauses.

Distanz hält Seibicke nicht nur zu den Regierenden, sondern auch zu seinen Leuten. Privates erfahren selbst engste Mitarbeiter so gut wie nichts. Fachlich brillant, menschlich unterkühlt - so fassen es Mitstreiter zusammen.

Nur einmal riskiert Seibicke den Ruf des Unbestechlichen. Vor einigen Jahren tritt er in die CDU ein. Er hat eine politische Karriere und die Landtagswahl 2011 im Blick. Eine Fehlkalkulation. Als er sich um einen Platz auf der Kandidatenliste bewirbt, sieht er bei der Vorauswahl in der Partei keinen Stich.

Nun, nach zwölf Jahren, ist Schluss. Eine Wiederwahl gibt es in diesem Amt nicht, so soll größtmögliche Unabhängigkeit gewahrt bleiben. Eine Rückkehr in den Landesdienst ist passé, da Seibicke als Präsident seinen Berufsbeamtenstatus aufgab. Nun ist er 54 und erstmal ohne Job. Der Fluch der frühen Karriere? Die Herausforderung würde er wieder annehmen, sagt er, aber mit dem Wissen von heute würde "ich einiges tiefer abwägen".

Was es auch heißen mag: Viele Türen sind zu, aber Seibicke hat dafür auch eine Menge getan. Manche nennen Seibickes Agieren prinzipienfest, andere stur. Aber Seibicke will so sein und hofft, dass manche so etwas schätzen. Im Privatwirtschaftlichen will er sich erstmal umsehen. Als Schachspieler denkt er immer ein paar Züge voraus. Nur welche es sind, verrät er noch nicht.