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Der Streifen "Dark Stories" beschreibt die Folgen einer nuklearen Katastrophe im Jahr 2020. Von Friederike Ostermeyer Hollywood im Harz: Warum Filmemacher Nico Sentner so gerne in Sachsen-Anhalt dreht

11.10.2011, 04:24

Hollywood in Sachsen-Anhalt: Jungfilmemacher Nico Sentner aus Schadeleben im Salzlandkreis hat es möglich gemacht. Er dreht im kleinen Ort Hedersleben im Harzkreis. Mit dabei ist der amerikanische Schauspieler Fred Williamson.

Hedersleben l Die Frauen und Männer sehen abgekämpft aus. Die Kleider zerfetzt, die Augen weit aufgerissen. Klaffende Wunden an Gesicht und Armen. Überall ist Blut. Ein kleines Mädchen bricht zusammen, es atmet schwer. Dr. Hammer, alias Fred Williamson, versucht Ruhe zu bewahren. Er kniet sich vor dem Kind hin.

"Schnitt", ruft Nico Sentner.

"Noch mal von vorne. Und die Kamerafahrt etwas langsamer bitte. Dr. Hammer ist ja kaum zu sehen." Das Mädchen setzt sich auf und grinst. Doch die Lage ist ernst.

Wir schreiben das Jahr 2020. Die gesellschaftlichen Systeme sind zusammengebrochen. Eine nukleare Katastrophe hat aus Lebenden nur noch Überlebende gemacht. Seuchen brechen aus. Die letzten Menschen haben sich in einer Turnhalle, die als Auffanglager dient, zusammengefunden. Kraftlos dahinsiechende Gestalten, zusammengekauert auf Matten zwischen Dreck, zerknüllten Zeitungen und Benzinfässern.

Nur einer, Dr. Hammer, selbst von Krankheit gezeichnet, wird nicht müde, die Verletzten zu versorgen.

"So oft es geht, drehe ich in Sachsen-Anhalt"

Filmemacher Nico Sentner

"Das ist die Szene, die wir heute im Kasten haben wollen", erklärt Nico Sentner. An seinem dunklen Sakko steckt die goldene Palme. Ein Zeichen dafür, dass er schon mal geladener Gast bei den Filmfestspielen in Cannes war. "Wir haben acht Stunden. Fred Williamson hat nur einen Tag Zeit."

Der gebürtige Quedlinburger, gerade mal 28 Jahre, hat sich vor zehn Jahren mit seiner eigenen Filmproduktionsfirma Generation X Group in seinem Wohnort Schadeleben im Salzlandkreis selbständig gemacht. Damals wollte keiner an seinen Erfolg glauben. So kommt man doch nicht nach Hollywood!

Stimmt, denn Hollywood kam zu ihm. Durch Zufall und durch "Dark Legacy" (Dunkles Vermächtnis), einen Kurzfilm, mit dem er bei einem Independet Festival in Los Angeles eine Auszeichnung als bester internationaler Horrorfilm gewann. Darauf folgten Filmprojekte und auch einige Termine in Hollywood. Auf einem davon traf er Fred Williamson. "Wirst du mir mal helfen?", hat Sentner damals gefragt. Und Williamson versprach, nach Sachsen-Anhalt zu kommen. Zum Dreh für "Dark Stories".

Sentner versucht bei seinen Werken als Allrounder zu agieren, das erwartet er auch von seiner Crew. So führt er nicht nur Regie, sondern schreibt auch Drehbücher, übernimmt die Produktion und stellt sich auch als Schauspieler schon mal vor die Kamera. Seine Leidenschaft: Endzeit-Geschichten. Während die Welt untergeht, kommen die menschlichen Abgründe zum Vorschein. Die übertriebene Gier, die irgendwann zum Verfall führt, sagt Sentner, das zeige er gerne in seinen Filmen. "So oft es geht, drehe ich in Sachsen-Anhalt. Und ich werde mit meiner Firma immer hierbleiben", erklärt der junge Mann, der keinen Grund sieht, seine Heimat zu verlassen. Heutzutage habe man ja von überall Zugang zur Welt.

Zurück zum Set. Die Kamera muss neu eingestellt werden. Der junge Regisseur ist aufgeregt. Er möchte vor dem großen Hollywoodstar einen guten Eindruck machen.

Die Maskenbildnerin frischt mit Theaterschminke das Blut bei den Statisten auf, während diese an einem Salamibrötchen kauen.

"Okay, also die Szene noch mal, for safety. Alles auf Anfang", ruft Sentner und positioniert sich hinter der Kamera.

Klappe. Action. Konzentration. Die Kamera macht einen großen Bogen durch das Auffanglager. Fred Williamson kümmert sich unermüdlich um die Verletzten. Dann Einsatz eines Sterbenden. Er schließt die Augen, kampflos. Ein letzter Seufzer. Die Seuche hat ihn dahingerafft. Ein junger Mann, deckt ihn mit ernster Miene zu. Es ist sehr, sehr still.

"Früher war ich mal Footballstar"

Schauspieler Fred Williamson

"Super! Die Szene ist gestorben." Nico Sentner ist zufrieden. Der Tote rappelt sich auf. "Das war\'s für dich heute, gut gemacht!" Applaus von der Filmcrew. Kaffeepause.

Fred Williamson kommt ins Plaudern. Sachsen-Anhalt findet er "interessant". Er sei zum ersten Mal hier. Das mit der Mauer könne er bis heute nicht verstehen, sagt er. Aber Deutschland sei sowieso ganz anders als Amerika. Fängt ja schon bei den Frauen an. "In Amerika gibt es zu viele Verrückte. Deutsche Frauen sind mir viel sympathischer", sagt er. Ein Charmeur! Dann erzählt er ein wenig über sich.

"Früher war ich mal Footballstar und bei zwei Superbowls dabei", erklärt er auf Englisch. "Dann wollte ich etwas für meinen Kopf tun und ging zum Film." Bekannt wurde Fred Williamsondurch die amerikanische Satire MASH, die in einem Lazarett im Koreakrieg spielt. Auch denkt er noch gerne an die Dreharbeiten zu "From Dusk till Dawn" zurück. "Der Quentin und ich sind schon Freunde", sagt Williamson. Einfach sei es trotzdem nicht im Filmgeschäft. Das wisse er. Und deshalb möchte er dem aufstrebenden Filmemacher aus Sachsen-Anhalt helfen. Eine symbolische Gage, eine Tüte Chips und Cola reichen ihm. Selbstlosigkeit? "It makes me feel good, that\'s why". (Es gibt mir ein gutes Gefühl, darum.) Williamson grinst und schaut zu Nico Sentner rüber, der sich mit der Technik abspricht: "Er muss noch lernen, aber er hat das Zeug dazu." Die Film-Crew nimmt Aufstellung für die nächste Szene.

"Hör nicht auf zu zittern", fordert Sentner von einem jungen Mann, der seit fünf Stunden nichts anderes tut. Das kleine Mädchen ist müde geworden. "Ihr habt alle Schmerzen", kommt es als Regieanweisung. "Und jetzt dein Einsatz, Fred!"

Und Fred spielt mit Hingabe. Ob Quentin Tarantino oder Nico Sentner hinter der Kamera steht, scheint für ihn keinen Unterschied zu machen. Das ist gut fürs Selbstbewusstsein, welches Nico Sentner im Filmgeschäft dringend braucht und bereits auch reichlich hat: "Ich drehe für ein internationales Publikum und keine Spartenfilme." Etwas für den Weltgeschmack also. Von Medienförderung hält er auch nicht viel. "Ich habe das Gefühl, die finanzieren absichtlich Kassenflops. Da mache ich doch lieber alles aus eigenen Mitteln."

"Meine Eltern haben immer an mich geglaubt"

Filmemacher Nico Sentner

"Dark Stories" soll Anfang des kommenden Jahres in Halberstadt uraufgeführt werden und zur nächsten Berlinale laufen. Auch international wird der düstere Streifen auf den Markt gebracht. "Besonders in Japan sind meine Filme gefragt", sagt Sentner. Doch auch er ist sich bewusst, dass alles nicht von selbst kommt: "Meine Eltern, Ilona und Ernst Sentner, haben immer an mich geglaubt. Ich habe ihnen viel zu verdanken. Und ich bin Fred unendlich dankbar, dass er mich bei dem Filmprojekt untersützt."

Er umarmt ihn kumpelhaft. Dann wird ein Erinnerungsfoto gemacht.