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Standesbeamte Vom Glück mit den Ja-Sagern

Brigitte Schulze hat auch nach 31 Jahren als Standesbeamtin Lampenfieber vor Trauungen. Der Landesverband wird dieses Jahr 25 Jahre alt.

Von Elisa Sowieja 08.10.2015, 01:01

Haldensleben l Hinter dem Rücken von Brigitte Schulze hängt eine Galerie glücklicher Gesichter. Auf einem Poster aus Raufasertapete kleben, wild angeordnet, gut zwei Dutzend Fotos: hier zwei Turteltauben, die sich vor einer Wand aneinander schmiegen; da ein Paar, das mit Knirps an der Hand über eine Wiese schlendert; daneben zwei verrückte Hühner beim Luftsprung. Auf einigen Bildern ist im Hintergrund Schulze selbst zu sehen. Denn sie hat all die Paare getraut.

Die Fotos sind freilich nur eine Auswahl. Insgesamt hat die 53-Jährige schon weit mehr als tausend Ja-Worte abgenommen. Seit 1984 ist sie Standesbeamtin in der Bördestadt Haldensleben. „Ob ich einen romantischen Job habe? Das muss man rigoros bejahen!“, antwortet Schulze, selbst seit 34 Jahren verheiratet, ohne zu überlegen. Dabei lächelt sie mit den Galerie-Gesichtern um die Wette. „Vor mir sitzen schließlich ständig fröhliche, gut angezogene Menschen, die in diesen einen Tag viel Arbeit gesteckt haben.“

Schulzes Start ins Berufsleben verlief denkbar unromantisch: Sie lernte Bürokauffrau bei der Bank, danach ging sie ins Bauamt des Rathauses. „Dort habe ich vor der Personalchefin mal angemerkt, dass mir auch die Arbeit im Standesamt Spaß machen würde“, erinnert sie sich. Kurz darauf durfte sie wechseln.

Ein viertel Jahr lang musste sich die Haldensleberin beweisen, zwischendurch ging‘s zu Fortbildungen. Nach einem lobenden Beurteilungsschreiben ihres neuen Chefs wurde sie dann zur Standesbeamtin bestellt.

Heutzutage ist der Weg in den Beruf mit mehr Vorgaben gespickt. Wer Standesbeamter werden will, muss erst eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten durchlaufen. Danach geht‘s, ähnlich wie damals, für drei Monate ins Praktikum. Hinzu kommt ein zweiwöchiger Lehrgang mit Prüfung. Warum sich ihr Berufsstand damals auch ohne jahrelange Ausbildung zurechtfand, erklärt die Amtsleiterin so: „Zu DDR-Zeiten waren unsere Aufgaben nicht so breit gefächert, wir hatten zum Beispiel kaum mit Ausländerrecht zu tun.“

Nach wie vor machen Hochzeiten keineswegs den Hauptteil der Standesamts-Fälle aus. Zwischen 90 und 110 Ehen besiegeln Schulze und ihre Kollegin pro Jahr. Die Zahl der Geburten, die sie beurkunden, ist mehr als doppelt so hoch, bei rund 250, die der Sterbefälle liegt bei etwa 450.

Doch in die Hochzeiten fließt nun mal das Herzblut – nicht zuletzt deshalb, weil hier zu den Verwaltungsaufgaben ein besonderes, kreatives Element hinzukommt: die Rede. Maßgeschneiderte Ansprachen, sagt die 53-Jährige, könne sie nicht ausarbeiten, dafür fehle in einem kleinen Standesamt einfach die Zeit. „Trotzdem habe ich noch nie von A bis Z dieselbe Rede gehalten.“

Schulze variiert stets ein Grundgerüst: Traut sie ein Paar mit Kindern, baut sie gern Worte zum Thema Familie ein; liegt der Termin in der Adventszeit, dann geht es oft um Ruhe und Gemütlichkeit.

Wenn sie sich mit Freunden oder Kollegen über ihren Job unterhält, dann hört sie eine Aussage recht oft. Die geht etwa so: „Als Standesbeamter zu arbeiten, das würd ich mir ja auch zutrauen – aber vor Publikum zu sprechen, puh ...“ Die Haldensleberin hatte damit nie Probleme. „Schon zu Schulzeiten hab ich gern Vorträge gehalten und war in einer Laienschauspielgruppe.“

Vor Lampenfieber schützt sie das allerdings nicht. Noch heute ist die Amtsleiterin aufgeregt, wenn sie morgens vor einer Hochzeit in ihren beigefarbenen Hosenanzug schlüpft. „Schließlich ist jedes Paar anders“, erklärt sie. Doch das lege sich immer, sobald sie das Paar empfange. „Außerdem bin ich froh, dass ich meine Aufregung bis heute nicht verloren habe.“ Ein Kollege in Helmstedt, bei dem sie kurz nach der Wende hospitierte, habe ihr mal gesagt: Wenn man kein Lampenfieber mehr hat, sollte man ins Grübeln kommen.

Tipps von männlichen Kollegen erhält Brigitte Schulze übrigens sehr, sehr selten. Nicht, dass sie darauf keinen Wert legen würde. Das Problem ist nur: Es gibt sie kaum. Unter den 414 Standesbeamten in Sachsen-Anhalt tummeln sich gerade mal 28 Männer. Woran das liegt, darüber rätselt selbst der Landesfachverband für den Berufsstand. Womöglich scheuen sich die Herren ja vor einem Job mit lauter gefühlvollen Momenten.

Was sich bis heute genauso wenig verflüchtigt hat wie Schulzes Lampenfieber, ist ihr Ärger über Pannen: wenn der Kuli nicht schreibt, die Musik nicht angeht, man sich beim Reden verhaspelt. „Meiner Kollegin und mir tut selbst der kleinste Patzer leid“, sagt sie.

Vieles hat sich in 31 Dienstjahren auch verändert – vor allem in Punkto Gesetze. Ein Auszug: Seit 1998 sind keine Trauzeugen mehr nötig, seit 2001 wird unter dem Namen Eingetragene Lebenspartnerschaft auch zwei Männern oder zwei Frauen das Ja-Wort abgenommen, seit 2009 erfasst man in den Registern der Standesämter keine Berufe und akademischen Grade mehr, seit 2014 werden alle Eintragungen statt in Büchern elektronisch vorgenommen.

Damit die Beamten den Überblick behalten, werden sie regelmäßig geschult – auch von Brigitte Schulze. Für den Landesfachverband fährt sie zweimal im Jahr ehrenamtlich zu Kollegen, um Vorträge zu halten und Fallbeispiele zu besprechen.

Aber auch etwas ganz Persönliches hat sich für die Haldensleberin in den drei Jahrzehnten geändert: „Heute habe ich bei Trauungen manchmal selbst Pipi in den Augen.“ Warum erst jetzt? „Vor meinem geistigen Auge sehe ich dann auf dem Traustuhl meine eigenen Kinder sitzen.“