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Flüchtlinge Von Chancen und Grenzen

In Sachsen-Anhalts Landtag stritten sich die Fraktionen über den richtigen Umgang mit dem Zustrom an Flüchtlingen.

Von Jens Schmidt 18.09.2015, 01:01

Magdeburg l Die Beschwerdeliste der Grünen war lang: Die Regierung habe bei der Suche nach Flüchtlingsunterkünften viel zu spät agiert, sie hat bislang keine Gesundheitskarte eingeführt, und sie hat für das nächste halbe Jahr die Standard-Richtlinien für die Unterkünfte außer Kraft gesetzt. „Sachsen-Anhalt ist jetzt zwar stark gefordert, aber nicht überfordert“, sagt Grünen-Innenpolitiker Sören Herbst. „Wer jetzt Grenzen schließt und Standards senkt, der verrät die Ideale Europas“, sagt er laut in Richtung CDU. Und zitiert aus Schillers „An die Freude“, da Beethovens Melodie darauf (Freude Schöner Götterfunken) EU-Hymne ist: „Seid umschlungen Millionen!“ rief Herbst.

CDU-Fraktionschef André Schröder mochte nicht mit einstimmen und warf Herbst Polit-Romantik vor. „Politik braucht nicht nur Optimismus, sie braucht auch Realitätssinn.“

Nach Sachsen-Anhalt sollen laut offizieller Prognose bis Jahresende 23 000 Flüchtlinge und Asylbewerber kommen. Zu Jahresbeginn lag die Schätzung bei 8000. Neueste Schätzungen gehen von 30 000 aus. Bislang sind knapp 13 000 Schutzsuchende im Bundesland.

In einem waren sich alle Fraktionen einig: Zuwanderung ist für das einwohnergeschwächte Land eine Chance. Und: Kriegsflüchtlinge genießen Schutz. Doch dann gehen die Sichten weit auseinander. Ein Bleiberecht für alle, offene Grenzen für alle und die freie Länderwahl für Asylbewerber lehnt die CDU ab. „Dies sind Forderungen der Linken, ob diese mehrheitsfähig sind, wird sich noch entscheiden“, sagte Schröder mit Blick auf den beginnenden Wahlkampf. „Wenn die CDU diese Positionen ablehnt, so ist das nicht menschenverachtend, sondern rechtsstaatlich.“

Linken-Innenpolitikerin Henriette Quade erkannte die Bemühungen der Regierung um winterfeste Unterkünfte an – „dass die Regierung aber jetzt erst sucht, ist zu kritisieren“. Sie stützte den Ansatz der Grünen, dass die Regierung mit dem Absenken von Standards für Unterkünfte „falsche Signale“ setzt. Quade kritisierte zudem die Situation in der Zast Halberstadt. So würden medizinisch geschulte, freiwillige Helfer nicht eingesetzt. Außerdem sei die Kleiderkammer nur drei Stunden am Tag geöffnet.

Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) schlug grundsätzlichere Töne an. Die Flucht aus Syrien sei eine Folge verfehlter Nahostpolitik. „Wir haben es weniger mit einer Asylfrage zu tun, denn dies ist längst eine Völkerwanderung.“ Angesichts von weiteren Krisenherden und 60 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, könne Deutschland nicht alles allein schultern. „Bei aller Hilfsbereitschaft: Europa besteht nicht nur aus Deutschland. Den Ansatz der Opposition empfand Stahlknecht als abgehoben. Er warnte: „Sie können keine Politik ohne Volk machen.“ Auch Flüchtlingspolitik brauche Augenmaß und Fingerspitzengefühl. Das deutsche Wertesystem dürfe nicht kippen. „Die zu uns kommen, können gern Teil unseres Landes werden; aber wir werden nicht Teil jener Länder, die die Menschen jetzt verlassen.“

Sören Herbst entgegnete, dass die Grünen das Problem weltweiter Flucht seit Jahren thematisiere: „Aber wir hatten von der CDU meistens nur Ablehnendes gehört.“