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Malerei Das schöne Grau

Den Magdeburger Uwe Wendler faszinieren im Winter das Licht und die Farbtöne. Zahlreiche Orte sind Motive für seine abstrahierten Bilder.

Von Klaus-Peter Voigt 18.02.2017, 23:01

Magdeburg l Am frühen Vormittag setzt sich Uwe Wendler auf sein Fahrrad. Entlang der Elbe in Magdeburg fährt der 71-Jährige in die freie Natur. Sein Gepäck ist klein. In einer verschlissenen Leinentasche findet sich nur Stifte und ein Skizzenblock. Die Minusgrade und der kalte Wind stören den Maler aus Leidenschaft wenig. Wichtig sind die dicken Handschuhe. Die Finger müssen warm bleiben, damit das Zeichnen gut von der Hand gehen kann.

Wendlers Blick streift durch die Landschaft. An einem fast ausgetrockneten Nebenarm des Flusses hat er den richtigen Platz gefunden. Das Fahrrad bleibt am Wegesrand zurück. Knorrige alte Bäume, Schneereste und mit einer leichten Eisschicht überzogenes Laub mögen für den Außenstehenden an diesem wolkenverhangenen Tag wenig attraktiv sein. Graue, blaue und schwarze Töne dominieren.

Für den Maler zeigt sich ein ganz anderes Bild. Die Reduktion auf das fahle Licht und kalte Farbtöne faszinieren ihn, fordern das künstlerische Herangehen. Obwohl er sich eigentlich als einen farbenfreudigen Menschen bezeichnet, sind solche Aufgaben unverzichtbar. „Wer will eine Landschaft immer nur bei Sonnenschein erleben? Das wäre doch langweilig“, lautet die eher nüchterne Erklärung.

Auf dem A4-Blatt des Skizzenblocks entsteht die grobe Struktur der Umgebung. Zu den Umrissen von Bäumen, die an die geometrische Grundform des Zylinders erinnern, gesellen sich die Kegel der Büsche. Noch einige Male wechselt Uwe Wendler den Ort, zeichnet schnell und konzentriert, denn die Kälte klettert unvermeidlich vom Boden ausgehend den Körper hinauf. Nach knapp einer Stunde ist für heute Schluss.

Das warme Atelier in der Wohnung direkt unter dem Dach eines Gründerzeitbaus in der Magdeburger Altstadt lockt zu sehr. An den Wänden ist kaum ein Platz frei. Überall hängen Aquarelle, Ölbilder und Acrylarbeiten, gewähren einen kleinen Einblick in das Schaffen des Mannes, der sich selbst durchaus als „ein wenig besessen von der Malerei“ bezeichnet. Da sprechen die Arbeiten für sich, belegen die Vorliebe für Reisebilder mit Architektur und Landschaft. Dazwischen zudem Porträts, einige Aktstudien. Vorlagen für die spätere Arbeit im Atelier finden sich in kleinen Büchern oder auf Papier.

Erst später werden die dort festgehaltenen Erlebnisse und Eindrücke umgesetzt, fällt die konkrete Entscheidung für Maltechnik und Format. Florenz, Toronto, Paris, Plovdiv oder New York boten neben vielen anderen Orten Motive für die stets leicht abstrahierten Bilder. Dennoch blieb die engere Heimat nie außen vor. Der Magdeburger Dom übt dabei eine besondere Anziehungskraft aus. Bei einer Kunstaktion in der Galerie „Himmelreich“ vor vielen Jahren entstand das markante Gotteshaus fast drei Meter hoch in satten Blautönen, für das sich umgehend eine Liebhaberin fand.

Mit Acryl- oder Aquarellfarben malt Uwe Wendler inzwischen eher selten bei seinen Streifzügen direkt im Freien. Sein bei einer Reise in die Sowjetunion gekaufter Edjutnik – wörtlich übersetzt Skizzenbuch – steht heute meist in der Ecke. Das kleine Holzköfferchen bietet Platz für Malutensilien und wird durch ausklappbare Füße zur Feldstaffelei. Im Winter verbietet sich die Nutzung fast von selbst. Nicht nur, dass die Kälte dem Künstler zusetzt, die Farben wären bei Frost keineswegs nutzbar. So kann die Skizze vielfältig Verwendung finden, sichert Eindrücke, gibt Inspirationen. Und sie macht Lust auf ein sich ständiges Ausprobieren.

Der 71-Jährige legt vier Blätter auf den Tisch. Eine Ruine in Hundisburg hat er in allen vier Jahreszeiten dargestellt, die Wirkung schaffen die passenden Farben. Schon spielen Grau, Schwarz und Weiß wieder eine Rolle, prägen den Winter. „Sie unbunt zu nennen halte ich schlicht falsch. In ihnen steckt jede Menge Ausdruckskraft“, erläutert der Maler. Andere Farben profitierten von ihnen, bekommen so ihre Strahlkraft und ihre Abstufungen von hell zu dunkel. Ihm reiche eigentlich die kleine Palette der Grundfarben, um alle anderen Töne zu mischen oder durch schichtweises Übermalen entstehen zu lassen. Gerade bei der Lasurtechnik des Aquarells gelangt man so zur gewünschten Ausdrucksform. Mit den passenden Stiften, deren Strich wasserlöslich ist, zeichnet Uwe Wendler grobe Umrisse des späteren Bildes.

Noch einmal spricht er von der Besonderheit des Grau. Es sei flüchtig, lasse Nebel entstehen und wieder aufreißen, um die Landschaft freizugeben. Untrennbar verbunden mit dem Weiß prägt es den Winter, bringt regelrecht andere Farben zum Strahlen. Weiß gehörte schon in der Antike zu den Ausdrucksmitteln beispielsweise bei den Marmorskulpturen, verkörperte später die Reinheit. Noch etwas zählt. Kalte Farben, zu denen das Blau gehört, fördern die perspektivische Darstellung, verhelfen Objekten zur Plastizität. Die scheinbar trostlosen Wintertage lassen das deutlich werden, machen Lust, sich darauf einzulassen und die Natur zu erkunden.

Uwe Wendler nennt sich selbst gern einen „musischen Menschen“. Als Heranwachsender in seinem Geburtsort Wiederitzsch bei Leipzig – „ich war immer ein mickriges Kerlchen“ – kam er öfter zur Kur, lebte zeitweise wegen der Krankheit der Mutter in unterschiedlichen Heimen. Dort förderte man die Liebe zur Musik, zum Malen, es wurde Sport getrieben. Bis in die Gegenwart ist ihm Bewegung wichtig, Radfahren oder joggen gehören zum Tagesablauf. In den Nachkriegsjahren genoss der Junge die vielen Möglichkeiten. Schließlich erlernte er das Spielen auf diversen Instrumenten, beherrschte die Violine ebenso wie die Gitarre. Mit letzterer agierte der Jugendliche in der Band The Ramblers, trat Anfang der 1960er Jahre regelmäßig öffentlich auf.

Sein Wunsch Formgestaltung zu studieren, blieb ein Traum. Basteln und Konstruieren lagen ihm, aber Studienplätze an der halleschen Burg Giebichenstein sehr begehrt. Schließlich führte der Weg zur Technischen Universität Dresden. Strömungstechniker sollte er werden. Mit dem Diplom in der Tasche ging es nach Heyrothsberge an das Institut der Feuerwehr.

Nun war wieder mehr Zeit, Zeit für die Kunst und volkskünstlerische Angebote gab es überall im Land. Uwe Wendler entdeckte den Mal- und Zeichenzirkel von Günter Pilling am Klubhaus der Eisenbahner. Dort trafen sich viele, die auf den guten Ruf und die exzellente Weiterbildung setzten. Naturstudien und klassische Arbeiten nach Modellen prägten, schufen die Voraussetzungen für künstlerisches und fachliches Können. Als 1986 Pilling die Stadt verließ, war die Leitung der Gruppe vakant. Nach 15-jähriger Mitgliedschaft übernahm sie Wendler.

Er war längst regelrecht besessen von seiner Freizeitbeschäftigung und nutzte jede Möglichkeit zur Weiterbildung, zum Gedankenaustausch mit Gleichgesinnten. Es gab zwischen Ostsee und Thüringer Wald regelmäßig Werkstattwochen, Kursangebote, Pleinairs. Mit der Wende – der Maler hatte inzwischen zum Schwermaschinenbaukombinat SKET gewechselt – stand vieles auf dem Prüfstand.

Der Zirkel am Klubhaus der Eisenbahner hörte irgendwann auf zu existieren. Wendler stand arbeitslos mit Mitte 40 auf der Straße, trat in den Verband Bildender Künstler ein, wagte den Schritt in die Selbstständigkeit. Projekte halfen, diese Zeit gut zu meistern wie im AMO-Klubhaus.

Mit der Galerie im Flur existierte ein besonderes Angebot, dass Ausstellungen für Malerei, Fotografie, Grafik und anderes unterbreitete. Sechs Jahre lang kümmerte sich Uwe Wendler um die gesamte Organisation. Zahlreiche Kunstprojekte mit Kindern und Jugendlichen folgten. Rastlos leitet er bis heute eine Reihe von Zirkeln unter anderem an der Jugendkunstschule.

Der Kalender ist gut gefüllt, Langeweile gibt es nicht, den klassischen Ruhestand ebenso wenig. Entspannung findet sich in der Natur mit Skizzenblock und Stiften, irgendwo in der Börde oder an der Elbe.