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Landtag Von Grenzen und Schießbefehlen

25 Jahre Sachsen-Anhalt war das Thema der Regierungserklärung - doch im Wesentlichen drehte sich alles um das Thema Flüchtlinge.

Von Jens Schmidt 17.10.2015, 01:01

Magdeburg l Betont betonungslos las der Regierungschef seine 13-seitige Erklärung vor. Vielleicht wollte Reiner Haseloff (CDU) nach dem jüngsten Koalitionsstreit mit der SPD zum Flüchtlingsthema keine neuen Angriffsfläche bieten. Was ihm zum Teil auch gelang. SPD-Chefin Katrin Budde, zuletzt noch auf Krawall gestimmt, fand zu einem versöhnlichen Ton zurück, ohne die Differenzen zur CDU zu verschweigen.

Haseloff wiederholte seine Grundüberzeugung: Eine geordnete Zuwanderung ist eine Chance – die ungeordnete Massenflucht jedoch muss begrenzt werden. „In der jetzigen Größenordnung“ werde das Land die Flüchtlinge „nicht auf Dauer und erfolgreich integrieren können“. Zuletzt hatte er eine schulterbare Größe von 8000 bis 12 000 Flüchtlingen pro Jahr genannt. 2015 kommen voraussichtlich 40 000.

Budde verlangt eine zielgerichtete Integration der Zugewanderten. Andernfalls zögen sie in den Westen wieter. „Dann blieben für uns die Kosten und für die anderen der Bevölkerungsgewinn.“ Sie räumte ein, dass keine Gesellschaft eine unbegrenzte Flüchtlingsbewegung verkraftet. „Aber Sachsen-Anhalt hat keine Machtmittel, darauf Einfluss zu nehmen.“ Zu Haseloff: „Was uns unterscheidet ist, dass uns das Hier und Jetzt Kopfzerbrechen bereitet und Ihnen die Zukunft.“

Darin unterscheidet sich SPD-Spitzenkandidatin Budde allerdings auch von einigen SPD-Spitzengenossen. Die Ministerpräsidenten Erwin Sellering (Mecklenburg-Vorpommern) und Hannelore Kraft (NRW) senden am Freitag unmissverständliche Botschaften an Kanzlerin Merkel, in Zukunft den Zustrom zu reduzieren, damit jetzt die Lage nicht aus dem Ruder läuft. Kraft fordert „außenpolitische Maßnahmen“, sowie eine Sicherung der Außengrenzen; und Sellering gesteht, sein Land sei „an der Grenze der Aufnahmefähigkeit“.

Für die Grünen aber ist Haseloffs Ansatz sinnlos. „Die Debatte über eine Obergrenze für Flüchtlinge ist eine Phantomdebatte“, sagte Fraktionschefin Claudia Dalbert. Noch seien die Menschen bereit, den Flüchtlingen zu helfen. Es sei Aufgabe der Politiker, dass dies so bleibt. Ein Koalitionsstreit sei schlecht, er untergrabe das Vertrauen in Politiker.

Der Fraktionschef der Linken Wulf Gallert warf Haseloff Populismus vor. „Wer eine Kappungsgrenze von etwa 10 000 Flüchtlingen im Jahr fordet, der muss auch die Konsequenz offen vertreten.“ Die letzte Konsequenz hieße Elektrozaun und Waffengewalt, da sich die vor Tod und Elend Fliehenden anders nicht aufhalten ließen. „Wer eine Mauer der Abschottung errichten will, der braucht einen Schießbefehl.“ Gallert, der in der DDR als Grenzer gedient hatte, sagte: „Ich will solch eine Grenze nie wieder haben.“ Jeder müsse für sich klären, auf welcher Seite er stehe: Für Weltoffenheit oder für Angst und Gewalt.

CDU-Fraktionschef André Schröder warf Gallert eine Schwarz-Weiß-Sicht vor, die Zerrbilder erzeuge. Eine EU-Grenze sei keine Grenze einer Diktatur, die Menschen einsperrt. Er zog eine klare Linie zur Linken: „Eine offene Grenze für alle und jeden will die CDU nicht. Wirtschaftliche Not ist kein Asylgrund.“ Zur Integration sagte Schröder, diese sei keine Einbahnstraße. Vor dem Hintergrund der Tötung einer Syrerin in Dessau sagte er, kulturell motivierte Gewalt wie Ehrenmorde dürfen nie zu Sachsen-Anhalt gehören. Grüne und Linke kritisierten dies als „Stimmungsmache“ gegen Ausländer.