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Schulabschluss Meidt: "Haben Grips, um mehr zu machen"

Ahmad Salehi und Alexander Meidt haben sich ihren Hauptschulabschluss durch einen Kurs an der Volkshochschule erarbeitet.

Von Anne Toss 13.07.2016, 01:01

Stendal l Eigentlich ist es doch gar nicht so schwer, in Deutschland einen Schulabschluss zu machen, mag sich manch einer denken. Immerhin hat man mit 16 Jahren und nach erfolgreichem Abschluss der 9. Klasse zumindest den Hauptschulabschluss in der Tasche. Den sogenannten ersten allgemeinbildenden Schulabschluss. Trotzdem bleibt diese Ausgangsposition aus den verschiedensten Gründen für einige unerreicht – so auch für Ahmad Salehi (19) und Alexander Meidt (19). Das Verheerende dabei ist, dass ein fehlender Schulabschluss oft einen Rattenschwaz an weiteren Problemen hinter sich herzieht: keinen Ausbildungsplatz, schlecht bezahlte Jobs, Abhängigkeit von Hartz IV.

Vor 16 Monaten haben sich nun beide entschlossen, ihre Situation selbstständig zu ändern. Im Juni konnten sie ihr Zeugnis entgegennehmen – nach 336 Unterrichtsstunden an der Volkshochschule (VHS) Stendal. Es ist ein Hauptschulabschluss, der 594 Euro wert ist, denn so viel hat die Kursteilnahme gekostet. „Ich habe Gott sei Dank die richtigen Eltern, sonst hätte ich es zwar gewollt, aber aus finanzieller Sicht nicht gekonnt“, sagt Alexander. Ahmad ging es ähnlich, allerdings musste er sich die Teilnahme zum Großteil selbst finanzieren: „Meine Eltern haben mich auch mit kleinen Beiträgen unterstützt. Aber ich habe vor und während des Kurses in einem Dönerladen gejobbt. Das war schon richtig schwer“, berichtet er.

Trotz der Kosten stand für beide fest, dass sie das Angebot der VHS annehmen wollen. „Ich habe mich zuerst beim Arbeitsamt informiert, auch über mögliche Fördermöglichkeiten. Die einzige Alternative, die gefördert wird, war die Unterrichtsteilnahme in der Klasse, in der auch Drogensüchtige sind. Das wollte ich wiederum nicht“, berichtet Alexander. Dass die VHS durch den Kurs keinen großen Gewinn einfahren kann, wird nach einer genaueren Betrachtung des Preises klar. „Für rund 600 Euro haben die Teilnehmer 336 Unterrichtsstunden. Das bedeutet, eine Unterrichtsstunde kostet nicht einmal zwei Euro. Wer kann das schon anbieten?“, so ein Mitarbeiter der VHS. Denn immerhin müssen auch die Dozenten und weitere anfallende Kosten wie Miete und Strom bezahlt werden.

Die beiden 19-Jährigen konnten aus unterschiedlichen Gründen bisher keinen Schulabschluss vorweisen. Alexander besuchte ein Gymnasium, als bei ihm chronische myelonische Leukämie (CML) diagnostiziert wurde. „Ab der achten Klasse war ich krankheitsbedingt komplett raus“, sagt er, davor musste er bereits immer wieder Klassenstufen wiederholen, da er aufgrund der Krankheit öfter für längere Zeit ausfiel. „An sich gelte ich mittlerweile als geheilt, aber mit Einschränkungen“, sagt der 19-Jährige. Die Option, an eine reguläre Schule zurückzugehen, bestand für ihn allerdings nicht. Aber: „Ohne Schulabschluss bist du in Deutschland ja nichts wert.“

Bei Ahmad hingegen bestand das Problem nicht darin, dass er keinen Schulabschluss hat, sondern dass dieser in Deutschland nicht anerkannt wird. Als Kind afghanischer Eltern wuchs er bis zu einem 13. Lebensjahr im Iran auf. „Aber Iraner hassen Afghanen, deshalb sind wir nach Indien gegangen.“ Dort lebte er für drei Jahre und absolvierte einen Hauptschulabschluss. Doch dann gab es wegen des Visums Probleme und die Familie zog weiter nach Russland.

Erneute drei Jahre später, konnte Ahmad einen russischen Hauptschulabschluss vorweisen. Doch erneut zog er mit seiner Familie weiter, dieses Mal nach Deutschland. „Ich habe keine Papiere und Zeugnisse und die Anerkennung war nicht einfach, deshalb habe ich jetzt auch den deutschen Hauptschulabschluss gemacht.“

Um ihr Ziel zu erreichen, haben sie anderthalb Jahre lang immer dienstags und mittwochs die VHS besucht. Unterricht in den Fächern Deutsch, Mathe, Biologie, Geschichte und Sozialkunde stand auf dem Stundenplan. „Es ist ein ganz anderer Unterricht, da jeder will, jeder mitgearbeitet hat. Das habe ich so noch nicht erlebt“, berichtet Alexander. Ihre Prüfung haben sie schlussendlich in der Wladimir-Komarow-Sekundarschule abgelegt.

Der Kurs „Vorbereitung auf die Prüfung zum Hauptschulabschluss“ wird seit über sechs Jahren von der VHS angeboten. Und das nicht ohne Grund: In Sachsen-Anhalt verlässt fast jeder neunte Schüler die allgemeinbildenden Schulen ohne einen Hauptschulabschluss. Die Möglichkeit, als Erwachsener den Hauptschulabschluss nachzuholen, haben neben Alexander und Ahmad noch weitere acht Teilnehmer wahrgenommen. Sieben haben es bis zur Prüfung geschafft, sechs davon schlussendlich bestanden.

Doch dieser Abschluss reicht den beiden noch lange nicht aus. „Ich muss weitermachen, überlege zu studieren. Ohne Schulabschlüsse und Zeugnisse kann man in Deutschland nicht leben“, sagt Ahmad. Nach der Zeugnisübergabe hat er sich bei der Deutschen Vermögensberatung beworben und einen Ausbildungsplatz als Versicherungskaufmann erhalten. Seine Sprachkenntnisse hätten ihm dabei geholfen. „Ab Oktober habe ich mich jetzt für einen Spanischkurs angemeldet.“

Würde er sich nicht immer weiterbilden, wäre für ihn ansonsten nur der Job im Dönerladen oder eine Arbeit als Reinigungskraft übriggeblieben. Alexander wirft ein: „Reinigungskräfte, Kellner und Verkäufer sind alles ehrenwerte Berufe, aber wir haben genug Grips, um mehr zu machen.“

Und auch für Alexander steht fest, dass es weitergehen muss und wird. „Ich halte die Augen auf, wo ich eine Chance kriegen kann“, sagt er. Sein Favorit ist der Kurs zur Vorbereitung auf den Realschulabschluss an der VHS. Sollte sich vorher allerdings etwas anderes ergeben, ist er auch dafür offen. „Mein Ziel ist ein Studium, gerne Physik. Wenn mir das gefällt, würde ich später gerne in Richtung Astrophysik gehen.“