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Arbeitgeberpräsident Firmen fallen nicht vom Himmel

Sachsen-Anhalt braucht aus Sicht von Klemens Gutmann noch Jahrzehnte, um wirtschaftlich zum Westen aufzuschließen.

02.08.2015, 16:56

Volksstimme: Herr Gutmann, Sie sind nicht nur Arbeitgeber-Präsident in Sachsen-Anhalt, Sie leiten auch ein Unternehmen. Die Wirtschaft, so heißt es, tritt auf der Stelle, 2014 betrug das Wachstum lediglich 0,4 Prozent. Spüren Sie die Flaute auch in Ihrem Betrieb?

Klemens Gutmann: Flaute überhaupt nicht, Veränderung und Kostendruck aber schon. Ich verstehe ja, dass Volkswirte auf globale Zahlen wie Wachstum, Patentanmeldungen und Gewerbesteuer schauen, um die wirtschaftliche Lage zu beschreiben. Aber die Zahlen bilden nur einen Teil der Wahrheit ab. Als Unternehmer entwickelt man eine andere Sichtweise. Beispiel Patentanmeldungen: Statistisch werden für Erfindungen in Sachsen-Anhalt relativ wenig Patente angemeldet. Doch das heißt noch längst nicht, dass wir zu wenig forschen. Mein eigenes Unternehmen hat in letzter Zeit auch keine Patente angemeldet. Aber nur, weil sich unsere hochmodernen Software-Lösungen schwer patentieren lassen. Trotzdem laufen unsere Geschäfte gut, in unserer Nische sind wir Marktführer.

Volksstimme: Wie sieht also die wirtschaftliche Lage Sachsen-Anhalts aus Ihrer Sicht als Unternehmer aus? Ganz außenvor lassen können Sie die Wachstumsdaten ja trotzdem nicht.

Klemens Gutmann: Ich vermute, dass sich die Wirtschaftsflaute darin begründet, dass sich die Unternehmen in ihren Branchen derzeit sehr unterschiedlich entwickeln. Es gibt eine Reihe starker Unternehmen, die wachsen und souverän europäisches Marktniveau erreichen. Und gleichzeitig haben wir Firmen, die weniger Wachstumspotenzial haben, die lediglich den lokalen Markt bedienen und vielleicht obendrein mit Nachwuchsproblemen kämpfen.

Volksstimme: Über die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wird nun vorwiegend auch deshalb diskutiert, weil ein politisches Ziel bislang stets darin bestand, gegenüber dem Westen weiter aufzuholen.Sollte sich die Politik von diesem Ziel verabschieden?

Klemens Gutmann: Die Angleichung auf westdeutsches Niveau können wir uns erarbeiten, aber dafür brauchen wir mehrere Jahrzehnte. Kurzfristig wäre der Sprung auf West-Niveau nur zu erreichen, wenn in der Gesamtwirtschaft ein gravierender Wandel einsetzt, von dem hiesige Unternehmen besonders profitieren. Eine solche Hoffnung bestand durch den Boom bei Solarzellen. Sie ist nur nicht in Erfüllung gegangen.

Von einem anderen, speziellen Wandel in der Wirtschaft hat mein eigenes Unternehmen, die Regiocom, und auch die Magdeburger Getec-Gruppe profitiert, nämlich der Liberalisierung des Energiemarktes in Deutschland ab Mitte der 90er Jahre. Wir sind mittlerweile ein großer Abrechnungs- und IT-Dienstleister für Unternehmen in der Energiewirtschaft. Die Getec betreibt dezentrale Kraftwerke, handelt im großen Stil mit Energie und bietet Dienstleistungen.

Kleinere und größere Umschwünge in der Wirtschaft kann es insofern immer geben, der nächste könnte etwa in der Digitalisierung der Automobilindustrie liegen. Aber generell müssen wir uns damit abfinden, dass sich wirtschaftliche Entwicklungen nicht von heute auf morgen vollziehen. Und dass Dax-Unternehmen nicht vom Himmel fallen, sondern man kleine Firmen über Jahre zu größeren weiterentwickeln muss.

Volksstimme: Inwiefern kann die Landesregierung die Wirtschaft dann fördern?

Klemens Gutmann: Sie kann nicht allzu viel machen. Hauptsächlich für optimale Rahmenbedingungen kann sie sorgen. Für gute Schulen, Berufsorientierung und für hervorragende Hochschulen. Sie kann auch etwas über Wirtschaftsförderung bewirken, wobei diese bereits gut funktioniert.

Volksstimme: Die landeseigene IBG-Beteiligungsgesellschaft hat allerdings öffentliche Gelder nicht immer richtig investiert. Macht es für das Land überhaupt Sinn, als Risiko-Kapitalgeber Unternehmen zu fördern?

Klemens Gutmann: Das ist sicher ein schwieriges Geschäft, aber es ist notwendig. In Kalifornien haben Hightech-Unternehmen kein Problem, private Investoren zu finden, die Gelder trotz höherer Risiken locker machen, um eine neue Geschäftsidee voranzubringen. In Westdeutschland gibt es diese Geldgeber teilweise auch, aber im Osten, hier in Sachsen-Anhalt, fehlt das wohlhabende Bürgertum, fehlen Investoren-Netzwerke. Und insofern brauchen wir eine Institution, die Unternehmensgründer in der ersten Phase unterstützt. Insofern brauchen wir die IBG auch in Zukunft.

Volksstimme: Sie sprachen die Hochschulen bereits an - für die Spar-Debatte im Bereich Wissenschaft hat die Regierung viel Kritik einstecken müssen. Hat die Debatte dem Wirtschaftsstandort geschadet?

Klemens Gutmann: Die Art, wie die Spar-Debatte gelaufen ist, hat sicher geschadet. Im Kern war es aber richtig, an ineffizienten Hochschulstrukturen zu rütteln. Die Regierung sollte sich auch weiterhin trauen, stärker Prioritäten zu setzen. Von 100 Studienplätzen im Bereich der Sozialwissenschaften hat das Land sicher auch etwas - doch von 100 Plätzen im Bereich der Ingenieurswissenschaften hat es eben mehr. Weil Ingenieure im Zweifelsfall noch ein Unternehmen gründen. Und bestehende Unternehmen hochqualifizierte Fachkräfte suchen, um weiter zu wachsen.

Volksstimme: Mit Blick auf den Fachkräftemangel fordert die Regierung von der Wirtschaft, mehr Leute aus dem Ausland zu werben und im Zweifelsfall auch die Löhne anzupassen. Wie sollte aus Ihrer Sicht dem Mangel begegnet werden?

Klemens Gutmann: Es gibt nicht das entscheidende Patentrezept - wir müssen alles machen. Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland und wir müssen sehen, dass wir die jungen Leute, die bereits da sind, halten. Einigen Unternehmen gelingt das auch. Die Firmen, denen es nicht gelingt, junge Leute herzuholen, müssen im Zweifelsfall dort Standorte aufmachen, wo die Fachkräfte leben.

Volksstimme: Das wäre aber nicht gerade eine gute Nachricht für Sachsen-Anhalt, wenn Unternehmen woanders Standorte aufmachen.

Klemens Gutmann: Ach, das ist eigentlich keine schlechte Nachricht, das ist in der Wirtschaft ganz normal. Sollte ein Unternehmen woanders expandieren, blieben ja der Firmensitz und damit die Steuereinnahmen hier.

Und eines ist auch klar: Universalforderungen wie höhere Löhne nützen nichts. Jede Firma zahlt schon jetzt genau so viel, wie sie kann, es herrscht schließlich Wettbewerb. Das gilt für Baden-Württemberg wie für Sachsen-Anhalt. Werden bei einer Firma die Fachkräfte zu knapp, geht der Lohn automatisch nach oben - so lange, bis es nicht mehr geht. Kann die Firma dann keine höheren Löhne mehr bezahlen, wird sie schrumpfen. Insofern werden wir auch sehen, dass mit der Bevölkerungsentwicklung Firmen verschwinden. Das wird nicht immer gleich mit dramatischen Pleiten einhergehen, aber der Bevölkerungsrückgang wird sich bemerkbar machen.

Volksstimme: 18.000 Sachsen-Anhalter haben inzwischen die Rente mit 63 in Anspruch genommen. Verschärft sich dadurch der Fachkräftemangel?

Klemens Gutmann: Ich bin da schon schwer von der Politik enttäuscht. Dem Einzelnen gönne ich ja persönlich den verfrühten Renteneinstieg, aber für den Arbeitsmarkt ist das eine Katastrophe. Wir entziehen dem Markt nun die Fachkräfte, die wir dringend brauchen. Denn es geht ja nur zum geringsten Teil um den vielzitierten Dachdecker, also um körperlich schwer arbeitende Menschen. Es gehen viel mehr nun Leute in Rente, die eben noch nicht physisch abgearbeitet sind. Die Rente mit 63 ist schlicht eine planlose Wohltat.