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Olympia-Serie Hauptsache, das Publikum reagiert

Der Magdeburger Schauspieler Peter Wittig spricht über den Olympia-Begriff Publikum.

Von Elisa Sowieja 29.07.2016, 01:01

Herr Wittig, stellen Sie sich vor, Sie geben in einer Szene gerade alles – und dann klingelt ein Handy. Was geht Ihnen in solchen Momenten durch den Kopf?

Peter Wittig: Dann denke ich: Oh, der hat nicht zugehört. Am Anfang der Vorstellung wird nämlich gesagt, dass man die Handys ausstellen soll.

Sind Sie denn nicht sauer?

Nein, weniger. Ich habe mich an Geräusche gewöhnt. Früher am Kinder- und Jugendtheater gab es oft Schulveranstaltungen. Dort herrschte meist Unruhe im Zuschauerraum. Man hat dann einfach darüber hinweggespielt, hat lauter gesprochen – oder ganz leise. Manchmal ist auch ein Kollege an die Rampe getreten und hat gesagt: „Wenn ihr nicht ruhig seid, könnt ihr auch nach Hause gehen.“ Ab und zu wurde man sogar mit Gummibändern beschossen. Und einmal hat eine Lehrerin in der ersten Reihe ein Buch gelesen – das habe ich ihr dann weggenommen.

Wie viel sehen Sie überhaupt vom Publikum?

Im Theater ist es so dunkel, dass man nichts sieht, höchstens mit Mühe noch die Menschen in der ersten Reihe.

Würden Sie sich wünschen, mehr zu sehen?

Eher nicht, weil das verunsichert. Wenn ich Kollegen in ersten Reihen sitzen sehe, denke ich: „Oh Gott, jetzt musst du dir besonders Mühe geben.“

Wie sehr achtet man denn auf Zuschauer?

Man freut sich, wenn die Leute reagieren. Auch wenn sie quatschen oder mit Gummis schnippsen, ist das eine Reaktion auf das, was stattfindet. Es ist mir lieber, als wenn sie schnarchen.

Was bedeutet jemandem, der vor Publikum steht, dessen Reaktion?

Viel. Schließlich will man bei den Leuten etwas bewegen. Man will merken, sie nehmen das, was wir tun, auf, sie freuen sich oder verlassen zumindest nicht den Saal.

Haben Sie schonmal ein Publikum verflucht?

Eigentlich nicht. Ich bin ja froh, dass die Leute kommen.

Was macht eine gute Zuschauerschaft aus?

Ein gutes Publikum ist eines, das lebhaft reagiert und mitgeht. Das hört man dann nicht nur am Applaus, sondern zum Beispiel auch am Atem der Zuschauer.

Wenn man die ganze Zeit nichts hört, spricht das für ein schlechtes Publikum?

Nein, oft irrt man sich auch. Manchmal kommt beim Spielen gar nichts, aber am Schluss gibt es einen tollen Applaus und man merkt, die Leute waren doch dabei.

Was kennzeichnet dann ein schlechtes Publikum?

Ich wüsste nicht, was ein schlechtes Publikum ausmachen sollte. Wobei: Schwierig ist es vielleicht, wenn es getrunken hat. Am Theater an der Angel habe ich es manchmal erlebt, dass eine größere Gruppe direkt vom Weihnachtsmarkt kam, alle hatten viel Rotwein getrunken. Beim Stück hörte man dann aus den hinteren Reihen ständig Reaktionen wie: „Ja, toll!“ oder „Haste das gehört?“ Aber damit muss man umgehen.

Sie stehen seit mehr als 50 Jahren vor Zuschauern. Lösen die nach so langer Zeit in einem noch dasgleiche aus wie zu Anfang?

Unbedingt. Ich habe auch nach wie vor Lampenfieber. Mein Gefühl hat sich so erhalten, als wenn ich das zum ersten Mal mache.

Ist es bei all dem Applaus im Beruf nicht manchmal frustrierend, wenn Sie zu Hause eine Glühbirne wechseln und Ihre Frau klatscht nicht?

Nein, Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps! Das fehlte noch, dass sie zu Hause applaudiert oder gar in Liebesangelegenheiten noch ruft „Zugabe!“. Nein, ich mag eigentlich kein Lob, auch im Theater nicht. Ich kann damit nicht umgehen.

Ein Schauspieler will in erster Linie dem Publikum gefallen, ein Sportler will gewinnen. Sind dem Sportler die Zuschauer deshalb weniger wichtig?

Das Publikum hilft ihm. Ich beobachte zum Beispiel beim Hochsprung oft, dass sich der Sportler an den Rand stellt und im Takt klatscht, bis die Leute einstimmen. Erst dann rennt er los und springt. Ihm ist also diese kollektive Reaktion wichtig. Das ist beim Schauspieler auch so. Er spielt allerdings nicht in erster Linie, um dem Publikum zu gefallen, sondern um der literarischen Vorlage gerecht zu werden. Man will einen Text so wahrhaftig wie möglich mit Leben füllen.

Aber die Zuschauer sind doch der Grund, aus dem man Stücke auf die Bühne bringt.

Das Publikum kommt, weil ein Stück aufgeführt wird. Und je besser man spielt, desto besser gefällt es ihm. Der Schauspier kann auch glänzen, wenn der Saal mal halbvoll ist. Ich bin bei einem Gastspiel in Schönebeck auch schon vor drei Leuten aufgetreten und habe einfach gespielt, als wäre der Saal voll. Der Fußballer hingegen ist glaube ich stinksauer, wenn er Phantomspiele ohne Fans hat, die ihn anfeuern.

Das heißt, dem Sportler ist das Publikum sogar wichtiger als dem Schauspieler?

Vielleicht.

Wie kann das Publikum einen unterstützen, außer dass es zwischendurch klatscht?

Das Publikum unterstützt mich auch, wenn atemlose Stille herrscht, so dass man eine Stecknadel fallen lassen kann, weil die Situation so prickelnd ist.

Also Anfeuern durch Stillsein?

Ja. Und auch, wenn das nicht passiert, muss man das abrufen, was man bei der Probe entwickelt hat. Ob das Publikum nun dazu schweigt oder tobt oder gar nicht da ist, ist dann letztendlich unwichtig.

Sie treten in der Regel vor ein paar hundert Menschen auf. Wie fänden Sie es, in einer riesigen Musical-Inszenierung in einem Olympiastadion vor 80 000 Leuten zu spielen?

Das wäre schon furchteinflößend. Allerdings kommt es auch immer darauf an, was man macht, ob man zum Beispiel nur kurz auftritt oder eine ganze Vorstellung gestaltet. Wenn ich zum Beispiel einen Abend lang Chansons singen müsste, würde ich immer denken, hoffentlich vergesse ich nichts. Dann ist es auch egal, ob im Publikum 80 000 Zuschauer sitzen oder acht.