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Nach dem Urteil Zweifel an Einzeltäter-Theorie

In den Zuschauerreihen des Stendaler Landgerichtes wurde das Urteil gelobt, aber auch angezweifelt, dass Gebhardt Einzeltäter ist.

Von Thomas Pusch 16.03.2017, 00:01

Stendal l Um kurz nach halb drei war in Saal 218 des Stendaler Landgerichtes am Mittwochnachmittag nur das Rauschen des Lautsprechers zu hören, bevor die Vorsitzende Richterin Simone Henze-von Staden das Urteil verkündete. Holger Gebhardt wurde wegen Wahl- und Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Im wie an allen Prozesstagen vollbesetzten Zuschauerraum wurde das Urteil zumeist als gerecht angesehen. Als ungerecht empfanden zahlreiche Prozessbeobachter hingegen, dass Gebhardt allein auf der Anklagebank gesessen hatte.

„Das Urteil halte ich für angemessen, aber das Drumherum hätte meiner Meinung nach mehr beleuchtet werden müssen“, sagte Hans-Joachim Lange. „Der ist nicht alleine Schuld, und die Auftraggeber lachen sich ins Fäustchen“, meinte ein anderer Zuschauer. „Da stecken doch noch ganz andere Leute dahinter, über die wurde sehr wenig gesagt“, befand Wilfried Kapell.

Manuela Baeß ist selbst Mitglied in der CDU und fühlt sich „persönlich betrogen“. Gebhardt sei doch aber nur die Spitze des Eisberges, ist sie sich sicher. Mit dem Urteil sei sie einverstanden, schließlich habe er eine moralische Verfehlung begangen, wie man es schon in der Schule lernt, fand Barbara Dresenkamm. „Die CDU hat sich aber völlig zurückgezogen und Gebhardt alleingelassen“, warf sie der Partei vor.

Eine weitere Zuschauerin, die ungenannt bleiben wollte, bedauerte, dass die anderen Beteiligten unbeschadet weggekommen seien. „Aber die sind mit ihren Posten gleich mit einem Eimer Klebstoff verbunden“, sagte sie.

Der erste Teil der Verhandlung hatte fast mit einem Eklat geendet. Der Ton von Richterin Simone Henze-von Staden war scharf wie ein Fallbeil : „Halten Sie sich bitte zurück“, ermahnte sie die Zuschauer. Aus den Zuschauerreihen waren höhnische „Oooh“-Rufe gekommen. Gebhardts Anwalt Uwe Kühne hatte in seinem Plädoyer zunächst aufgezählt, worunter sein Mandant in den vergangenen zweieinhalb Jahren hat leiden müssen: die ständige Presseberichterstattung, der Verlust von Arbeitsplatz und Stadtratsmandat, eine Verwaltungsschulung konnte er nicht beenden.

Richtig lautstarken Unmut aus dem Zuschauerraum hat te sich Kühne zugezogen, als er das Delikt relativieren will: „Es hat sich nicht um eine Bundestags- oder Landtagswahl gehandelt, sondern um eine Kommunalwahl.“

„Gefälscht ist gefälscht“, sagte Wiebke Stephan in der Verhandlungspause im Gespräch mit der Volksstimme Da sei es doch wohl ganz egal, auf welcher Ebene die Wahl stattgefunden hat. „Diese Argumentation ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die 1989 für die Demokratie auf die Straße gegangen sind“, pflichtete ihr Ehemann Volker bei.

Ihre DDR-Herkunft hatte auch Staatsanwältin Annekathrin Kelm in ihrem Plädoyer ins Spiel gebracht. „Ich bin 20 Jahre lang in der DDR aufgewachsen, ich will solche Verhältnisse nie mehr erleben“, forderte sie vom Gericht ein deutliches Zeichen. Als Motiv hatte sie Narzissmus ausgemacht, doch werde Gebhardt nicht als großer Fälscher wie Konrad Kujau in die Geschichte eingehen, dafür habe er zu dilettantisch gehandelt, „er wird als ganz gewöhnlicher Krimineller in die Geschichte eingehen“, prophezeite sie.

Gut eine halbe Stunde nahm sich Henze-von Staden für die Urteilsbegründung. Gebhardt hielt teils Blickkontakt mit ihr, teils sah er auf den Tisch vor sich oder schloss die Augen. Ausschlaggebend für das Strafmaß – der Ermessensspielraum des Gesetzes liegt zwischen einer Geldstrafe und fünf Jahren pro Tat, die Staatsanwaltschaft hatte auf drei Jahre Freiheitsstrafe, die Verteidigung auf eineinhalb Jahre auf Bewährung plädiert – war laut Gericht die kriminelle Energie, die Gebhardt an den Tag gelegt habe.

Dass er immer nach oben gestrebt habe, das sei ganz deutlich gewesen, verriet eine ehemalige Arbeitskollegin Gebhardts der Volksstimme. Sie hätte allerdings nie damit gerechnet, dass er dafür auch das Gesetz brechen würde. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Die Frage, ob er Revision einlegen werde, ließ Anwalt Kühne unbeantwortet.

Von einer Gefängnisstrafe allerdings unberührt könnte ein Ereignis bleiben, das Gebhardt für den August geplant hat. „Mein Mandant will heiraten“, hatte Kühne im Rahmen seines Plädoyers erklärt. Das wäre auch im Gefängnis möglich, wie Stadtsprecher Klaus Ortmann der Volksstimme nach Rückfrage im Standesamt mitteilte.