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Leseranwältin Ein vager Verdacht reicht nicht

12.03.2024, 13:49
Leseranwältin Heike Groll
Leseranwältin Heike Groll VS

In journalistischen Berichten geht es um reales Geschehen. Und doch findet man öfter Formulierungen im Konjunktiv, der vorsichtigen Möglichkeitsform: „XY soll das getan haben“ statt „XY hat das getan“.

Eine Leserin zeigte sich besorgt um die Glaubwürdigkeit der Medien, wenn so unter Umständen Gerüchte geschürt werden, die sich als unwahr herausstellen könnten. Von den Folgen für Betroffene ganz abgesehen. Die Verdachtsberichterstattung gehört zu den schwierigsten Feldern im Journalismus. Weil die Auswirkungen so schwerwiegend sein können, muss sie besonders strengen Anforderungen an Recherche und Darstellung genügen.

Redaktionen müssen abwägen

Der Pressekodex, das Regelwerk des Journalismus, fordert ohnehin grundsätzlich, dass Informationen mit gebotener Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden. Ein vager Verdacht reicht nicht aus, ein einzelnes Indiz oder eine einzige Aussage rechtfertigt noch lange keine Berichterstattung. Journalisten müssen ihre Recherchen auf mehrere, voneinander unabhängige Quellen stützen. Erhärtet sich ein Verdacht auf diese Weise, müssen Redaktionen abwägen: Überwiegt das Interesse der Öffentlichkeit, zu wissen, dass ein Vorwurf im Raum steht, das Schutzinteresse der Betroffenen? Bei Korruptionsverdacht im politischen Bereich ist das meist der Fall. Man stelle sich umgekehrt die Konsequenzen vor, dürften Medien nicht schon bei begründetem Verdacht berichten: Mancher Missstand bliebe unter der Decke, die Bürger hätten vielleicht nie etwas über die Wahlfälschung in Stendal 2014 mit ihren weitreichenden Auswirkungen erfahren.

Ist klar, dass berichtet werden kann, geht es um das Wie. Laut Pressekodex sind unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen als solche erkennbar zu machen. Darum „XY soll getan haben“ statt „XY hat getan“. Insgesamt muss die Darstellung möglichst objektiv und frei von Vorverurteilung sein. Wenn es Entlastendes gibt, gehört auch dies in einen Artikel. Und dem Betroffenen muss die Möglichkeit angeboten werden, Stellung zu nehmen.