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Bildungsminister Tullner sieht Risiko für kleine Schulen

Sachsen-Anhalts Bildungsminister Marco Tullner (CDU) will mehr Lehrer einstellen, sieht aber erhöhte Ausfallrisiken an kleinen Landschulen.

Von Alexander Walter 27.12.2016, 00:01

 

Volksstimme: Herr Tullner, Weihnachten ist die Zeit der Geschenke. Können Sie Schülern, Lehrern und Eltern heute zumindest eine bessere Unterrichtsversorgung in Aussicht stellen?

Marco Tullner: Weihnachten werden gern Geschenke verteilt. Aber die Realitäten bleiben. Wir haben viel Kraft aufgewendet, um das Thema anzugehen. Im vergangenen Jahr haben wir 729 Lehrer neu eingestellt. Das ist mit Abstand die größte Zahl an Lehrern, die das Land je eingestellt hat.

In Burg rechnet der Elternrat einer Grundschule mit dem Ausfall von mehr als 50 Wochenstunden im neuen Jahr. An der Grundschule Gossa (Anhalt-Bitterfeld) haben zuletzt Eltern den Unterricht übernommen. Müssen Eltern und Schüler sich 2017 auf weitere Negativrekorde einstellen?

Ich kann sie im Extremfall nicht ausschließen, das wäre auch unehrlich. Wir haben uns bei den Grundschulen bewusst dafür entschieden, im ländlichen Raum viele kleine Standorte zu erhalten, wo zum Teil nur vier Lehrer vor Ort sind. Wenn dann ein Lehrer krank wird, sind 25 Prozent der Unterrichtsversorgung in Gefahr. Für solche Fälle gibt es Notlösungen, etwa klassenübergreifenden Unterricht. Hier müssen wir aber noch flexibler agieren. Das ist ein Preis, den man im Interesse eines Schulnetzes im ländlichen Raum aber zahlen kann.

Laut Lehrergewerkschaft GEW müssen zwischen 2015 und 2025 rund 8500 Lehrer ersetzt werden. Worauf dürfen sich Lehrer und Eltern bei den Neueinstellungen im nächsten Jahr einrichten?

Ich kann die Zahlen so nicht nachvollziehen. Wichtig für uns ist: Wir werden jede Stelle eines Kollegen, der aus dem Beruf ausscheidet, neu besetzen können. Außerdem werden wir den Personalkörper schrittweise von derzeit 14 020 auf 14 500 Vollzeitstellen im Jahr 2020 aufstocken. Das zeigt, dass wir die richtigen Weichen gestellt haben. Andererseits können wir nicht immer nur danach schreien, die Ressourcen auszuweiten. Wir müssen auch die Effizienz der eingesetzten Mittel steigern. Aus meiner Sicht hat die Unterrichtsversorgung dabei absolute Priorität. Da müssen dann Dinge wie Abordnungen, Fortbildungen während der Unterrichtszeit oder Anrechnungsstunden auch mal zurückstehen.

Wie viele Lehrer werden Sie 2017 nun einstellen?

Wir rechnen mit 500 bis 700 Stellen, inklusive der 165 Stellen, die jetzt bereits für 2017 ausgeschrieben worden sind. Die Vorbereitungen dafür laufen auf Hochtouren.

Seit einigen Tagen können sich Lehrer in Sachsen-Anhalt nur noch online bewerben. Am 20. Dezember lief die Frist für die erste Bewerberrunde ab. Wie erfolgreich war sie?

Für die 165 ausgeschriebenen Stellen haben wir mehr als 450 Bewerbungen bekommen. Die ersten Erkenntnisse sind, dass wirklich die Effekte eintreten, die wir uns erhofft hatten. Als ich anfing, hatten wir Waschkörbe voller Bewerbungen. Jede ist händisch eingegeben worden. Das hat, trotz des hohen Engagements der Mitarbeiter, zum Teil Monate gedauert. Dass wir jetzt schon die ersten Stellenangebote verschicken konnten, ist geradezu ein Quantensprung in der Abarbeitung.

Zum Jahresende verlassen knapp 100 von 180 befristetet eingestellten Sprachlehrern die Schulen. Wie sollen ausländische Kinder, die kein Wort Deutsch können, ohne Förder-Unterricht in unserer Gesellschaft ankommen?

Es gab auch vor den Sprachlehrern Zuwanderung und da ist im ganz normalen gemeinsamen Unterricht auch Integration und Sprachförderung betrieben worden. Deshalb sollten wir keine Weltuntergangsszenarien malen. Wir haben jetzt 88 Sprachlehrer bis zum Schuljahresende verlängert und zusätzlich 50 unbefristete Kollegen. Mit ihnen werden wir den Bedarf decken können. Die Befristung für die Sprachlehrer zum 31. Dezember halte ich nach wie vor für eine merkwürdige Entscheidung, sie fiel aber vor meiner Zeit.

Sie haben die Abordnung Dutzender pädagogischer Mitarbeiter durch das Landesschulamt zu Beginn des Schuljahres als „unterirdisch“ bezeichnet. Hat das Amt nicht einfach einen Beschluss des Bildungsministeriums umgesetzt?

Ich habe eine Situation vorgefunden, in der das Netz pädagogischer Mitarbeiter faktisch gerissen war, es galt zu handeln. Die Umsetzung habe ich gewollt. Was ich als unterirdisch bezeichnet habe, war die Frage, wie das passierte. Das war eine Kommunikation, die man auf einem preußischen Kasernenhof erwartet. Man kann einer gestandenen Mitfünfzigerin nicht mitteilen: Du bist in drei Tagen da, ohne Gründe, ohne Kontext. Da hätte ich vom Landesschulamt erwartet, dass man das erklärt und so umsetzt, dass das Vorgehen der Personalführung des 21. Jahrhunderts entspricht.

Trotz Bekenntnisses zum Leiter des Landesschulamts Torsten Klieme (SPD) haben sie ihn kurz darauf von der Aufgabe entbunden. Warum?

Ich bitte um Verständnis, dass ich eine Bewertung der Arbeit von Mitarbeitern in der Öffentlichkeit nicht vornehmen kann und auch nicht will. Betonen möchte ich allerdings, dass es ausschließlich um fachliche Aspekte ging.

Was macht die kommissarische Nachfolgerin Simone König denn besser?

Ich bin beeindruckt, dass es Frau König gelungen ist, innerhalb von vier Wochen parallele Besetzungsverfahren für die Sprachlehrer und die pädagogischen Mitarbeiter zu organisieren und gleichzeitig die neue Ausschreibungsrunde im Onlineverfahren vorzubereiten.

Wie geht es mit den pädagogischen Mitarbeitern an den Schulen weiter?

Das wird 2017 eine der zentralen Fragen. Wir haben jetzt 50 Mitarbeiter die wir Anfang Januar einstellen, plus 54, die wir im Februar nachbesetzen können. Das gibt uns Luft, den Status quo zu erhalten. Da aber viele Kollegen über 55 Jahre alt sind, werden wir bis Mitte des Jahres ein Konzept aufstellen. Darin wird es auch darum gehen, welche Dinge wir uns noch leisten können und wollen.

Sind die festen Öffnungszeiten an den Grundschulen durch den Wegfall pädagogischer Mitarbeiter bedroht?

Es gibt auch heute schon Grundschulen ohne pädagogische Mitarbeiter. Aber in der Tat müssen wir diese Diskussion führen. Wenn es nach mir geht, würde ich gern den Status quo beibehalten. Mein Ziel ist es, die qualitativen Ansprüche und einen effizienten Mitteleinsatz in Einklang zu bringen.

Sie setzen bei der Verbesserung des Schulsystems auf die Digitalisierung. Wohin soll die Reise gehen?

Wir wollen die Schulen bis 2018/19 am Breitbandnetz haben und Strategien für die technische Ausstattung entwickeln. Auf der anderen Seite müssen wir schauen, wie die Digitalisierung den Unterricht inhaltlich verändert, und wir müssen die Lehrkräfte kontinuierlich fortbilden. Ich will auch nicht ausschließen, dass es in 20 Jahren im ländlichen Raum Tele-Unterricht gibt, wenn der Lehrer mal krank ist. Israel hat damit gute Erfahrungen gemacht. All das muss aber immer pädagogisch sinnvoll sein.