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Volksstimme-Serie "Mein Garten – meine Welt" / Heute Teil 5: Unterwegs im Schönebecker Apothekergarten Reise in die Welt der Heilkräuter

12.07.2010, 05:51

Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen, Nervosität – Heilkräfte aus der Natur können gegen viele Beschwerden helfen. Über die Wirkung und Pflege von Arzneipflanzen können sich Besucher im Schönebecker Apothekergarten informieren. Hier werden mehr als 160 verschiedene Heilkräuter liebevoll gepflegt und bei abendlichen Rundgängen dem Gast anschaulich erklärt.

Von Kathleen Radunsky

Schönebeck. Unscheinbar sehen die lila schimmernden Blätter aus, die Carsten Müller in seinen Händen hält. Doch unscheinbar sind sie keineswegs. "Salbei ist auch bekannt als die Zahnbürste des Mittelalters", sagt Müller derart freudig, dass sein Gegenüber fast schon erwartet, dass er sich mit diesen schmalen Blättern die Zähne putzt. Stattdessen nimmt der sympathische Mann seine Gäste imaginär an die Hand und führt sie in die beeindruckende Pflanzenwelt des Schönebecker Apothekergartens.

Der Themengarten umfasst eine Fläche von mehr als 800 Quadratmetern und birgt zirka 160 Arzneipflanzenarten, die in Form menschlicher Organe angeordnet sind. Vom Kopf, Herz und Kreislauf über die Atmungsorgane, das Verdauungssystem, die Harnwege und Geschlechtsorgane hin zu Haut und Knochen sind die Arzneipflanzen nach ihren Anwendungsgebieten angeordnet.

Carsten Müller beginnt seinen Rundgang am Kopf. Hier wachsen Baldrianhopfen, Passionsblume und Lavendel – sie helfen bei psychischen Alltagsstörungen und Erkrankungen des Nervensystems.

Einige Schritte weiter liegen dem Besucher zu beiden Seiten jeweils ein Lungenflügel zu Füßen. Hier zeigt sich schon zart der Huflattich. "Er wurde früher bei Reizhusten eingesetzt", berichtet Carsten Müller, während er die gelbe Blüte, die noch ein wenig traurig hängt, vorsichtig anhebt, um sich die zarte Pflanze genauer anzusehen. Heute werde der Huflattich kaum noch angewendet, "denn wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass Huflattich durch bestimmte Alkaloide nicht so gut verträglich ist", berichtet Carsten Müller. Was hat dieses Heilkraut dann im Schönebecker Apothekergarten verloren? "Huflattich zählt zu den Klassikern unter den Heilkräutern", begründet der Apotheker den Stammplatz, den er dem kleinen Pflänzchen in der grünen Oase in Schönebeck einräumt.

Hauptziel des Apothekergartens ist es, den Besuchern die vielfältigen Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Pflanzenheilkunde zu präsentieren. "Die Wirkung der Pflanzen ist sicher, jedoch kommt sie nicht so schnell", nennt Carsten Müller einen Hauptgrund dafür, dass die meisten Beschwerden heutzutage mit chemisch hergestellten Medikamenten kuriert würden. "Sofort und schnell wirken, ist nicht das, was die Heilpflanze kann", sagt Müller. Wer sich jedoch auf die heilende Wirkung der Naturkräuter einlässt, der habe den wesentlichen Vorteil, dass diese ohne die bekannten Nebenwirkungen der chemischen Mittel auskommt.

Ein kleines Wundermittel, das auch heute noch seine Anwendung findet, ist das Johanniskraut. "Als Tee kann das gegen seelische Verstimmungen helfen", berichtet Carsten Müller. "Jedoch muss man den dann schon mehrmals täglich trinken", gibt der Schönebecker zu beden- ken.

Grundsätzlich gebe es vieles zu beachten in der Naturheilkunde. Erster Patzer, auf den viele hereinfallen, sei die genaue Pflanzenbezeichnung. "Wenn die Besucher sagen, dass sie Salbei auch in ihrem Garten haben, frage ich erst einmal zurück, ob es denn der richtige sei", berichtet Müller von den abendlichen Rundgängen, die er in der Saison einmal im Monat anbietet. Denn nur der "Salbei officinalis" würde die gewünschte Wirkung erbringen, während der Salbei ohne den Namenszusatz lediglich eine Zierpflanze ist.

Als weiteren wichtigen Ansatz nennt Müller, der seit vier Jahren den Schönebecker Apothekergarten ehrenamtlich betreut, die richtige Pflanz- und Erntezeit sowie die Standortwahl. "Es ist aufwendig, qualitativ gute Heilpflanzen hochzuziehen", fasst Müller zusammen, bevor er ein paar Schritte weitergeht.

Vorbei an Herz, Magen und Harnblase, wo Fenchel, Anis und Kümmel vor sich hin sprießen, führt der 42-jährige Kräuterexperte seine Besucher schließlich zum Beet für die äußere Heilanwendung. Hier entdeckt auch der unbedarfte Gast den immergrün, buschig verzweigten Strauch "Rosmarin". "Er wirkt durchblutungssteigernd und wird daher zu Bädern sowohl bei Kreislaufschwäche als auch bei Gicht und Rheuma genutzt", erklärt Müller und verweist darauf, dass Rosmarin in dem Schönebecker Apothekergarten an vier verschiedenen Standpunkten entdeckt werden kann. "Rosmarin wirkt auch innerlich gegen Blähungen, fördert die Tätigkeit der Verdauungsdrüsen oder regt den Kreislauf an."

Ob Aberglaube, Wirkung oder wissenschaftliche Erkenntnisse – Carsten Müller könnte immer so weiter zu jedem der mehr als 160 Heilkräuter in dem Apothekergarten etwas erzählen. Das Glänzen in seinen Augen verrät, dass der 42-Jährige, der in Schönebeck selbst eine Apotheke betreibt, mit Herz und Seele hinter dem Projekt steht. Angesteckt hat ihn wohl seine Vorgängerin und Gründerin des Themengartens, Ruth Nesseler. Sie hatte nicht nur die Idee für dieses Projekt gehabt, sondern auch in liebevoller Kleinstarbeit das Park-idyll 2005 angelegt.

Sie war es außerdem, die die Verbindung zu dem Netzwerk "Der Apothekergarten" hergestellt hat, das die gleichnamige Internetseite betreibt. Hier erfährt man beispielsweise, dass derzeit deutschlandweit nur 25 Apothekergärten betrieben werden. Die Schönebecker Anlage ist eine von vier in Ostdeutschland. Nachdem Ruth Nesseler gestorben war, trat Carsten Müller 2007 das Kräutererbe an.

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Lesen Sie am Mittwoch den 6. Teil der Volksstimme-Gartenserie: "Bauen im Garten – aus dem Schuppen ein Gartenhäuschen"

Bisher erschienen:

1. Teil: "Die Lebensart zu gärtnern – Nacktschnecken, Weidenbäumchen und gute Freunde" (24. April)

2. Teil: "Eine soziale Institution droht zu straucheln" (26. April)

3. Teil: "Prävention übern Gartenzaun" (28. April)

4. Teil: "Kleingärtnern ist Gemeinschaftswesen" (30. April)