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Leseranwältin Dürfen Kommentare einseitig sein?

Aktualisiert: 04.02.2024, 18:17
Leseranwältin Heike Groll
Leseranwältin Heike Groll VS

Leserinnen und Leser erwarten von der Redaktion der Volksstimme, dass sie ausgewogen und objektiv berichte – zu Recht, dies ist schließlich die wichtigste Aufgabe des Journalismus. Nicht erfüllt, fand ein Leser und verwies auf den kürzlich erschienenen Kommentar eines Redakteurs zum Beitritt Schwedens zur Nato. Das sei an Einseitigkeit nicht zu überbieten und habe aus seiner Sicht mit neutralem Journalismus nichts zu tun.

Wäre der Text als normaler Bericht zum Beispiel auf der Politik-Seite erschienen, wäre die Kritik völlig berechtigt; gerade bei kontroversen Themen müssen die wichtigen Argumente aller Seiten abgebildet sein. Tatsächlich war der Beitrag aber auf der Seite „Meinung und Debatte“ und dort in der Rubrik „Kommentare“ erschienen. Somit ist klar: Was dort steht, ist die subjektive Ansicht des jeweiligen Autors.

Ob er schreibt, was viele denken, oder eine Einzelmeinung vertritt, ob er Für und Wider erläutert oder ausschließlich Argumente herausgreift, die seine Position stützen, das entscheidet allein er. In jedem Falle macht er ein Meinungsangebot – mit Betonung auf „Angebot“. Es ist wiederum allein Sache der Leserinnen und Leser, ob sie die Position des Autors teilen oder ihr heftig widersprechen. Beide Seiten haben also das Grundgesetz auf ihrer Seite, das in Artikel 5 jedem unter anderem das Recht garantiert, „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“.

Dazu gehört freilich, dass alle Beteiligten es aushalten müssen, wenn andere ihnen widersprechen, eine Meinung ärgerlich oder falsch finden. Jeder weiß aus eigener Erfahrung, wie unbequem und schwierig das sein kann. Doch es ist nicht, wie mancher glaubt oder behauptet, das Ende der Meinungsfreiheit, sondern ihr Anfang. Denn wo mehr als eine einzige Sichtweise zur Debatte steht, da öffnen sich Möglichkeiten für Austausch, Gedankenanstöße und manchmal auch für Lösungen, auf die man allein im stillen Kämmerlein oder ausschließlich unter Gleichgesinnten womöglich nie gekommen wäre.