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Drillinge in Sachsen-Anhalt Dreimal füttern und wickeln, bitte!

Lena, Leana und Luana halten ihre Eltern ganz schön auf Trab. Jede der Magdeburger Drillings-Damen will ihr Fläschchen als Erste. Auch das Auseinanderhalten ist so eine Sache. Dass nach jetzigem Stand keines der Babys bleibende Schäden hat, ist riesiges Glück.

Von Elisa Sowieja 10.04.2015, 03:23

Magdeburg l Um 19 Uhr ist Aufstehzeit. Bashkim Kokollari hat noch nicht mal die Haustür hinter sich geschlossen, da machen seine Mädels schon Rabatz - erst quengelt Lena, dann stimmen die zwei anderen mit ein. Der 38-Jährige hat zwar gerade einen Zehn-Stunden-Arbeitstag plus Pendelei hinter sich, aber egal. Ab ins Kinderzimmer, Mama Mirjeta hinterher. Begrüßungskuss? Muss warten. Erstmal wollen die drei Mäuse gekuschelt werden. Und dann gefüttert. Am liebsten alle gleichzeitig.

Seit einem halben Jahr wirbeln Lena, Leana und Luana jetzt schon den Alltag ihrer Eltern durcheinander. Die Kleinen sind eine Rarität: In Sachsen-Anhalt wird im Jahr nur knapp eine Handvoll Drillings-Gespanne geboren.

An den Tag, an dem Mirjeta Murseli von ihrem Mehrfach-Mutterglück erfuhr, erinnert sie sich bestens: "Mein Mann wusste gar nicht, dass ich zur Frauenärztin gehe", erzählt sie grinsend. Denn die Hoffnung auf ein Geschwisterchen für ihren Kujtim (3) hatten beide eigentlich schon aufgegeben. Doch ausgerechnet der Sohnemann machte seine Mutter eines Tages stutzig: "Er hat plötzlich ständig meinen Bauch gestreichelt." Also ging die Magdeburgerin vorsichtshalber zu jemandem, der sich damit auskennt.

Bei der Untersuchung überraschte ihre Ärztin sie dann mit einem Verhalten, das sie völlig verwirrte: Die Gynäkologin lachte. Und dann zählte sie - eins, zwei, drei. "Ich hatte keine Ahnung, was sie mit den Zahlen meinte." Bis sie der 21-Jährigen zu Drillingen gratulierte. "Da habe ich zu ihr gesagt: `Zählen Sie noch mal nach!`"

Realisieren, was die Frau mit dem Kittel da gerade verkündet hat, konnte Mirjeta Murseli erst in der Straßenbahn - und das auch nur ganz, ganz langsam. Zurück zu Hause, musste sie die Baby-Botschaft dann ihrem Mann beibringen. "Ich habe ihn auf dem Handy angerufen. Er dachte, ich mache einen Scherz!"

Wie ernst sie es meinte, davon kann sich Bashkim Kokollari nun täglich überzeugen. In einem Zimmer so rosa, dass Barbie neidisch wäre, liegen die Drei Seite an Seite in ihren Holz-Kinderbettchen. Dabei ist es alles andere als selbstverständlich, dass keine von ihnen im Krankenhaus schlafen muss. Denn das Gesundheitsrisiko für Drillings-Babys ist sehr hoch, sagt Professor Gerhard Jorch, Chef der Kinderklinik am Universitätsklinikum Magdeburg."Es ist wahrscheinlicher, dass mindestens ein Kind bleibende Schäden hat, als dass alle völlig gesund überleben", erklärt er. Die Gefahr, im ersten Jahr zu versterben, sei schon bei Zwillingen viermal höher als bei Einlingen. "Bei Drillingen ist sie sogar zehnfach erhöht." Das Hauptrisiko besteht darin, dass Dreier-Gespanne so gut wie immer Frühchen sind. "Eine Gebärmutter fasst nur rund fünf Kilo. Deshalb kommen Drillinge im Schnitt schon nach 32 Schwangerschaftswochen zur Welt", erklärt Jorch. Optimal wären 39 Wochen.

"Da habe ich zur Frauenärztin gesagt: `Zählen Sie noch mal nach!`"
Mirjeta Murseli, Drillings-Mutter

Die Magdeburger Drillinge hielten es im Bauch ihrer Mutter sogar nur 28 Wochen aus. Direkt nach der Kaiserschnitt-Geburt wog Lena, die Kleinste, gerade einmal 880 Gramm. "Als ich sie zum ersten Mal im Brutkasten sah, war ich geschockt", erzählt die Mama. "Sie war so klein wie meine Hand. Ich hatte Angst, sie zerbricht, wenn ich sie anfasse."

Auch unabhängig von der Frühgeburt sind Drillinge besonders gefährdet, berichtet Kinderarzt Jorch. Sie können sich zum Beispiel im Bauch gegenseitig beim Wachsen behindern. Möglich ist auch, dass nicht jedes Baby genügend Nährstoffe abbekommt oder dass zu Schwangerschaftsbeginn die Teilung des Keims nicht so glatt abläuft, dass mehrere vollwertige Organismen entstehen. Am häufigsten treten bei Drillingen Hirnblutungen, Atemschwierigkeiten, Verdauungs- und Sehstörungen auf. Hirnblutungen hatte auch Lena, als sich bei der Geburt die Nabelschnur um ihren Hals wickelte. Doch es sieht gut für sie aus, berichtet Mirjeta Murseli: "Bleibende Schäden haben die Ärzte bisher nicht festgestellt. Es könnte aber sein, dass Lena später in der Schule langsamer ist als andere."

Sich jetzt schon darüber Gedanken zu machen, dafür haben sie und ihr Mann gar keine Zeit. Seitdem ihre Mädels im November - nach sechs Wochen auf der Frühchenstation - ihr Zuhause beziehen durften, halten sie ihre Eltern gut in Schach. Bis jede gewickelt ist, ihr Fläschchen bekommen und ein Bäuerchen gemacht hat, dauert es mindestens zwei Stunden, erzählt die Mama.

In Sachen Tagesrhythmus halten es die Kleinen bisher wie Fuchs und Uhu: "Tagsüber schlafen sie die meiste Zeit. Aber nachts sind sie aktiv. Zwei Stunden, nachdem ich mit ihnen fertig bin, melden sie sich schon wieder."

Und obwohl sich Papa Bashkim Kokollari morgens um sechs schon auf den Weg nach Wolfsburg machen muss - dort arbeitet er als Eisenverleger -, hilft er jede Nacht mit. Auf die Frage, warum, zuckt er mit den Schultern und sagt: "Ich will doch mitbekommen, wie sie aufwachsen."

Beim Füttern und Wickeln sind die Drei schon ein bisschen geduldiger geworden. Dafür machen sie beim Baden oft gemeinsam Radau - diese Prozedur ist ihnen nämlich nicht ganz geheuer. "Wenn eine in der Wanne sitzt und weint, dann machen die anderen gleich mit", erzählt die 21-Jährige. Auch wenn`s vor die Tür geht, quengeln die Mädels gern mal im Chor. Hier hat die Familie allerdings eine wirksame Strategie entwickelt: Brüderchen Kujtim schaukelt den Wagen immer solange, bis Mama Mirjeta alle angezogen und hineingelegt hat.

Apropos Kinderwagen: Mit so einem Drillings-Gefährt ist es im Alltag nicht so einfach. Zwei Babys nebeneinander, das dritte dahinter und erhöht - das ergibt Maße, mit denen man nicht durch jede Supermarkt-Tür kommt. "Für die Straßenbahn ist der Wagen auch zu breit", berichtet die junge Frau. Da sie keinen Führerschein hat, bleibt ihr unter der Woche, wenn ihr Mann unterwegs ist, nur der Fußmarsch. Und der dauert meist länger als geplant: "Ich muss ständig stehenbleiben, weil mich die Leute auf den Wagen ansprechen."

Damit die Mama auch Zeit für ihren Großen hat, zahlt die Stadt Magdeburg der Familie anstelle eines Kita-Platzes eine Tagesmutter. Sie hilft im Haushalt und mit den Kindern. Auch vor der Geburt hatte Mirjeta Murseli eine große Hilfe: ihre Schwägerin. Es liegt wohl an all dieser Unterstützung, dass die 21-Jährige schon in der Schwangerschaft recht entspannt blieb beim Projekt Familienzuwachs XXL.

Oft plagen Mehrlings-Eltern aber auch Sorgen. Bei der Beratungsstelle Pro Familia in Magdeburg etwa bitten alle paar Monate Eltern von Zwillingen oder Drillingen um Rat. Ein Problem sei für viele die Organisation, berichtet Leiterin Sigrid Zapf. "Sie fragen zum Beispiel oft, ob sie nun eine neue Wohnung und ein größeres Auto brauchen- und was sie zuerst erledigen sollen.

Wir helfen ihnen, einen Plan zu erstellen." Auch finanziell drückt häufig der Schuh - besonders, wenn es um die Erstausstattung geht. Hier unterstützen Beratungsstellen die Eltern dabei, Geld zu beantragen, zum Beispiel von der Bundesstiftung Mutter und Kind.

"Mehrlings-Eltern fragen uns oft, was sie zuerst erledigen sollen."
Sigrid Zapf, Pro-Familia-Leiterin

Familie Murseli/Kokollari hilft in der ersten Zeit eine Finanzspritze vom Land. Denn Ministerpräsident Reiner Haseloff hat für die Drillinge eine Ehrenpatenschaft übernommen, in diesem Zuge gab`s 4200 Euro. Für die Erstausstattung gingen davon gut 1000 Euro drauf, sagt die Mutter. Dass es nicht viel mehr wurde, lag daran, dass die Familie vieles gebraucht gekauft hat.

Bleibt noch ein Problem: die Unterscheidung der drei Mäuse. Bei Lena keine große Sache - sie ist mit Abstand die Kleinste. Außerdem erkennt man sie daran, dass sie am meisten weint. Bei den anderen wird`s schon schwieriger. "Einmal beim Kinderarzt habe ich sie verwechselt", gesteht Mirjeta Murseli. Doch das passiert ihr nicht noch mal: "Alle Drei haben jetzt ein silbernes Armband mit ihrem Namen drauf!"