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Bullerjahn-Abgang Der Vulkan brodelt nicht mehr

Jens Bullerjahn will im März 2016 mit der Politik Schluss machen - und nur noch Zeit für sich haben.

Von Jens Schmidt 01.10.2015, 01:01

Magdeburg l Wenn SPD-Chefin Katrin Budde ihre Wahlkampfmannschaft aufstellt, ist Bullerjahn nicht mehr dabei. „Plane ohne mich“, hat er ihr schon vor einigen Wochen gesagt. Eigentlich wollte er irgendwann in den nächsten Wochen zu einer Presserunde einladen und es offiziell verkünden. Nun war es doch schon durchgesickert.

Wenn nach der Landtagswahl im Frühjahr eine neue Regierung startet, packt der 53-Jährige im Finanzministerium seine Aktentasche und fährt nach Hause – ins mansfeldische Ahlsdorf.

Bullerjahn wirkt aufgeräumt, locker – fast ein bisschen erleichtert, wenn er über seinen Rückzug spricht. Auch wenn der Sohn eines Bergmanns nie ein feiner war, aus Eisen war er auch nicht. Als er 2011 das zweite Mal beim Versuch, Ministerpräsident zu werden, scheiterte, dachte er schon kurz ans Aufhören. Die heftigen Auseinandersetzungen mit den Unis – denen er finanziell an den Kragen wollte – der ewige Streit um Theater, Lehrerstellen und zuletzt um die IBG haben Spuren hinterlassen.

Zum umstrittenen Zinserlass für Unternehmen aus dem Firmengeflecht des ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Klaas Hübner sagt er: „Ich habe mir nichts vorzuwerfen.“ Aber er weiß auch, dass die Außenwirkung eine andere ist; im Wahlkampf wären Themen wie Steuererlass für einen politischen Freund für die SPD eine schwere Bürde. „Ich stand ja immer in der Schusslinie“, sagt er. „Ich kann viel aushalten. Aber zu behaupten, dass in Summe nicht doch irgendwas hängenbleibt, wäre gelogen.“

Jetzt, beim Flüchtlingsthema, konnte Bullerjahn das machen, was er gerne macht: Unterkünfte organisieren, Druck machen, die Leute auf Trab bringen. Kaum war er aus dem Urlaub zurück, gab es Lösungen. Bullerjahn stand wieder als Macher da.

Lief eine Sache gut, war Bullerjahn locker, als ob Kritik ihm nichts anhaben könnte. Hagelte es Kritik – dann vollführte die Laune einen Sturzflug, und der Puls schnellte in ungeahnte Höhen. Auch nach Jahren blieb er in dieser Hinsicht schwer berechenbar. Vor allem: Wer nicht so wollte, wie er es wollte, bekam das spüren.

Schon bei den 96er Etatberatungen bezeichnete er, damals 35 Jahre jung, den 63-jährigen Finanzminister Wolfgang Schaefer (SPD) respektlos als „Knalli“. Seine Mitarbeiter trieb er an: Stress, nächtliche Anrufe, Wutausbrüche. Bis zur Revolte. 2009, da war er Finanzminister, schmiss sein Staatssekretär Christian Sundermann hin und verabschiedete sich mit einem „Du kannst es nicht“. Von seinem Sprecher bekam er den wenig schmeichelhaften Titel eines „Tyrannen“. Er kann den Kumpel herauskehren, aber ist oftmals auch launisch, sprunghaft, ungerecht. Dann brodelt er wieder, der Vulkan aus dem Mansfelder Land. Das ist bis heute so.

Bullerjahn hat sich schrittweise zurückgezogen. Erst überließ er die Spitzenkandidatur Katrin Budde. Danach kündigte er an, nicht wieder für den Landtag anzutreten. Dass man dann schlecht erneut eine Anwartschaft auf ein Ministeramt anmelden kann, ist logisch, sagt Bullerjahn heute. „Das war eigentlich schon der Ausstieg – mehr, als ich das damals zugegeben habe.“ Zuletzt hatte er Ende Juni mit Rücktritt gedroht für den Fall, dass ihm Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) in der Zinserlass-Affäre die Unterstützung versagen sollte. Haseloff stützte ihn. Wie schon 2013, als Bullerjahn auf den Rausschmiss von CDU-Ministerin Birgitta Wolff drängte: „Entweder die oder ich.“ Bullerjahn blieb.

Warum jetzt die Rückzugs­ankündigung? „Irgendwann ist der Punkt gekommen, loszulassen“, sagt Bullerjahn. „Aber ich werfe nicht hin. Ich gehe nicht in Frust, ich habe keinen Burnout.“ Bullerjahn ist inzwischen dienstältester Finanzminister in Deutschland. Er kann auf ein bewegtes Politikerleben zurückblicken. Zwischen 1994 und 2002 war er noch einer der Architekten des Magdeburger Modells, einer von der PDS tolerierten Minderheitsregierung. Er und der damalige parlamentarische PDS-Geschäftsführer Wulf Gallert („Plisch und Plum“) zogen die Strippen. Gallert hat Bullerjahn mal so beschrieben: „Jens ist wie eine Spielzeugeisenbahn. Wenn ein Hindernis auf dem Gleis liegt, nimmt er immer wieder Anlauf, bis er es überwunden hat. Diese Dampflok-Mentalität kann bei Jens aber auch dazu führen, dass er an einen Punkt kommt, an dem nichts mehr geht. Er ist nicht der Typ, der drei Stufen zurückschalten kann. Er knallt mit dem Kopf gegen die Mauer, bis es nicht mehr weitergeht.“ So war er damals. So ist er immer noch.

2006 wird er Finanzminister und Vize-Regierungschef. Ihn und Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) verbindet eine Art Vater-Sohn-Verhältnis. Es erfolgt Bullerjahns Wandlung vom (politischen) Saulus zum Paulus. Das Land macht keine Schulden mehr, es tilgt Kredite, es hat sogar Rücklagen. Freilich – die Steuern sprudeln auch so gut wie nie zuvor. Aber: Man kann Geld mit beiden Händen ausgeben. Oder aber etwas zurücklegen für schwierigere Zeiten. „Dass wir jetzt die Mehrausgaben für Asyl zahlen können, aber dennoch alle Eckwerte stehen und wir weiter Kredite tilgen, zeigt, dass wir vieles richtig gemacht haben.“

Beim Personalkonzept sieht es anders aus. Das Land braucht mehr Lehrer als in Bullerjahns Plänen steht. Die Lehrerschaft ist überaltert – die Folge falscher Personalpolitik in den 90er Jahren, wie er heute einräumt. Und einige harte Einschnitte waren nicht durchsetzbar. Bullerjahn wollte längere Arbeitszeiten bei Lehrern – und scheiterte an der Gewerkschaft. Er wollte weitere kleine Grundschulen schließen – doch davon nahm seine Partei Abstand, nachdem sie bei den letzten Kommunalwahlen eine Klatsche bekommen hatte.

Immer wieder ist er mit SPD-Spitzenfrau Katrin Budde aneinander geraten. Gleichwohl hat Bullerjahn auf ein klares Zeichen der Spitzenkandidatin gewartet, dass sie ihn 2016 weiter als Finanzminister haben will. Das blieb bis zuletzt aus.

Was will er machen? „Erstmal gucken. Es tut gut, auch mal inne zu halten.“ Nächstes Jahr will er von Rostock nach Oslo segeln. Seekrank wird er nicht. „Selbst beim höchsten Wellengang kann ich noch essen.“ Gelernt ist gelernt. Bullerjahn war bei der Volksmarine.

„Ich gehe nicht im Zorn“, sagt er jetzt. „Ich bleibe in der SPD.“ Memoiren schreibt er nicht. „Keine Sorge.“ Aber: Eine Broschüre vielleicht schon. Sachsen-Anhalt 2030 – das wäre was. „Ich ziehe mich aus politischen Ämtern zurück – aber nicht aus der Politik.“ Beruflich? Keine Pläne, sagt Bullerjahn. Ungewöhnlich für einen, der allzu gerne Finanzpläne für die nächsten 20 Jahre strickt. Lockt nicht die Landesbank IB mit einem Direktorenposten? Bullerjahn: „Nie und nimmer.“ Als Bankdirektor müsste er zum Rapport – zum neuen Finanzminister. „Das tue ich mir nicht an.“ Alles andere ist offen. Ob in der Wirtschaft oder in der Bundespolitik. Er war ja sogar mal Vize-Bundesvorsitzender der SPD (2006 bis 2007) und auch Chef der Ideenschmiede „Forum Ostdeutschland“. Doch die bundespolitischen Ambitionen endeten schnell. In Berlin wurde er gewogen – und für zu leicht befunden.

Hat er Ratschläge an seinen Nachfolger? „Die klugen Ratschläge des Vorgängers nicht zu beherzigen“, sagt Bullerjahn. „Jeder muss seinen eigenen Weg finden.“