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Bergbau Frauen unter Tage in Zielitz

Der Bergbau ist eine Männerwelt. Im Kaliwerk Zielitz arbeiten 800 Kumpel unter Tage. Kristin Große-Allermann ist eine von drei Bergfrauen.

18.05.2017, 23:01

Zielitz l Das Salz liegt tief. 700 Meter in die Dunkelheit fährt Kristin Große-Allermann zu ihrem Arbeitsplatz in das Bergwerk ein. Hier unten ist es heiß. Der Schweiß fließt an ihrer Stirn herunter, glänzt im Licht der Grubenlampe. Schweiß und der Staub, der überall eindringt, in jede Pore. Die Kalisalzgrube in Zielitz ist ein Ort, der unter die Haut geht. Kristin Große-Allermann ist eine von nur drei Frauen, die es hier aushält. Seit sieben Jahren fährt die junge Frau unter Tage. „Es ist ein Job wie jeder andere“, sagt Große-Allermann. Und dennoch eine ganz eigene Welt. Nur wenige Minuten vergehen, dann liegt Staub auf dem Helm der Bergfrau.

In Zielitz fahren von 800 Mitarbeitern drei weibliche Bergleute regelmäßig in den Schacht ein. Auch bundesweit entscheiden sich nur wenige Frauen für die Arbeit in der Grube. Die Zahl ist so gering, dass weder die Bundesagentur für Arbeit noch das Statistische Bundesamt dazu Angaben machen können. Tatsächlich war Frauen die Arbeit in einem Bergwerk lange Zeit verboten. Erst vor fast zehn Jahren fielen letzte Hürden. In Deutschland wurde das Bundesberggesetz geändert, um die Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen zu garantieren. Zuvor herrschte in den Gruben auch der Aberglaube: „Frauen unter Tage bringen Unglück.“

Kristin Große-Allermann kann das nicht verstehen. „Die heilige Barbara ist die Schutzpatronin des Bergbaus“, bemerkt die junge Bergfrau. Der Kasseler Düngemittelkonzern K+S, der das Kaliwerk in Zielitz bewirtschaftet, plant nun ausdrücklich die Männerdomäne Bergbau aufzubrechen. „Wir wollen unsere Frauenquote erhöhen“, sagt die Sprecherin für das Werk Zielitz, Antje Denecke.

Doch noch ist Kristin Große-Allermann im Bergwerk ziemlich alleine unter Männern. „Man darf als Frau nicht zimperlich sein“, sagt die 33-Jährige. „Aber es gibt auch Männer, die sensibel reagieren, wenn mal eine Frau etwas sagt.“ Große-Allermann gibt unter Tage den Ton an. Das „Glück auf“ aus ihrem Mund klingt entschlossen. Der Händedruck ist fest. Die Grube ist kein Ort für Prinzessinnen. Auch Kristin Große-Allermann schreit schon mal durch den Salzstock und gibt ihren Kollegen Anweisungen.

700 Meter unter der Erdoberfläche wird regelmäßig neues Kalisalz gesprengt. Die Arbeit ist in drei Schichten aufgeteilt, jede endet mit einer neuen Sprengung. Kristin Große-Allermann leistet als Vermessungs-Spezialistin dafür die Vorarbeiten. Bevor die junge Frau nicht die Bohrpunkte festgelegt hat, dürfen die schweren Abraum-Fahrzeuge nicht anrücken. Die blauen Ziffern, die Große-Allermann an die Wände des Salzstocks sprüht, sind Orientierungsmarken für ihre Kollegen.

Die Bergfrau hat sich den Respekt der männlichen Belegschaft erarbeitet. Etwas gedauert hat das schon, gibt sie zu. „Unter Tage ist schon eine Männerwelt“, sagt Große-Allermann. Wenn der Ton mal wieder rauer wird oder schlechte Witze erzählt werden, hört sie gerne weg. Wenn im Pausenraum ein neues Pin-up-Girl an die Wand gehängt wird, blicken ihre Augen auf den Grubenplan zwei Meter daneben.

In der Welt der Karten fühlt sich Große-Allermann zuhause. Die gebürtige Sächsin ist in der Kaderschmiede des deutschen Bergbaus ausgebildet worden: An der Technischen Universität Bergakademie Freiberg studiert sie Markscheidewesen. Danach führt sie das Referendariat nach Niedersachsen und in allerhand Gruben. Ein Praxisausflug in das Kalibergwerk nach Zielitz bleibt im Gedächtnis. „Unter Tage ist der richtige Bergbau. Das ist faszinierend. Außerdem regnet es nicht“, scherzt Große-Allermann. Nach dem Zweiten Staatsexamen darf sie sich Markscheider nennen. Mit der Ausbildung im Rücken erhebt sie seitdem allerhand Daten und trägt den Abbau unter Tage in detaillierte Karten ein.

In Zielitz haben gewaltige Geräte, die heute das Salz abfräsen, Hacke und Schaufel abgelöst: In den Sechzigerjahren dringen die ersten Menschen in das Erdreich nahe Magdeburg vor. Nur wenig später wird das erste Rohsalz abgebaut. Nach der Wende übernimmt K+S das Kommando. Heute werden gut zwölf Millionen Tonnen Rohsalz im Jahr aus den Stollen geholt. Etwa zwei Millionen Tonnen Produkte, vor allem Düngemittel, aber auch Salze für die Lebensmittel- und Chemieindustrie verlassen das Werk im Norden Sachsen-Anhalts. Das Abbaugebiet unter Tage ist derzeit in etwa so groß wie die Fläche der Stadt Magdeburg. Ein rund 600 Kilometer langes Straßennetz verbindet die Reviere, in denen die K+S-Mitarbeiter täglich schuften.

Straßenschilder gibt es hier unten nicht, auch kein GPS. Immerhin funktioniert die Funkverbindung. Am Anfang schallt Kristin Große-Allermann durch den Lautsprecher der ein oder andere Spruch entgegen. Heute steuert die Bergfrau den wuchtigen Geländewagen zielsicher durch den Salzstock. Bis zu 40 Stundenkilometer sind erlaubt. Die Straße besteht zwar aus angefeuchtetem und verdichtetem Salz, bröckelt aber an einigen Stellen. „Die Kunst besteht darin, den vielen Schlaglöchern auszuweichen“, sagt Große-Allermann. Unfälle sind an der Tagesordnung, häufig bleibt es aber bei Blechschäden.

Auf den Grubenwegen sind Hunderte Fahrzeuge und Maschinen unterwegs. Große Kolosse werden in Einzelteilen nach unten gebracht und hier montiert. In über 700 Metern Tiefe ist eine kleine Stadt entstanden. Es gibt Werkstätten, eine Tankstelle, Pausenräume, Verwaltungscontainer. Riesige Ventilatoren sorgen für einen ständigen Luftaustausch. Ein Fließbandnetz und Lastenaufzüge transportieren das abgebaute Rohsalz in Richtung Tageslicht. Branchenexperten schätzen, dass K+S derzeit mit einer Tonne Salzprodukt gut 100 Euro verdient. Allerdings schwanken die Preise auf dem Weltmarkt stark. Vieles, was unter Tage abgebaut und an die Erdoberfläche befördert wird, ist ohnehin unbrauchbar: Nur gut zwölf Prozent des Rohsalzes kann weiterverarbeitet werden.

Der Rest lagert auf den mehr als 100 Meter hohen Halden. Die Hügel mit dem salzigen Abraum gelten als die höchsten Erhebungen zwischen dem Harz und der Ostsee. Menschen in der Umgebung von Zielitz nennen die künstlichen Berge liebevoll Kalimandscharo. Auch Kristin Große-Allermann fährt ab und an hinauf und lässt sich den Wind um die Nase wehen.

Dann denkt sie an das, was ihr der Bergbau gegeben hat: Kristin Große-Allermann hat unter Tage die Liebe gefunden. Vor einigen Jahren lernt sie unter all den Männern ihren Ehemann kennen, der als Techniker bei einer Fremdfirma arbeitet. Heute sind die Eheleute Große-Allermann stolze Eltern der einjährigen Jule.

Doch auch das Risiko fährt immer mit in die Grube ein. Erst vor einigen Jahren starb in Zielitz ein Kumpel, als Tausende Tonnen Salz von der Decke fielen und einen Mann unter sich begruben. „Das holt einen zurück auf den Boden der Tatsachen. Ein bergmännisches Restrisiko besteht immer“, sagt Große-Allermann.

Etwa einmal in der Woche ist die Bergfrau in Zielitz unter Tage. Ansonsten ist ein Büro im Verwaltungsgebäude ihr dienstliches Zuhause. An der Wand hängt ein Kalender mit Männern. Der Mai-Boy lässt die Muskeln spielen. Auch auf der Erdoberfläche arbeitet Kristin Große-Allermann stets in männlicher Begleitung.