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Asylpolitik in Sachsen-Anhalt "Bei Deutschkursen sitzen Analphabeten neben Hochschulabsolventen"

Von Oliver Schlicht 31.01.2015, 02:29

Magdeburg l Unternimmt Sachsen-Anhalt genug, um Asylverfahren im Land zu erleichtern und die Zuwanderungsquote zu erhöhen? Ulrich Koehler (FDP), Anwalt und Ex-Staatssekretär im Finanzministerium, bezweifelt das. "Haseloff fordert von Berlin ein neues Zuwanderungsgesetz. Die Umsetzung eines solchen Gesetzes dauert mindestens zwei Jahre. Es wäre besser, das Land würde unbürokratisch alle Möglichkeiten ausnutzen, die unterhalb von Gesetzen bereits jetzt zur Verfügung stehen", sagt er.

Koehler nimmt Bezug auf Äußerungen von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), geäußert vor einer Woche nach einer Flüchtlingskonferenz. Haseloff forderte von der Bundesregierung die Modernisierung des Zuwanderungsrechtes, um mehr Fachkräften eine Zuwanderung nach Sachsen-Anhalt zu ermöglichen. "Ohne Zuwanderung sind die enormen demografischen Probleme nicht lösbar", so der Ministerpräsident.

Ulrich Koehler hält dagegen: "Sachsen-Anhalt könnte sofort mehr Asylbewerber aufnehmen, als dem Land nach dem Länderverteilverfahren zugewiesen wird." Gemeint ist der "Königsteiner Schlüssel". Danach bestimmt das Steueraufkommen und die Bevölkerungszahl eines Landes die Zahl der aufzunehmenden Asylbewerber. "Wenn es politisch wirklich gewollt wäre, würde sich Sachsen-Anhalt darum bemühen, diese Regelung auszusetzen, um mehr Ausländer aufnehmen zu können", argumentiert Koehler.

Der FDP-Politiker kritisiert weiter, dass in Sachsen-Anhalt in Deutschkursen für Flüchtlinge Analphabeten und Hochschulabsolventen nebeneinander lernen müssen. "Warum werden nicht hochqualifizierte Bewerber gesondert erfasst und gefördert?", fragt er. Haseloff spreche zwar vom Wunsch nach mehr Zuwanderung. "Aber er tut in der Praxis nicht wirklich etwas dafür."

Auch Sören Herbst, flüchtlingspolitischer Sprecher der Grünen, kritisiert die Landesregierung. "Von Zuwanderung reden kann man viel. Tatsächlich hat die Regierung keine eigene Vorstellung, die sie praktisch umsetzt." Die Zuwanderung über eine Veränderung des "Königsteiner Schlüssels" zu erhöhen, sei denkbar, aber aktuell nicht vordringlich. "Die Kommunen haben ja im Moment genügend Asylbewerber, die sie versorgen müssen", so Herbst.

Die Qualität der Versorgung zu verbessern und damit Integration zu fördern sei die wichtigere Aufgabe. "Und da könnte die Landesregierung viel tun, was sie aber nicht macht." Beispiel Deutschkurse. Herbst: "Jeder Flüchtling müsste vom ersten Tag des Aufenthaltes an das Recht auf einen Sprachkurs haben." Für sogenannte niederschwellige Deutschkurse stehe 2015 knapp eine Million Euro zur Verfügung, aber die Landkreise wenden das kaum an, weil die Landesregierung das nicht offensiv einfordere. Herbst: "In den meisten Gemeinschaftsunterkünften im Land bekommt niemand einen Deutschkurs."

Auch könne das Land in Härtefällen aus humanitären Gründen selbst das Aufenthaltsrecht vergeben, nicht nur der Bund. "Die Fälle, in denen davon 2014 Gebrauch gemacht wurde, können Sie an zwei Händen abzählen", so der Grünen-Politiker.

In der Praxis steht das Asylbewerbungsverfahren häufig am Beginn der Zuwanderung von Flüchtlingsfamilien. Das Innenministerium legt in einer Stellungnahme zu den Äußerungen von Koehler jedoch auf die formale Trennung zwischen der Zuwanderung von Fachkräften und Asylverfahren Wert. Mit Blick auf eine mögliche Erhöhung der Zahl der Asylbewerber in Sachsen-Anhalt heißt es: "Sinn und Zweck des Asylverfahrens ist es, Menschen, die Schutz benötigen, ein Aufenthaltsrecht zuzuerkennen." Zur Deckung des Fachkräftebedarfs hingegen wird eine nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ gesteuerte Zuwanderung benötigt. "Dies vermag die Asyl-Zuwanderung nicht zu leisten", so das Innenministerium.

Die Aussage von Koehler, beim Deutschkurs für Asylbewerber sitzen Analphabeten neben Hochschulabsolventen, sei nicht nachvollziehbar. Denn: "Für Asylbewerber gibt es keine flächendeckenden Deutschkurse." "Bewerber" auf Asyl haben keinen Anspruch auf eine Teilnahme an Integrationskursen. Diese seien ausschließlich anerkannten Flüchtlingen vorbehalten, die keine Bewerber mehr sind.