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Kirchentradition Der Glöckner von Sankt Martini

Für die Einwohner von Wulferstedt gehört das Läuten der Kirchenglocken im Turm der Martini-Kirche in der Neujahrsnacht zur Tradition.

Von Marlies Müller 02.01.2017, 23:01

Wulferstedt l Wie Kirchenvorstandsmitglied Helga Jungnickel berichtet, ist das Läuten der Glocken zu verschiedenen Anlässen im Dorf, wie beispielsweise zu Gottesdiensten, Hochzeiten oder Beerdigungen, schon immer Bestandteil des täglichen Lebens im Dorf gewesen. Sie erinnert sich noch heute an ihre eigenen Kindertage, als Schneider Günter als ehemaliger Küster in Wulferstedt für das Läuten der Kirchenglocken verantwortlich war. Danach kümmerten sich Wilhelm von Hoff und Friedrich Denecke darum.

Zwar gibt es die damaligen Glöckner heute nicht mehr, das Glockengeläut jedoch begleitet die Wulferstedter bis heute und wird sozusagen in Familientradition weitergeführt. Als Albert Simon mit seiner Frau im Jahr 1945 als Flüchtlingsfamilie nach Wulferstedt kam, fassten sie rasch Fuß im Dorf und übernahmen anschließend die Aufgaben als Kirchendiener. Emma Simon war für die Reinigung der Kirche zuständig und Albert Simon kümmerte sich jahrelang um das Läuten der beiden gusseisernen Glocken.

Abgelöst wurde er viele Jahre später von seinem Sohn Harald, der die Aufgaben des Glöckners weiterführte. Gern nahm dieser dabei seinen kleinen Sohn Matthias mit, stieg mit ihm unzählige Male die 64 Stufen zum Glockenturm hinauf und läutete mit ihm zusammen das neue Jahr ein. So lernte Matthias schon sehr früh die unterschiedlichen Varianten des Läutens im Wulferstedter Turm kennen. „Für Gottesdienste wurde immer die kleine Glocke geläutet“, erklärt Matthias Simon. Bei besonderen Anlässen, wie beispielsweise Hochzeiten oder aber das Neujahrsläuten, kam dann die große Glocke zum Einsatz.

Und nicht nur das Läuten der Kirchenglocken lernte Mathias Simon schon von Kindesbeinen an, auch die Funktionsweise und Handhabung der Kirchturmuhr gehörte zu den Aufgaben eines Glöckners. Die heute fast 120 Jahre alte Uhr musste regelmäßig aufgezogen werden. Dazu diente eine große Handkurbel, die an verschiedenen Stellen am riesigen Uhrwerk aufgesteckt werden musste. Das anschließende Kurbeln erforderte viel Kraft, so dass der Hebel von zwei Personen bedient werden musste. Zudem durfte nicht versäumt werden, die Uhr regelmäßig alle acht Tage, möglichst zur gleichen Zeit aufzuziehen. Um die alte Uhr muss er sich heute nicht mehr kümmern, denn die Wulferstedter Kurt Jungnickel, Gerd Behrens und Klaus Isensee übernahmen diese Aufgabe. Und auch der enorme Kraftaufwand dafür ist heute nicht mehr nötig, denn das Aufziehen der Uhr wird jetzt elektrisch betrieben.

Seit dem Tod seines Vaters kümmert sich Matthias Simon allein um das Läuten der Kirchenglocken in der Neujahrsnacht und führt somit eine über 60 Jahre alte Familientradition weiter. Große Kraft benötigt er jedoch auch dafür nicht mehr, braucht nur auf einen Knopf zu drücken, denn auch das Geläut funktioniert mittlerweile elektrisch.

So stieg Matthias Simon auch in der jüngsten Silvesternacht in den Wulferstedter Glockenturm hinauf und läutete das neue Jahr für die Einwohner von Wulferstedt nach altem Brauch gebührend ein.