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Rettungsdienste Notstand im Notfall-System

Drei Kliniken sind im Harzkreis Basis der medizinischen Notfallversorgung. Was, wenn alle drei kein Bett auf der Intensivstation frei haben?

Von Dennis Lotzmann 24.02.2017, 13:48

Halberstadt l Es gibt Momente, da bekommen die Disponenten in der Kreis-Leitstelle schon mal feuchte Hände. Wenn es gehäuft zu Unfällen kommt beispielsweise. Dann müssen die Manager in der Leitstelle zusammen mit Notärzten und Rettungssanitätern binnen kürzester Zeit richtige Entscheidungen treffen, um alle Patienten optimal zu versorgen. Feuchte Hände sind aber auch angesagt, wenn die regulär genutzten Kliniken im Harz voll ausgelastet sind, sich Stationen in der Leitstelle abmelden und keine Patienten mehr aufnehmen.

Am 12. Januar ist eine solche Situation eingetreten. In verschärfter Form, ergeben die Recherchen der Volksstimme: An jenem Tag hatte sich nicht nur eine der Harzer Intensivstationen (ITS) abgemeldet, sondern gleich alle drei – sowohl in den beiden Harz-Kliniken in Quedlinburg und Wernigerode als auch im Ameos-Klinikum Halberstadt hatten die Verantwortlichen die Hände gehoben.

Ein Fakt, den Leitstellen-Chef Kai-Uwe Lohse auf Anfrage bestätigt: „Es ist korrekt, dass an diesem Tag keine der drei Kliniken mehr Intensiv-Patienten aufnehmen wollte.“ Die Leitstellen-Mitarbeiter seien ins Schwitzen gekommen, weil sie es mit einem Novum zu tun gehabt hätten. Es komme immer mal wieder vor, dass einzelne Klinikbereiche abgemeldet würden. Darauf schnell und routiniert zu reagieren, sei Sache der Leitstellen-Mitarbeiter, so Lohse. Aber: „Alle drei ITS auf einmal dicht – das haben wir so noch nie erlebt.“

Und selbst das war nur die Spitze des Eisberges. Die vorsorgliche Abfrage der Leitstellen-Mitarbeiter in benachbarten Landkreisen in Niedersachsen sowie im Salzlandkreis ergab auch dort ITS-Kapazitätseinschränkungen. So war am 12. Januar auch die Intensivstation im Ameos-Klinikum Aschersleben abgemeldet, bestätigt die dortige Sprecherin Alexa von Dossow.

Weshalb damals so viele ITS die Ampel auf Rot schalteten, lässt sich heute im Detail kaum noch ergründen. Womöglich war schlicht das jahreszeitlich bedingte, extrem hohe Patientenaufkommen ein Grund.

Daran habe sich bis heute praktisch kaum etwas geändert, erklärt der Halberstädter Ameos-Klinikchef Andreas Schultz. „Im Moment sind alle Häuser der Region voll.“ Was die Nacht zum 12. Januar anbetrifft – da seien in Halberstadt alle 19 ITS-Betten belegt gewesen. „Und wenn auf einer ITS kein Beatmungsgerät mehr verfügbar ist, kann man nichts machen und sich nur noch in der Leitstelle abmelden.“ Dass sich in jener Nacht und am Folgetag die Situation in anderen Kliniken analog entwickelte, sei wahrscheinlich ein bloßer Zufall gewesen, vermutet Schultz.

Im Ergebnis mussten die Mitarbeiter in der Leitstelle jedoch ziemlich jonglieren. „Müssen wir auf andere Kreise ausweichen, weil im Harz kein ITS-Bett frei ist, haben wir längere Strecken zu absolvieren. Das sorgt für längere Fahrzeiten, bindet die Rettungsfahrzeuge länger und verursacht höhere Kosten“, zählt Leitstellenchef Lohse die Konsequenzen auf.

Doch können dadurch auch akut verletzte Patienten und solche, die intensivtherapeutisch betreut werden müssen, direkt Schaden nehmen? „Nein“, versichert Michael Werner, Chef des Eigenbetriebs Rettungsdienst im Harzkreis. „Es ist bei uns noch nicht vorgekommen, dass aufgrund abgemeldeter Klinikbereiche Patienten Schaden genommen haben.“ Gleichwohl spricht auch er mit Blick auf den 12. Januar von einem Novum im Rettungssystem des Harzkreises. Und unter Leitstellen-Disponenten wird durchaus die Frage der Verantwortung thematisiert, wenn Notfall-Patienten über weitere Strecken transportiert werden müssen.

Deshalb setzte die Leitstelle an jenem Tag auch eine sogenannte WE-Meldung (WE steht für „Wichtiges Ereignis“) an die Kreisverwaltung ab. Dort schaltete sich daraufhin Susann Arnold-Wind, Leiterin des Fachbereichs Landrat, ein und kontaktierte Verantwortliche des Harzklinikums. „Es ging dabei aber nur um einen Informationsaustausch und die Frage, wie wir mit dieser Situation umgehen“, betont sie. Interveniert habe sie keineswegs.

Susann Arnold-Wind betont ebenso wie alle anderen Verantwortlichen in den Kliniken sowie im Rettungsdienst, dass die Versorgung von Notfällen auch am 12. Januar jederzeit garantiert gewesen sei. „Wenn ein Rettungswagen mit einem Patienten und Blaulicht vor der Tür steht, wird keiner abgewiesen“, versichert Eigenbetriebsleiter Werner. „Das hat uns das Harz-Klinikum schriftlich versichert.“

Gleichwohl könne es immer mal wieder vorkommen, dass Patienten nicht im Klinikum „vor ihrer Haustür“ behandelt würden, stellt Tom Koch, Sprecher des Harz-Klinikums klar. „Patienten, die gesundheitlich stabil, transportfähig und nicht lebensbedrohlich erkrankt sind – beispielsweise ein Beinbruch – können gewiss genauso gut in einem benachbarten Krankenhaus behandelt werden“, gibt er zu bedenken.

Und in noch einem Punkt ist Tom Koch bemüht, bei Patienten Sorgen zu zerstreuen: „In der Regel kann auch in abgemeldeten Klinika eine weitere Versorgung von Patienten gewährleistet werden, allerdings nicht in der ansonsten gewohnten und üblichen Qualität und Quantität.“

Dass die Harzer Kliniken und der Rettungsdienst letztlich eng zusammenarbeiten und gut harmonieren, macht ein anderes Beispiel deutlich: Vor einigen Monaten hatte das Harz-Klinikum, wie mehrfach in der Volksstimme berichtet, mit Problemen in der Datentechnik zu kämpfen – womöglich als Folge eines IT-Angriffs von außen. Weil die Klinikabläufe daraufhin in bestimmten Bereichen eingeschränkt waren, hätten die Verantwortlichen im Halberstädter Ameos-Klinikum ihre Bettenkapazitäten unkompliziert aufgestockt, heißt es aus der Leitstelle.

Zurück zum 12. Januar: Im Ameos-Klinikum – und nicht nur dort – wurde nach der ITS-Abmeldung versucht, mit Patientenverlegungen wieder Beatmungskapazitäten frei zu bekommen. „Um 14.30 Uhr waren wir mit unserer ITS wieder aufnahmefähig“, so Klinikdirektor Andreas Schultz.