Freihandel Letzte Chance für TTIP?

Vizekanzler Sigmar Gabriel hält den umstrittenen Vertrag für praktisch gescheitert. Doch das ist längst nicht ausgemacht.

Von Alexander Sturm 29.08.2016, 23:01

Frankfurt/Berlin (dpa) l Mehr Wachstum, mehr Wohlstand, mehr Jobs: Das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der Europäischen Union und den USA sollte zum Wirtschaftsmotor werden. Doch die Verhandlungen stocken. Nun hat sie Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Interview mit dem ZDF für „de facto gescheitert“ erklärt. Er wirbt lediglich für das Freihandels- abkommen Ceta mit Kanada. Während Umweltschützer und Gewerkschaften den SPD-Chef unterstützen, übt die deutsche Wirtschaft heftige Kritik.

Ist TTIP tatsächlich am Ende?

Auch wenn die Verhandlungen schwierig sind, ist das längst nicht ausgemacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht laut Regierungssprecher Steffen Seibert weiter Chancen auf einen Erfolg. Damit stellt sie sich gegen Gabriel und den Koalitionspartner SPD. Auch die EU-Kommission glaubt an TTIP. „Wenn die Bedingungen stimmen, ist die Kommission bereit, dieses Abkommen bis Ende des Jahres unter Dach und Fach zu bringen“, sagte Sprecher Margaritis Schinas am Montag in Brüssel. Und auch US-Chefunterhändler Daniel Mullaney sagte Mitte Juli nach den letzten Gesprächen, mit politischem Willen könne eine Einigung bis Ende 2016 gelingen. Gabriels Abgesang auf das Abkommen verärgert die Wirtschaft. Der Maschinenbauerverband VDMA sieht Gabriel als Wirtschaftsminister „in der Pflicht, sich ohne Wenn und Aber für den Freihandel einzusetzen“.

Wie ist der Stand der Gespräche?

Am 15. Juli endete die 14. Verhandlungsrunde in Brüssel. Laut EU-Kommission liegen für fast alle 27 TTIP-Kapitel Textvorschläge vor. Umfassende Dokumente halten den Stand der einzelnen Punkte fest - notfalls per Auflistung gegensätzlicher Positionen. Laut Gabriel haben EU und USA bisher „nicht einen einzigen gemeinsamen Text“ erreicht. „Da bewegt sich nix.“ Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) entgegnet, es sei normal, dass in komplexen Verhandlungen wichtige Punkte erst am Ende auf den Tisch kämen.

Wo liegen die Knackpunkte?

Heikel sind Schiedsgerichte für Streitfälle zwischen Unternehmen und Investoren. Theoretisch könnten sie Firmen Schadenersatz zusprechen, wenn sich zeigt, dass sie ungerechtfertigt unter politischen Entscheidungen leiden. TTIP-Kritiker fürchten, dass Konzerne Staaten vor Schiedsgerichten verklagen könnten. Die EU hat eine Reform des Systems vorgeschlagen – was die USA ablehnen. Unklar ist auch, wie das Vorsorgeprinzip in der EU in TTIP verankert werden soll. Demnach können Produkte bei möglichen Gesundheitsgefahren auch ohne wissenschaftliche Beweise vorsichtshalber vom Markt genommen werden. In den USA ist das nicht möglich.

Sinken europäische Verbraucher- und Umweltstandards?

„Die Verhandlungen kommen nicht voran, weil die Positionen der USA und der EU unvereinbar sind“, erklärte die Umweltorganisation Greenpeace am Montag. Auch Gewerkschaften fürchten Einschnitte. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström hat indes betont, dass keine Normen ausgehöhlt werden. Die EU hat etwa ausgeschlossen, das Verbot von Hormon- und Chlorhühnerfleisch aufzuheben.

Wie geht es mit TTIP weiter?

In den USA drängt die Zeit. Die Amtszeit von US-Präsident Barack Obama endet im November, und im Wahlkampf hat das Thema TTIP einen schweren Stand. „Ziel muss es sein, die Verhandlungen bis zum Herbst so weit voranzutreiben, dass die politisch Verantwortlichen auf US- und europäischer Seite die schwierigsten Fragen lösen können“, sagt Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie.