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Betrug Briefwahllisten hinterm Tresen

960 Briefwahl-Stimmen soll der ehemalige Stendaler CDU-Stadtrat Holger Gebhardt bei den Kommunalwahlen 2014 gefälscht haben.

25.10.2016, 23:01

Stendal l Als die Kriminalbeamten am 5. November 2014 die Wohnung von Holger Gebhardt durchsuchen, stoßen sie in einer Ablage auch auf Kopien von 61 Wahlbenachrichtigungskarten zur Stadtratswahl 2009. Darauf tauchen drei Namen als Bevollmächtigte auf: In 19 Fällen ist es Holger Gebhardt, in 28 seine Lebensgefährtin Conny B. und in 14 CDU-Kreischef Wolfgang Kühnel.

Eines zeigt dieser Fund: Holger Gebhardt hatte auch schon früher Vollmachten für die Briefwahl organisiert. 2014 hat er jedoch sein System perfektioniert. Zwei Jahre zuvor hatte der Stendaler über die Stadtverwaltung eine Stelle im Jobcenter bekommen. Nach Erkenntnissen der Ermittler hat er 175 Datensätze von beim Jobcenter registrierten Stendalern für Briefwahlvollmachten gefiltert und in den meisten Fällen auch genutzt.

So sendet sich Gebhardt mehrfach Dateien aus dem Jobcenter zu und verschickt diese auch an Helfer. Eine etwa geht am 28. Februar 2014 an Claudia T. (Name von der Redaktion geändert). In die Betreffzeile schreibt Gebhardt „Wahl Hardy und Holger“. „Hardy“ – das ist der CDU-Landtagsabgeordnete, Stadtverbands- und Fraktionsvorsitzende Hardy Peter Güssau.

Claudia T. kennt Güssau eher flüchtig. Er und ihr Mann seien in ihren jungen Jahren „Kumpels“ gewesen.

Sie schildert den Beamten, dass sie bereits „mehrere Jahre“ vor der Kommunalwahl 2014 von Hardy Peter Güssau angesprochen und um Unterstützung bei einer Wahl gebeten worden sei. Als sie einwilligte, habe Güssau angekündigt, dass er jemanden bei ihr vorbeischicken werde, der ihr alles erläutern würde. Dieser jemand war laut T. dann Holger Gebhardt.

Sie sollte gezielt Jugendliche ansprechen, die nicht wählen gehen würden. Claudia T. hat durch ihren Beruf viel mit diesem Klientel zu tun. Sie selbst gibt an, seit zehn Jahren an keiner Wahl mehr teilgenommen zu haben.

Gebhardt habe ihr vorgedruckte Zettel überreicht. Dort sollten Namen und Unterschriften von Jugendlichen eingetragen werden. Nach T.‘s Erinnerung ging für sie daraus hervor, dass Holger Gebhardt dann für diese Personen Briefwahlunterlagen erhalten kann.

Nicht nur Claudia T. schildert den Ermittlern diese Art des Stimmensammelns. Auch ihre Tochter und die Freundin ihres Sohnes sagen in ihren Vernehmungen aus, dass solche Listen ausgefüllt werden sollten.

Für die Wahl im Mai 2014 gibt Claudia T. an, Gebhardt habe sie gebeten, wieder eine Liste mit diesen Daten ausfüllen zu lassen. Sie erhält diese per Mail. Da sie sich zu dieser Zeit im Ausland aufhält, übersendet sie die Liste an ihren Sohn und dessen Freundin.

Diese schildert den Beamten, dass sie von Hardy Peter Güssau vor der Wahl angesprochen worden sei, ob sie „das Gleiche“ wie Claudia T. tun würde. Der CDU-Politiker habe auch via SMS nachgefragt, ob es mit den Wahllisten für Holger Gebhardt auch „klappt“.

Diese Unterstützung abseits aller Wahlgrundsätze hätte fast auch noch bizarre Züge angenommen. So registrierten die Ermittler, dass die Freundin von Claudia T.‘s Sohn auch erwogen hatte, die Listen in einem renommierten Stendaler Gastro-Betrieb und in einem größeren Einkaufsmarkt in Tangermünde auszuhängen. Dazu kommt es letztlich nicht.

Fünf Tage vor der Wahl erhält die junge Frau ein Anruf Güssaus. Dieser habe gefragt, ob alles klar ginge und sie die ausgefüllten Listen ins Büro bringen könne. Sie habe diese dann aber am Tresen des namhaften Innenstadt-Lokals hinterlegt.

Holger Gebhardt schweigt bislang zu allen Vorwürfen. Auch seine Lebensgefährtin Conny B. und CDU-Kreischef Kühnel äußerten sich bislang nicht. Hardy Peter Güssau gab in seiner Zeugenvernehmung an, dass sich „dieser Vorgang seiner Kenntnis entzieht“.