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Kandidaten für "Magdeburger des Jahres 2012": Adrian Chrupalla und Andy Fischer, die ein Denkmal und die Erinnerung daran retten wollen "Mit dem Kristallpalast stirbt auch ein Stück Stadtgeschichte"

Von Jana Heute 26.11.2012, 02:31

Zum Jahresende sucht die Volksstimme traditionell den Magdeburger des Jahres. Zwölf Kandidaten stehen 2012 zur Wahl, die wir Ihnen näher vorstellen wollen. Zum Auftakt heute: Andy Fischer und Adrian Chrupalla, die angetreten sind, um den Kristallpalast zu retten.

LeipzigerStraße l Den Kristallpalast retten? An diesem nassgrauen November-Sonnabend steht er tief im Schlaf versunken und vom Verfall gezeichnet an seinem Platz - wie seit Jahren schon. Kein Fenster trägt mehr Glas, kaum eine Wand mehr Putz, die Türen sind zugemauert; das Dach - im vorigen Jahr eingestürzt. Der Anblick ist ein Trauerspiel. Viele fragen sich: Ist der Kristallpalast überhaupt noch zu retten? Einst war er feine und beliebte Adresse für viele Magdeburger. Sie feierten dort rauschende Bälle, wunderbare Abende mit Tanz, Musik, Varieté und Kabarett. Selbst Radrennen wurden hier veranstaltet. Doch diese Glanzzeiten sind längst vergangen. Geblieben ist seit der Schließung 1986 der stete Verfall. Nur in den Erinnerungen vieler älterer Magdeburger lebt der Kristallpalast weiter.

Alle Umnutzungsversuche sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten gescheitert. Die Erbengemeinschaft, die noch immer ihre Hand über das Grundstück an der Leipziger Straße/Ecke Fuchsberg hält, verkaufte bisher nicht. Nach eigenem Bekunden gelang dies nicht trotz mehrerer Versuche.

So geht der dramatische Verfall weiter, dem Denkmal aus dem Jahr 1892 droht irgendwann die Abrissbirne, wenn nicht bald Hilfe kommt. Zu retten ist es wohl kaum noch, sagt die Vernunft. Sagen auch die Fakten - 20 Millionen Euro Sanierungsbedarf mindestens. Wer soll das bezahlen?

Und doch stehen an diesem grauen Novembertag zwei junge Magdeburger vor dem ruinösen Haus und haben das Lachen noch nicht verlernt. Andy Fischer (24) und Adrian Chrupalla (23) kämpfen für die Rettung des Baudenkmals und darum, dass es nicht irgendwann vergessen wird. Andy Fischer, von Beruf Stadtgärtner, und Adrian Chrupalla (23), Kaufmann für Bürokommunikation, sind zwei junge Magdburger, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben.

Sie blicken auf das Haus mit den großen leeren Augen und antworten entschlossen: "Man kann doch nicht einfach einen Strich darunter ziehen und sagen: Das war\'s! Mit dem Kristallpalast stirbt auch ein Stück Stadtgeschichte!"

Beiden ist bewusst, dass ihre Vision vom Wiederaufbau des Kristallpalastes von manchen belächelt wird. Es kann sie nicht verletzen, denn sie sagen: "Wir wollen es wenigstens versuchen!" Und wenn es am Ende nicht funktioniert, dann wollen sie zumindest einen kleinen Teil davon bewahren, eine Gedenktafel o.Ä. Doch noch stehen ein paar Mauern, hält sich der Kristallpalast mit morbidem Charme und letzter Kraft. Noch ist nicht alles verloren. Und schon gar nicht die Erinnerung.

Damit das nicht passiert, setzen die beiden jungen Magdeburger seit Monaten alle Hebel in Bewegung. Im Februar 2011 gründeten sie einen Verein, den Kristallpalast Magdeburg e.V. 34 Mitglieder konnten sie schon um sich scharen im Alter von 40 bis 85 Jahren. Etwa zehn Leute bilden den aktiven Kern. Sie helfen an den Infoständen, übernehmen Behördengänge, Dienst am Vereinstelefon, tragen Erinnerungsstücke zusammen, helfen beim Organisieren von Veranstaltungen usw. "Unser Mitglied Herr Schulze hat sich darum gekümmert, dass wir sogar eine Biberpost-Briefmarke mit dem Kristallpalast herausgeben konnten. Sie ist gut gefragt und macht für den Kristallpalast Werbung über die Landesgrenzen hinaus", freuen sich Andy Fischer und Adrian Chrupalla, für die der Kristallpalast das wichtigste Hobby geworden ist.

Wie viele Stunden sie schon dafür ehrenamtlich aufbrachten, haben sie nicht gezählt. Statt dessen sprudeln die "Palastretter" vor Elan. Auch wenn es immer wieder mal Rückschläge gibt und sie vor allem bei dem Ziel, mit der Erbengemeinschaft gemeinsam eine Lösung zu finden, nicht weiter kommen. Andere vom Verein angeschobene Projekte laufen dagegen gut und machen Mut. Die Ausstellung im März zum Beispiel: Elbestädter hatten dafür Dutzende alter Programmhefte, Bilder und Utensilien, alte Lampen, Eintrittskarten oder Plakate gespendet und so konnten diese Dinge in der Gaststätte "Zur Drehscheibe" in der Helmholtzstraße öffentlich gezeigt werden. Mehr als 250 Neugierige kamen in wenigen Tagen. Für den Verein ein toller Erfolg. So wie auch das Sommerfest anlässlich des 120. Geburtstages des Kristallpalastes im September. Auf der Wiese gegenüber hatten sie Festzelt und Bühne aufgestellt. Sponsoren hatten dabei geholfen. "Obwohl an dem Tag in der Stadt parallel große Veranstaltungen liefen, kamen rund 300 Besucher", erzählen sie und freuen sich auch über diesen Erfolg. Es spricht sich herum, was Adrian Chrupalla, Vorsitzender des Vereins, sein erster Stellvertreter Andy Fischer und all die anderen Mitstreiter vom Kristallpalast e.V. auf die Beine stellen, um das Stück Stadtgeschichte für die Magdeburger zu bewahren. Diverse Infoveranstaltungen hat es gegeben, zwei Erzählcafés (in der Feuerwache Sudenburg und im Buckauer Volksbad) und so soll es auch in Zukunft sein. In Planung ist sogar ein kleines Museum für all die bisher zusammengetragenen Erinnerungsstücke. Ein Ladenbesitzer aus der Buckauer Karl-Schmidt-Straße hat Hilfe signalisiert. Der Verein könne sich so lange dort präsentieren, bis das Geschäft anders vermietet ist ... "Wenn das 2013 wirklich klappt, wäre das natürlich super. Wir hätten einen richtigen Anlaufpunkt", finden die beiden.

Adrian Chrupalla und Andy Fischer werden manchmal gefragt, was sie eigentlich dazu bewegte, den Kristallpalast retten zu wollen. Dann berichten sie von ihrem Geschichtsprojekt in der Schule, wo sie zum ersten Mal darauf aufmerksam wurden. Sie erzählen, wie sie in dessen Geschichte eintauchten und bald darauf staunend vor dem Kristallpalast standen. Beide waren sich schnell einig: "So ein Stück Stadtgeschichte kann doch nicht einfach verloren gehen..."