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25 Jahre Treuhand Auf dem Weg in die Marktwirtschaft blieben Betriebe auf der Strecke

Die Treuhandanstalt sollte vor 25 Jahren die ostdeutsche Wirtschaft privatisieren. Doch die Marktwirtschaft bezahlten viele Betriebe mit dem Konkurs und Beschäftigte mit dem Verlust des Arbeitsplatzes. In Magdeburg mussten große Maschinenbauer aufgeben. Kleinere Nachfolger gibt es bis heute.

12.05.2015, 01:30

Magdeburg l Eines Morgens war Thälmann nicht mehr da. Seit 1986 hatte die Statue vor dem Werkseingang des Magdeburger Schwermaschinenbaukombinats Sket gewacht. Ein Mitarbeiter fand die Skulptur, die im Volksmund "Meister Proper" genannt wurde, hinter Kisten verdeckt in einer Halle. Nur die Faust, geballt zum Arbeiterkampfgruß, ragte hervor. Der Arbeiterführer Ernst Thälmann war der Namenspatron eines der größten Schwermaschinenkombinate der DDR. Das plötzliche Verschwinden ihres Schutzherren war für die Magdeburger Sket-Beschäftigten das Zeichen für den drohenden Untergang des Unternehmens.

Ausgerechnet ein westdeutscher Manager mit dem Namen Karl-Wilhelm Marx stürzte erst Thälmann vom Sockel und verkündete dann einen straffen Sozialplan. Mit nur noch 1000 Mitarbeitern sollte Sket überlebensfähig sein. Von einst 30000 Arbeitern im Kombinat sind zu diesem Zeitpunkt im Jahr 1992 noch knapp 6000 Menschen bei der Sket AG tätig.

Das Schicksal des Arbeitsplatzabbaus traf nach der Wende den Großteil der Beschäftigten in den ehemaligen Kombinaten der DDR-Wirtschaft. In Magdeburg hatte der VEB Magdeburger Armaturenwerke "Karl Marx" (MAW) nach der Wende nahezu 7000 Mitarbeiter. 1991 verkaufte die Treuhand MAW für eine Million Deutsche Mark an die Deutsche Babcock AG. Doch dem neuen Eigentümer gelang es nicht, das Unternehmen profitabel weiterzuführen. Es folgte die Abwicklung. Ähnlich erging es dem Schwermaschinenkombinat "Karl Liebknecht" (SKL) in Magdeburg. Vor der Wende waren 9000 Menschen in dem Betrieb beschäftigt, der unter anderem Dieselmotoren fertigte. Nach der Privatisierung und einschneidenden Sozialplänen waren es nur noch wenige Hundert.

"Niemand hat geahnt, dass es einen solchen Niedergang geben würde", sagt Claus Matecki heute. Anfang der Neunzigerjahre war er der Vorsitzende der neu gegründeten Gewerkschaft IG Metall in Magdeburg. "Die Vision war, dass möglichst viele Menschen an dem Wiedervereinigungsprozess teilhaben sollten. Doch diese Perspektive hat sich für die Menschen nicht erfüllt", beklagt Matecki, der damals mit den Geschäftsführern der ehemaligen Großbetriebe um jeden Arbeitsplatz ringen musste.

Dabei traf Matecki auf Lutz Modes. Der gebürtige Dresdener leitete vor der Wende als Generaldirektor das SKL. Nach dem Zerfall des Kombinats wurde Modes Vorstandsvorsitzender der SKL Motoren- und Systemtechnik AG Magdeburg. "Wir wollten ein Stück des Motorenbaus erhalten. Dass wir das nicht mit 15000 Mann machen konnten, war klar", sagt der 70-Jährige heute.

Unproduktiv und marode

Doch der Aufwertungsschock infolge der Einführung der Deutschen Mark offenbarte die Schwächen der ehemaligen DDR-Industrieprunkstücke schonungslos. Die Ostbetriebe waren nicht einmal halb so produktiv wie ihre westdeutschen Wettbewerber. Sie produzierten mit viel höheren Kosten und verfügten größtenteils nicht über marktgerechte Produkte.

Friedrich Sliva erinnert sich noch genau an die Zeit, als sein Produkt schlagartig nicht mehr gefragt war. Der Di- plom-Brauerei-Ingenieur Sliva leitete nach der Wende als Geschäftsführer die Magdeburger Brau GmbH. Die Gesellschaft war der Nachfolger eines der größten Getränkekombinate der DDR. Doch das Premium-Produkt der Magdeburger Diamant-Brauerei, das Diamant-Bier, wurde zum Ladenhüter. "Die Menschen wandten sich den westdeutschen Marken zu", erinnert sich Sliva.

Die Dortmunder Brau und Brunnen AG kaufte die Magdeburger von der Treuhand. Sliva und die 600 Beschäftigten sollten sich auf Marktwirtschaft umstellen. Mehr als 20 Millionen Deutsche Mark wurden in neue Maschinen investiert. "Es wurden die technologischen Voraussetzungen geschaffen, um überhaupt marktgerecht produzieren zu können", erklärt Sliva, der heute 74 Jahre alt ist. Doch der Sprung in die Profitabilität gelang nicht. Nach einem Eigentümerwechsel wurde die Produktion 1993 nach Hamburg verlegt.

Gewerkschafter Claus Matecki hat viele derartige Niedergänge erlebt. Der Treuhand wirft er heute vor, dass vor allem Interessen der westdeutschen Wirtschaft dominiert hätten. Manager der westdeutschen Großindustrie, die den jungen Ost-Unternehmen zur Seite gestellt wurden, seien oft nur an deren Lieferbeziehungen interessiert gewesen. "Mein heutiger Eindruck ist, dass dieser Niedergang nicht zufällig passiert ist. Wenn wir uns heute die Industriegebiete in Ostdeutschland anschauen, dann sind das letztendlich alles verlängerte Werkbänke der Konzerne aus dem Westen", sagt Matecki. Die Treuhand habe mit den falschen Managern zu schnell privatisiert. "Die Betriebe hätten mehr Zeit gebraucht und zunächst saniert werden müssen", beklagt der 66-Jährige.

Der Ausverkauf des ostdeutschen Vermögens zog auch zwielichtige Manager an. Weil die Treuhand häufig nicht ordentlich prüfte, kam es zu Betrügereien in großem Stil. Beispiel: Friedrich Hennemann. Der ehemalige Chef der Bremer Vulkan-Werft steckte beim Kauf ostdeutscher Werften fast 900 Millionen Mark Subventionen ein und investierte sie in seine Pleite-Unternehmen im Westen.

Erblast von 40 Jahren Planwirtschaft

Es wäre falsch, alle Treuhand-Manager im Nachhinein als Verbrecher zu bezeichnen, entgegnet Rudolf Bohn, der nach der Wende Staatssekretär im Wirtschaftsministerium von Sachsen-Anhalt wurde. "Die Treuhandanstalt hat einen unverzichtbaren Beitrag für den Aufbau einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft in den neuen Bundesländern geleistet", sagt Bohn, der heute in Saarbrücken lebt. Es sei eine Aufgabe gewesen, die keine Vorbilder kannte, so Bohn. Die Industrie der DDR habe die Last von 40 Jahren Plan- und Misswirtschaft nur durch die Märkte in Europa und der Welt überwinden können. "Solche Marktanteile können nur über Investoren erreicht werden", erklärt Bohn. Fehler seien bei einem gewaltigen Projekt wie der Treuhand nicht auszuschließen. "Ein großer Fehler ist es aber gewesen, dass durch die Bemühungen der Gewerkschaften ein Angleich an Westlöhne stattgefunden hat", sagt Bohn. Das habe in keinem Verhältnis gestanden zu dem wirtschaftlichen Output.

Doch es gibt unternehmerische Erfolgsgeschichten, die aus ehemaligen Kombinaten hervorgegangen sind. Wie etwa der Magdeburger Förderanlagenbauer FAM. Vor der Wende gehörte der Unternehmensteil, der später FAM wird, zum TAKRAF-Kombinat und hatte 1700 Mitarbeiter. Insgesamt 26 Unternehmen waren in dem Kombinat vertreten. "Es ging ums Überleben. Wir hätten keine Chance gehabt", sagt Hartmut Möckel, der noch heute einer der Geschäftsführer von FAM ist. Also legten Möckel und sein Geschäftspartner Lothar Petermann los. Die Männer entwickelten ein Konzept, schauten sich nach Partnern zur Finanzierung um und gaben letztlich bei der Treuhand ein Angebot ab.

FAM als gelungene Privatisierung

Rund zehn Millionen Deutsche Mark hat das Gesamtpaket gekostet. Möckel und Petermann sollten für 368 Arbeitsplätze garantieren. Fast 1400 Mitarbeiter mussten also gehen. "Es war die einzige Chance, das Unternehmen auf einen gesunden Kern herunterzuschrumpfen, um dann auf einer kleineren Ebene die Privatisierung anzugehen", erklärt Möckel. FAM stand nun auf eigenen Beinen. Was folgte, war Pionierarbeit. Der Einstieg in den Export, sagt Möckel, habe dann die Grundlage für den bis heute anhaltenden Erfolg geschaffen. Bei FAM arbeiten in Magdeburg 800 Beschäftigte, weltweit sind mehr als 1800 für den Maschinenbauer tätig.

FAM ist ein typisches Beispiel für die existierende Unternehmenslandschaft im Osten, 25 Jahre, nachdem die Treuhand ihre Arbeit aufgenommen hat. Im Osten gibt es so gut wie keine Konzernzentralen, kleine und mittlere Unternehmen dominieren. Aber es ist nicht zu dem gekommen, was damals viele befürchtet hatten: Der Osten ist nicht vollständig deindustrialisiert worden.