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Tennis Talent im Tennissport ist nicht alles

In der Vergangenheit hatte Tennis oft den Ruf, der Sport der gehobenen Gesellschaft zu sein. Das hat sich verändert.

Von Stefan Rühling 04.02.2016, 03:00

Stendal l Das war das Wochenende der Deutschen – auch im Tennis! Die „Australian Open“ sind eines der größten Grand-Slam-Turniere im Profi-Geschäft. 17 Jahre nach Steffi Graf hat mit Angelique Kerber erst wieder eine Deutsche einen Titel erreicht und sich dort sogar gegen die Weltranglistenerste, Serena Williams, durchgesetzt. Der Weg an die Spitze des Profi-Tennis ist aber weit und vor allem kostenintensiv – von Anfang an. Davon können zahlreiche Talente und deren Familien ein Lied singen.

Obwohl Tennis eine Einzelsportart ist, ist Tennis dennoch gesellig und vermittelt Erfahrungen im fairen Wettkampf.

Sportlich ist das wenig anders, als auch im Fuß- oder Handball: Die wirklichen Talente stechen heraus und bedürfen einer besonderen Förderung. Im Teamsport geht es dann oftmals in Mannschaften, die in höheren Spielklassen aktiv sind.

Allein durch das tägliche Training mit ebenfalls talentierteren Mitspielerinnen und Mitspielern bekommen diese die Chance, sich zu verbessern. Ein Trainer ist so für ein dutzend oder mehr Aktive verantwortlich.

Im Tennis ist das anders. Hier ist jede Spielerin und jeder Spieler ein Individuum. Je größer das Talent und umso ambitionierter das Ziel, desto individueller und intensiver muss das Training sein.

Mit Talent und harter Arbeit allein ist im Tennis aber keine erfolgreiche Karriere möglich. Die Qualität des Trainings spielt eine entscheidende Rolle – und damit auch die Kosten. Denn gute Übungsleiter sind eine Rarität und damit teuer. An dieser Stelle müssen viele junge Talente ihren großen Traum bereits begraben, weil Vereine und Familien die Finanzierung kaum tragen können.

Dann ist da ja auch noch die Schule, die nicht auf der Strecke bleiben darf. Eine Förderung der Tennis-Talente an Sportschulen gibt es in Sachsen-Anhalt nicht.

Jill Wrobel und Amy Marscheider spielen für die SG Einheit Stendal, dem größten Tennis-Club Sachsen-Anhalts. Hier werden bereits ab dem Alter von drei Jahren die Grundlagen dafür gelegt, Talent zu entdecken und zu fördern – mit Erfolg. Analog zu den Australien Open fanden in Sachsen-Anhalt die Hallen-Landesmeisterschaften statt.

Die zwölfjährige Wrobel sicherte sich dort den Titel in der Altersklasse U12, nachdem sie bei den U10-Mädchen insgesamt viermal Vize-Landesmeisterin wurde. Amy Marscheider, Jahrgang 2002, siegte in der Altersklasse U14, nachdem sie bereits 2012 in der U10 den Titel nach Stendal holte.

Beide Talente haben eins gemeinsam: Sie stehen in ihrer Altersklasse an der Spitze der Verbandsrangliste Sachsen-Anhalts, stehen unter den Top-Ten Ostdeutschlands und sind deutschlandweit unter den 100 besten Spielerinnen.

„Wir sind sehr stolz, dass wir mit Amy Marscheider und Jill Wrobel zwei absolute Top-Talente hervorbringen konnten“, sagt Detlef Hundt, Vorsitzender der SG Einheit Stendal. „Dabei wollen wir nicht vergessen, dass wir noch viele weitere Mädchen und Jungen haben, die regional und überregional Erfolge feiern.“ Wrobel und Marscheider stechen aber merkbar hervor.

Letztere wechselte im Sommer 2013 sogar nach Magdeburg, da ihr in Stendal kein leistungsgerechtes Training und Umfeld mehr geboten werden konnte. „Für uns war das nicht erfreulich, eine Spielerin mit ihren Qualitäten zu verlieren. Jedoch war das für ihre Entwicklung der richtige Schritt – so wie jetzt zurück zu uns“, so Hundt. Denn jetzt schlägt die 13-Jährige wieder für ihren Heimatverein auf, ist damit das Aushängeschild der SG Einheit und macht deutschlandweit auf sich und den Verein aufmerksam.

Möglich gemacht hat das die Verpflichtung von Katharina Scholtisek als Vereins- und Stützpunkt-Trainerin. Die gebürtige Magdeburgerin, die zwischen 1995 und 2005 mit dem 1.TCM Erfolgsgeschichte schrieb und damit nicht nur über die Trainer-B-Lizenz, sondern jede Menge Erfahrung verfügt, hat sich Marscheider angenommen, ihre Technik sowie das ganze Training umgestellt und sie in ihre Berliner Leistungs-Akademie aufgenommen.

„Amy ist ein gutes Beispiel dafür, dass harte Arbeit und besonderer Willen sich auszahlen“, erklärt Scholtisek. „In unserem ersten Jahr der Zusammenarbeit hat sich ihr Leistungsstand extrem verbessert. Der Mehraufwand durch das umfangreichere Training, für das sie einmal wöchentlich auch nach Berlin fährt, trägt Früchte. Es reicht aber noch längst nicht, um in Zukunft ganz oben mitzuspielen.“

Die Bedingungen im Tennis-Park am Pappelweg sind seit Jahren geschaffen und werden ständig verbessert, um den Trainings- und Wettkampfbetrieb zu gewährleisten. Die SG Einheit ruht sich auf den aktuellen Erfolgen demnach nicht aus. „Wir wissen, dass wir noch intensiver an der Leistungsförderung arbeiten müssen“, sagt Hundt. „Dazu stellen wir aktuell unser Nachwuchskonzept auf den Prüfstand, um die Top-Talente und den weiteren Nachwuchs noch besser fördern zu können.“

Unter diesen Gesichtspunkten scheint die Verpflichtung Scholtiseks im Vorjahr der erste Schritt in eine neue Ära mit Amy Marscheider als Zugpferd zu sein.

Doch eines ist klar: Auf dem Weg zum Tennis-Olymp zählen neben dem intensiven Training auch Turnier-Erfolge. Anders als im Fuß- oder Handball, wo es feste Spielpläne gibt und im Leistungsbereich die Vereine für sämtliche Kosten aufkommen, müssen im Tennis oftmals die Familien die Finanzierung selbst tragen. Dabei ist es nicht mit einem neuen Outfit und guten Schlägern getan. Trainerstunden, Startgelder, Übernachtungen und Fahrtkosten zu Turnieren deutschlandweit summieren sich in einem Jahr schnell in den fünfstelligen Bereich – eine Hürde für jedes Talent.

Das Vorurteil, Tenniscracks müssen alle wohlhabend sein, ist zwar wiederlegt, doch wer Erfolg haben will, muss dafür tief in die Tasche greifen.