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Berliner Signale für den Bund

SPD und CDU müssen schwer Federn lassen. Linke, Grüne und AfD liegen beinahe gleichauf. Die Berliner Wähler haben den Parteien viel Grund zum Nachdenken auf den Weg ins Bundestagswahljahr 2017 mitgegeben.

Von Jörg Blank, dpa 19.09.2016, 05:47

Berlin (dpa) - Die Hauptstadt hat gewählt - und noch am Abend blicken alle Parteien auf die Bundestagswahl in einem Jahr. In der SPD bleibt angesichts der weiter schwächelnden CDU von Kanzlerin Angela Merkel Hoffnung auf einen Machtwechsel.

SPD-Chef Sigmar Gabriel ist auf der Suche nach einer Mehrheit diesseits der Union. Auch bei CDU und CSU sind mögliche Linien des Wahlkampfs 2017 zu erkennen: die Generalsekretäre von CDU und CSU warnen vor einem Linksbündnis. Und die Rechtspopulisten von der AfD sehen sich von den Protestwählern bereits mit einem zweistelligen Ergebnis in den Bundestag getragen.

Die Wähler haben den Parteien unterschiedliche Signale mit auf den Weg gegeben - welche Konsequenzen werden gezogen? Nach den traditionellen Gremiensitzungen könnte es neue Antworten geben.

CDU: Ob es im Präsidium und im Vorstand wieder nur leises Murren über den Kurs der Kanzlerin gibt? Am Wahlabend erklärt Generalsekretär Peter Tauber den Absturz auf das historisch schlechteste Ergebnis bei einer Hauptstadtwahl auch mit der Landespolitik. Der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopf her, sagt er - und meint damit wohl SPD-Regierungschef Michael Müller. Doch auch CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel bekommt sein Fett ab: Ihm sei es nicht gelungen, sich ausreichend von der großen Unzufriedenheit der Wähler mit dem rot-schwarzen Senat abzusetzen.

Die Kanzlerin sollte damit wohl etwas aus dem Feuer genommen werden. Noch vor zwei Wochen hatte sie die Verantwortung dafür übernommen, dass die AfD in Mecklenburg-Vorpommern wegen ihrer Flüchtlingspolitik an der CDU vorbeigezogen war. Tauber versucht nun, die Aufmerksamkeit auf die SPD zu lenken und warnt vor linken Experimenten: Es gilt, eine rot-rot-grüne Regierung zu verhindern.

CSU: Wird CSU-Chef Horst Seehofer nach dem neuerlichen CDU-Desaster seine Attacken auf Merkel und ihre Flüchtlingspolitik weiter verschärfen? Am Wahlabend äußern sich Generalsekretär Andreas Scheuer und Bayerns Finanzminister Markus Söder. Scheuer warnt die SPD wie Tauber vor einem Weg in die linke Republik: Es geht darum, Rot und Grün zum Schwur zu verpflichten, dass sie kein Linksbündnis eingehen. Seehofer dürfte erst am Nachmittag Stellung nehmen. Dann kommt die CSU-Landtagsfraktion zu ihrer Herbstklausur zusammen. Offizielles Thema: Sicherheit und Flüchtlingspolitik.

SPD: Die Sozialdemokraten verzichten auf Gremiensitzungen - bei einem kleinen Parteitag geht es am Nachmittag in Wolfsburg um das Schicksal von Parteichef Sigmar Gabriel. Die SPD will entscheiden, ob sie wie vom Vorsitzenden gewünscht das umstrittene Freihandelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada mitträgt. Vom linken Parteiflügel gibt es heftige Kritik. Sollten sich die Delegierten gegen die Linie Gabriels stellen, wäre dessen Zukunft als Parteichef ungewiss.

Gabriel hat schon am Wahlwochenende in der Bild am Sonntag den Kurs vorgegeben und Salz in die Wunden von CDU und CSU gerieben. Die Union habe bundesweit ihren Zenit überschritten. Nun werde eine Mehrheit diesseits der Union gebraucht. Was das im Klartext heißt, macht Generalsekretärin Katarina Barley deutlich: Die Linke muss sich entscheiden zwischen einer Linkspartei von Sarah Wagenknecht und Dietmar Bartsch - also zwischen ultra-linken und eher reformorientierten Parteigrößen.

Linke: Nach ihren Gewinnen dürfte bei den Linken die Debatte um die Spitzenkandidaten im Bund an Fahrt aufnehmen. Um im Bund 2017 die Erfolgschancen zu erhöhen, sollen es nach internen Überlegungen weniger Spitzenkandidaten sein als 2013. Damals waren es acht. Denkbar ist nun eine Doppelspitze aus den Fraktionschefs Wagenknecht und Bartsch. Aber auch den Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger werden Ambitionen nachgesagt.

AfD: Die Rechtspopulisten werten das Berliner Ergebnis als Bestätigung für ihren Kurs - auch wenn sie in der Hauptstadt trotz eines auf Anhieb zweistelligen Ergebnisses nicht an CDU, Linken und Grünen vorbeiziehen können. Mehr als die Hälfte der AfD-Wähler wollte den etablierten Parteien auch in Berlin einen Denkzettel verpassen, analysierte die Forschungsgruppe Wahlen. Nur 44 Prozent sei es um die politischen Forderungen der AfD gegangen.

Parteichef Jörg Meuthen kalauert am Abend mit einem Merkel-Wortspiel: Wir müssen unser Land, unsere Heimat, davor bewahren, noch weiter ausgemerkelt zu werden.

Grüne: Nach leichten Verlusten setzen die Grünen ganz auf die Karte Regierungsbeteiligung. Die Leute wollen eine seriöse Regierung, wir können das, sagt Bundesparteichef Cem Özdemir am Wahlabend - und meint damit wohl zunächst die Regierungsbildung in der Hauptstadt. Auf die Frage, ob eine mögliche Koalition zwischen SPD, Grünen und Linken in Berlin ein Modell für den Bund sei, gibt er sich zurückhaltend: Ich glaube, die Zeit von Modellen ist vorbei. Özdemir gilt als Befürworter von Schwarz-Grün im Bund.

FDP: Die Spitze der Freidemokraten wertet die Rückkehr ins Berliner Abgeordnetenhaus als Rückenwind für die Bundestagswahl 2017. Weit über diese Stadt hinaus ist das ein Signal, freut sich Parteichef Christian Lindner. Seine Stellvertreterin Katja Suding sagt, die FDP habe im Wahlkampf Sorgen und Alltagsprobleme der Bürger angesprochen. Nach Hamburg und Bremen ist nun auch im Stadtstaat Berlin wieder eine liberale Fraktion im Parlament vertreten. Bis zum Wiedereinzug in den Bundestag ist der Weg aber noch weit.