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Anglistin Ingrid Wotschke stellt heute neue Deutung vor / Sprachwissenschaftler zerreißen prompt ihre These. Von Andreas Stein Magdeburg: Neuer Streit um alten Stadtnamen

13.12.2012, 01:19

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit streiten Wissenschaftler über Herkunft und Bedeutung des Namens "Magdeburg". Eine Einheimische stellt heute offiziell eine neue Deutung vor.

Magdeburg l Für Dr. Ingrid Wotschke steht fest: Der Name Magdeburg stammt aus dem Altsächsischen oder Altnordischen und bedeutet "Stammesburg". Auf erhabenen Felsen an der Elbe errichtet, verkündete sie einst Stärke und bot Schutz vor Angreifern. Schon lange vor der Ersterwähnung der Stadt im Diedenhofener Kapitular im Jahre 805 müsse der Ort eine Anlage besonderen Ranges gewesen sein, ist Wotschke überzeugt. Nachzulesen sind ihre Thesen im zweiten Band von "Parthenopolis", dem Jahrbuch des Geschichtsvereins Magdeburg und Umgebung e.V. Das Buch wird heute Abend öffentlich vorgestellt - und bereits im Vorfeld heftig diskutiert, denn die neue Deutung des Namens der Landeshauptstadt durch Ingrid Wotschke lehnen mit Namenkunde befasste Sprachwissenschaftler - vorsichtig formuliert - rundweg ab.

"Eigentlich war ich immer mit dem Mädchen auf der Burg zufrieden", sagt Ingrid Wotschke und meint die lange Jahre gültige Interpretation des Germanisten Karl Bischoff. Er leitete den Wortteil "Magde-" aus dem Altsächsischen "magath" ab, was Mädchen oder junge Frau bedeutet (siehe Infokasten). Tatsächlich ist seit Jahrhunderten im Stadtwappen eine Jungfrau mit einem Kranz in der Hand zu sehen, die lächelnd zwischen zwei Türmen steht - unsere Vorfahren nahmen die "Magd" ebenfalls wörtlich.

Aber ist diese Herleitung richtig? "Nein", sagt Ingrid Wotschke überzeugt. Die Anglistin, die aus der alten Magdeburger Familie Alemann stammt und ihr Alter nicht verraten will, deutet den Namen "Magdeburg" neu. Sie kombiniert in ihrem Aufsatz sprachliche Überlegungen, archäologische Befunde, geschichtliche Zusammenhänge und kulturelle Vergleiche. Forschung brauche immer wieder neue Ansätze, sagt sie. Der Name der Stadt und die dazugehörige Geschichte sind ein Stück Identität für die Menschen", so Ingrid Wotschke.

Sie geht davon aus, dass die hiesige Bevölkerung vor dem Jahr 800, abgesehen von Dialekten, die gleiche Sprache hatte wie die Bewohner Südenglands. Das früh belegte Altenglische lasse also auch Rückschlüsse auf das kontinentale Frühsächsische zu. Daneben habe es wahrscheinlich weitere Siedlungen von keltischen, langobardischen, slawischen und südskandinavischen Siedlern gegeben, darunter auch befestigte Anlagen, so Wotschke.

Sie nimmt auf Grundlage der urkundlichen Erwähnungen im Diedenhofener Kapitular 805, der Chronik von Moissac 1071/72 und der Chronik von Aniane 1252 den indoeuropäischen Wortstamm "mag" und vermutet für den Magdeburger Raum die frühsächsische Form "mag(a)" und "magath" - zum einen in der Bedeutung "Mädchen", zum anderen mit der aus dem Altenglischen abgeleiteten Bedeutung "Verwandtschaft, Sippe, Volk".

Diese Worte sieht sie als Wurzeln für den Namen einer möglicherweise zur Zeit der massiven sächsischen Landnahme im 6. Jahrhundert enstandenen Festung am Westufer der Elbe. Vergleiche mit Altnordisch belegen laut Wotschke eine frühere urgermanische Form. War Magdeburg vielleicht sogar eine frühe Gründung durch nordische Einwanderer?, fragt sie und belegt das mit der Chronik von Aniane, in der sie "Magrdoburg" liest. "Magr" stamme aus dem Altnordischen - für sie ein Hinweis auf einen skandinavischen Ursprung des Namens.

"Sächsische Burgen auf unserem Gebiet hatten keine Namen", argumentiert Ingrid Wotschke. Ob die altsächsische oder die altnordische Form ausschlaggebend war, bleibe ungeklärt. Im Ergebnis bedeutete die Zusammensetzung damals im Frühsächsischen entweder Sippen-, Stammes- oder Volksburg, was auf jeden Fall den Schluss auf eine Anlage besonderen Ranges zulasse.

Belegt sieht Ingrid Wotschke ihre These durch archäologische Funde rund um den Magdeburger Domplatz. Dort wurden drei Festungswälle ergraben. Die beiden innersten seien schon für das 5./6. Jahrhundert belegt, deshalb vermuten Archäologen eine bedeutsame, zu schützende Bebauung auf der Ostseite des Domplatzes. Die sei zwar nicht nachgewiesen, es könne sich aber bei Teilen der Vorgängerbauten des ottonischen Kirchenbaus unter Umständen um Reste einer vorkarolingischen Anlage handeln. "Das Areal wäre eines Stammeskönigs würdig gewesen", schreibt Ingrid Wotschke. Sie mutmaßt, der sächsische Herrensitz in Hallenbauweise sei im Krieg gegen die Franken zerstört worden. Ihr Fazit: "Die Stammesburg wurde wie in den drei Urkunden von den einen "magadoburg" oder "magadaburg", von den anderen früher oder später "magrdoburg" genannt. Damals habe man die Bedeutung trotz unterschiedlicher Dialekte verstanden. Gegen die Jungfrau sprächen Münzen aus dem 12. Jahrhundert, auf denen zwar eine Burg, aber keine Dame zu sehen sei. Ingrid Wotschke hofft nun auf die Forschungen englischer Kollegen, die mit der Untersuchung der Gegebenheiten in Großbritannien ihre These untermauern. "Ich kann mir denken, dass meine Neudeutung Debatten auslöst. Aber ich habe alles bewiesen. Meine Forschungen sind ein Schritt nach vorne", ist sie überzeugt.

Gegenwind von renommierten Sprachwissenschaftlern

Die Namenkundler, die sich bereits mit dem Namen Magdeburg beschäftigt haben, widersprechen Ingrid Wotschkes Deutung scharf: "Völlig daneben", findet der Leipziger Jürgen Udolph die Thesen. Altenglische Lautprozesse hätten in Norddeutschland und damit auch bei Magdeburg nichts verloren. Die Überlieferung der historischen Belege für den Namen Magdeburg müssten vielmehr in ihrer Gesamtheit betrachtet werden: von 805 "ad Magadoburg", bis zum 13. Jh. "Meydeburc, Maidburg".

Außerdem passt die Interpretation "Sippe" für Udolph bei allen anderen ähnlichen Namen nicht zum zweiten Namensteil "-burg". Dazu sei es "absolut unstatthaft, die Diskussion allein auf Magdeburg zu beschränken. Der Wüstungsname Megedefelde bei Hannover ist für diese Frage genau so wichtig wie die frühen Belege für Megedeheide oder Maiden Castle in England", so Udolph. Magdeburg sei wichtig, stehe aber für die Ortsnamenforschung auf der gleichen Stufe wie andere Funde und nicht darüber, so Udolph.

"Unfug" und "Käse" nennt gar Harald Bichlmeier Ingrid Wotschkes Ausführungen. Er kreidet ihr einen Lesefehler an: Statt der Wortform "magrtho", stehe in der Chronik von Aniane eindeutig "magetho". Bichlmeier, der auch Jürgen Udolphs Thesen ablehnt, kündigte an, sich in einem Fachartikel ausführlich mit Wotschkes Interpretation auseinanderzusetzen.

Aber was heißt denn nun "Magdeburg"? So ganz wird sich das wohl nie klären. Versöhnlich und nicht ganz ernst gemeint, schreibt die Magdeburger Sprachwissenschaftlerin Ursula Föllner in ihrem "Magdeburger Lesebuch": "Bis zur endgültigen Enthüllung des wahren Ursprunges nehmen wir doch einfach an, Magdeburg war eine mächtige Hauptstadt, in der heidnische weibliche Wesen verehrt und geschützt wurden und die von einem Blütenmeer aus Kamillen umgeben war, in dem die Honigbienen fleißig umherflogen. Das ist doch eine wunderbare Vorstellung!"

Parthenopolis, Band 2, wird heute ab 17.30 Uhr in der Uni-Bibliothek Magdeburg vorgestellt.