1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Der jodelnde Bürgermeister

Jodlerwettstreit Der jodelnde Bürgermeister

Jodler treffen sich auf der Waldbühne Altenbrak zum Harzer Jodlerwettstreit. Einer, der sich auf Jodelbühnen auskennt, ist Jörg Methner.

Von Bernd Kaufholz 31.08.2019, 01:01

Osterweddingen l 100 aktive Jodler aus dem Harz treffen sich am Sonntag ab 10 Uhr auf der Waldbühne in Altenbrak zum 67 Harzer Jodlerwettstreit. In verschiedenen Klassen – von Kindern und Jugendlichen über Duette, Terzette – bis hin zu den Meisterklassen wird gejodelt. Einer, der sich seit 35 Jahren auf den Jodelbühnen auskennt, ist Jörg Methner, Bürgermeister von Sülzetal.

1980 wurde Jörg Methner zum Grundwehrdienst bei der Bereitschaftspolizei nach Berlin eingezogen. „Und ich hatte Glück“, erinnert sich der Altenweddinger an den Beginn seiner Jodel- und Gesangs-Karriere. „Ich konnte bei einer Singegruppe mitmachen. und war sogar Solist.“

Trotzdem habe er während der 18 Monate „Langeweile gehabt. Ich wollte etwas dagegen tun und etwas Besonderes machen und da kam mir das Jodeln in den Sinn – für einen Bördeflachländer natürlich etwas ungewöhnlich“, schmunzelt der 60-Jährige. Gute Jodel-Voraussetzungen habe er gehabt, weil er schon in der Singegruppe „Tenor mit hohen Kopftönen“ gewesen sei.

„Ich habe mich im Gemeinschaftswaschraum versteckt, weil ich mich vor meinen Kameraden nicht zum Klops machen wollte.“ Seine ersten Jodel-Lieder seien das Rennsteiglied vom bekannten DDR-Volksmusiker Herbert Roth und das Kufsteinlied.

„Mit dem Klassiker über die Stadt in Österreich kam ich allerdings während meines Grundwehrdienstes nicht gut an. Die Textzeilen: Kennst du die Perle, die Perle Tirols? Das Städtchen Kufstein, das kennst du wohl! passten meinen Vorgesetzten nicht. Ich musste das Lied umtexten.“

Der „singende Polizist“, wie Methner von nun an seinen Spitznamen weg hat, wurde herumgereicht. „Zugegeben, ich war ein Aushängeschild, der die Volksnähe der Volkspolizei rüberbringen sollte. Nach dem Motto: Der Methner ist einer von uns. Manchmal stand abends eine Funkstreife vor meiner Tür und Kollegen holten mich auf Befehl vom Chef der Polizeibezirksbehörde ab, damit ich bei einer Veranstaltung auftrete. Aber das hat mich nicht gestört. Für mich kam es darauf an, dass ich mein Hobby weiter ausüben kann.“

Methner trat im Fernsehen auf und bei einer Großveranstaltung am Berliner Fernsehturm und im Palast der Republik. „Ich habe in das Volkslied ,Heut ist ein wunderschöner Tag‘ einen Jodler eingebaut und das fanden die Leute prima.“

Dann hörte der Polizist von den DDR-Jodler-Meisterschaften, die in den 1980er Jahren bis zu 22.000 Zuschauer zur Waldbühne nach Altenbrak lockte. Der Flachländer schrieb sich den „Bördejodler“ auf den Leib und trat damit im Harz an – und landete auf dem zweiten Platz. Auch der sogenannte frei Jodler – das Jodeln ohne Musik und Text – wurde honoriert.

„Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, dass ich so weit vorne lande“, freut er sich heute noch diebisch. Das hat mir natürlich Auftrieb und den Mut gegeben, das Jahr darauf erneut im Harz anzutreten. Auch deshalb, weil ich eine Menge Post bekommen hatte. Von Leuten, die den ,Bördejodler‘ unbedingt noch mal hören wollten.“

Doch der Jodel-Ausscheid ging (vorerst) in die Hose. Methner erinnert sich: „Natürlich habe ich wieder meinen Erfolgs-Jodler vom Vorjahr angeboten. Die Vorgehensweise war so, dass immer während der nächste Künstler auftrat, die Jury entschied. Als das Publikum und ich auf meine Wertung wartete, kam nichts.“

Zuerst habe er gedacht, dass es sich um ein Versehen handelt. Doch kurz darauf begründete die Jury, warum sie den „Bördejodler“ nicht gewertet hat: Zu schlagerhaft, als Jodellied ungeeignet.

„Das kann doch wohl nicht sein, habe ich den Tränen nahe, mein Veto eingelegt. Denn gerade mit diesem Vortrag war ich ja nicht einmal zwölf Monate zuvor Vizemeister geworden.“ Und da auch das Publikum lautstark seinen Unmut bekundet hat, entschied die Jury, dass ich noch mal ran darf – mit einem anderen Stück.“

Was nun geschah, treibt Methner heute noch die Schweißperlen auf die Stirne. „Mit einem Wort: aufregend. Ich kannte das Heimat-Lied: ,Wenn vom Harzer Land wir singen‘ von der Schallplatte. Das traute ich mir zu, obwohl ich es noch nie gesungen habe.“

Sein Glück sei gewesen, dass die DDR-Meisterin im Jodeln aus dem Harz Gisela Siering ihn unter ihre Fittiche genommen hat.

„Da ich erst am Ende der Veranstaltung meinen zweiten Auftritt haben sollte, hatte ich noch ein paar Stunden Zeit. Ich ging mit Gisela Siering auf eine Wiese hinter der Bühne, und wir probten.“

Bei seinem Auftritt zitterten Methner die Knie. Der kleine Zettel mit den Textzeilen in seiner linken Hand war schnell schweißdurchtränkt. Doch der Zweitstart lohnte sich, der jodelnde Polizist wurde Dritter. „Wie stolz ich danach war, kann sich ja wohl jeder denken.“

Bei seiner dritten Teilnahme am Jodelwettbewerb wurde Methner Vierter. „Danach bin ich noch einige Male als Gast in Altenbrak aufgetreten.“

Doch 1987 war es mit seiner Jodelei erst einmal vorbei. „Ich sollte zur Bezirksparteischule der SED delegiert werden. Aber ich habe das abgelehnt. Das Ergebnis war: Auftrittsverbot.“ Ihn aus dem Polizeidienst zu entfernen, trauten sich seine Vorgesetzten nicht. Dafür sei er DDR-weit zu bekannt gewesen.

Dann wird er nachdenklich. „Aber ich gebe es zu: eigentlich juckt es mir seit einigen Jahren wieder auf den Stimmbändern. Ich glaube, es ist Zeit, dass ich mich auf der Waldbühne mal wieder sehen lasse.“ Nach der Wende war Methner zur Jubiläumsveranstaltung in den Harz eingeladen worden. Er kam als Duo mit seinem Freund Oleg Dubrowski, einem Profisänger der russischen Streitkräfte. Zusammen gaben sie den Bördejodler.

„Mit Oleg hatte ich auch einige Auftritte in russischen Kasernen. Auf der Fahrt dorthin musste ich mir immer eine russische Uniform anziehen, um die langwierigen Formalitäten, zu umgehen, denen sich ein Deutscher unterziehen musste, wenn man in ein Streitkräfteobjekt wollte.“

Und Methner war auch der erste DDR-Polizist, der bei einer Tournee mit dem Magdeburger Drushba-Ensemble auf dem Roten Platz jodelte. Der 60-Jährige hat seinen Ruf als jodelnder Polizist – davon gibt es in Sachsen-Anhalt nur zwei – über die Wende hinweg gerettet. Ganz gleich, ob als grünuniformierter Volkspolizist in den Kreisämtern Oschersleben und Wanzleben oder als Beamter in blauer Uniform im Salzlandkreis, die Menschen lieben ihren Bördejodler.

„Während der Flut 2013 musste ich im Salzlandkreis Menschen evakuieren. In Groß Rosenburg wollte ein Rentner nicht fort, weil er um seine Tiere Angst hatte.“ Er erkannte Methner und der versprach ihm, bei einem Dankeschön-Konzert für alle Fluthelfer aufzutreten und ihn einzuladen. „Gemeinsam mit Michael Hirte, dem Mann mit der Mundharmonika, sagte ich nach dem Hochwasser allen Fluthelfern Dankeschön. Es war ein sehr emotionaler Abend.“

Angefasst ist Methner dann auch, wenn er auf seinem Smartphone ein Lied abspielt, das er mit seiner heute 19 Jahre alten Tochter aufgenommen hat. Carolin leidet an einer sehr seltenen Muskelkrankheit.

„Vor drei Jahren konnten wir noch gemeinsam singen“, wird seine Stimme leise, „heute geht das nicht mehr. Wir haben damals eine CD besungen, unter anderem mit dem Lindenberg-Titel ,Wozu sind Kriege da?‘“.

Der jodelnde Polizeihauptkommissar, dessen Dienstverhältnis bis zu seiner Pensionierung vor einigen Wochen ruhte, weil er hauptamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Sülzetal wurde, hat ein Lied für seine kranke Tochter geschrieben. Ganz getragen und völlig ohne das Jodeln, das ihn bekannt gemacht hat. „Die Strophe: Wir allein, wir werden kämpfen ..., haben wir zweistimmig gesungen. Bis es ihre Lunge nicht mehr geschafft hat.“

Auch Loriot, der Meister des tiefgründigen Humors, hat sich des Themas „Jodeln“ in einem seiner unvergleichlichen Sketche angenommen.