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Angsstörungen Traumatisierte Flüchtlinge müssen warten

Fast die Häfte der Asylsuchenden ist psychisch belastet. Der Andrang am Psychosozialen Zentrum für Migranten in Magdeburg ist groß.

06.02.2018, 09:38

Magdeburg (dpa) l In einem Regal an der Wand steht ein kleines Papierschiff. Ein Klient aus Afghanistan habe das Boot gebastelt, sagt Tatiana Katcheishvili, Psychologin im Psychosozialen Zentrum für Migrantinnen und Migranten (PSZ) in Magdeburg. "Es symbolisiert die Verlorenheit im Meer. Und seine Lebenssituation, wo es kein richtiges Ziel gibt." Der Asylbewerber habe einen ungeklärten Aufenthaltsstatus, wie seine Zukunft aussieht, ist unsicher.

Wenn Katcheishvili von den Migranten erzählt, dann spricht sie von "Klienten". Sie berichtet, dass viele sich schämten, dass sie die Hilfe brauchen und mehrfach betonten, nicht verrückt zu sein. An den zwei Standorten in Magdeburg und Halle werden Flüchtlinge kostenlos und unabhängig vom Aufenthaltsstatus behandelt, meist zusammen mit Sprachmittlern.

Gefördert wird das PSZ zum Großteil vom Land und der EU. Zahlen aus dem Sozialministerium zufolge sind im vergangenen Jahr knapp 300 Migranten betreut worden. Davon sind laut PSZ rund zwei Drittel Männer, die Mehrheit ist zwischen 18 und 34 Jahren alt. Aber auch minderjährige Flüchtlinge kämen zunehmend ins Zentrum. Erst neulich sei ein vierjähriges Kind angemeldet worden, erzählt Katcheishvili.

Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie leidet fast ein Drittel der Flüchtlinge in Deutschland unter Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Depressionen. Eine Studie in Halle habe sogar ergeben, dass mehr als die Hälfte der Asylsuchenden psychisch belastet seien, sagt Susi Möbbeck, Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration. Die Warteliste im PSZ ist entsprechend lang: 336 Menschen stehen dort zurzeit drauf. Von der Anmeldung bis zum Behandlungsbeginn vergehen im Schnitt sechs Monate.

Traumatisierte Asylbewerber sollen in Sachsen-Anhalt bereits bei der Erstuntersuchung erkannt werden, erklärt das Innenministerium. Gesetzlich steht den Menschen nach ihrer Ankunft die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände zu. Inwiefern sie Zugang zu Psychotherapeuten haben, liege im Ermessen der Behörden, so Möbbeck.

Nach ihrer Anerkennung bekommen Flüchtlinge eine Gesundheitskarte und damit eigentlich Anspruch auf die gleichen Leistungen wie gesetzlich Versicherte. Dennoch sagt die Staatssekretärin: "Es ist sehr schwierig für Geflüchtete, Zugang zu notwendiger Unterstützung und gesundheitlicher Versorgung zu erlangen." Niedergelassene Psychotherapeuten würden Flüchtlinge wegen der komplexen Symptome und der Sprachbarriere ungern aufnehmen. Ein weiteres Problem: Krankenkassen übernehmen keine Dolmetscherkosten. Und über das Sozialamt oder Jobcenter ließen sich diese "nur in Einzelfällen" beantragen.

Viele Flüchtlinge versuchten daher, sich selbst zu helfen, sagt Psychologin Katcheishvili, in erster Linie mit starken Schmerz- und Beruhigungsmitteln, die sie von ihren Hausärzten bekämen. Das führe zu einem "großen Medikamentenabhängigkeitsproblem", mit dem die PSZ-Mitarbeiter konfrontiert werden. "Einige Klienten kommen mit einer Tüte voller Medikamente her und wissen gar nicht, was das ist."

Infografik: Fluchtziel Deutschland | Statista Mehr Infografiken finden Sie bei Statista

Therapeutisch seien die Menschen dagegen oft jahrelang nicht behandelt worden. Die Folge: Viele Erkrankungen seien chronifiziert, so Katcheishvili. "Die Klienten haben Schlafstörungen oder erleben die traumatischen Erlebnisse immer wieder." Ihre Erfahrungen seien vielfältig: Kriege im Heimatland, Gefängnisaufenthalte in Griechenland, Gewalt in Ungarn. Daraus resultierende Ängste zu therapieren ist oft ein langwieriger Prozess. Und der Erfolg hänge stark mit dem Aufenthaltsstatus und der Lebenssituation der Flüchtlinge hier zusammen, berichtet die Psychologin.

Doch nicht in allen Fällen ist eine Therapie im PSZ überhaupt möglich. Einige der Betroffenen seien "akut suizidal", sagt Katcheishvili. Sie werden an Psychiatrische Kliniken überwiesen, die Zusammenarbeit sei jedoch schwierig. "Manche Flüchtlinge werden nach einem bis drei Tagen wieder entlassen. Und dann stehen sie wieder bei uns vor der Tür."

Um die Kooperation mit Psychotherapeuten und Kliniken zu verbessern, sollen diese bei Fortbildungen für Flüchtlinge sensibilisiert werden. Außerdem will das PSZ Entspannungstherapien etablieren und das Gruppenangebot ausweiten, um Wartezeiten zu verkürzen. Aus gutem Grund. Denn Magdalene Schlenker, eine der Projektleiterinnen des PSZ, vermutet: "Der Andrang bei uns wird weiter zunehmen."