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Ulrich Mielke enttarnt im neuesten Forschungsheft des Bürgerkomitees 27 Spitzel aus dem Altkreis Haldensleben / Buchvorstellung am Montag in Magdeburg Arzt verrät Patienten und versorgt die Stasi mit Blanko-Krankenscheinen

Von Wolfgang Schulz 23.06.2012, 03:15

Magdeburg l Mehr als 21 Jahre lang spitzelte IM "Erich Mattke" für den Staatssicherheitsdienst der DDR. Noch am 1. November 1989 verriet der damalige Bereichsarzt aus der Kreispoliklinik Haldensleben seinem Führungsoffizier, welche Leute aus dem Kreis Haldensleben er bei den Montagsgebeten im Magdeburger Dom gesehen hatte. Für den 6. Dezember verabredete er sogar den nächsten Treff mit der Geheimpolizei. Doch daraus wurde nichts mehr.

Wie viel Leid der heute 63-jährige Mediziner durch seinen Verrat über Patienten, Freunde und Arbeitskollegen gebracht hat, lässt sich aus den Stasi-Akten, die Ulrich Mielke in seinem 18. Forschungsheft aufgearbeitet hat, nur erahnen. "Manchem IM möchte man zurufen: ,Schämen Sie sich denn für gar nichts?\'", ist Mielke immer wieder fassungslos über die Skrupellosigkeit vieler inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Doch die Schuld der Täter werde nicht geringer, weil immer mehr Zeit vergehe, so der 73-jährige Mielke, der die Stasi-Verstrickungen im Gesundheitswesen des ehemaligen Bezirkes Magdeburg in Zusammenarbeit mit dem Bürgerkomitee Sachsen-Anhalt erforscht.

Spitzelkarriere begann als Soldat in der NVA

Die unrühmliche Spitzelkarriere von IM "Erich Mattke" begann als Soldat in der NVA und fand ihre Fortsetzung als Medizinstudent an der Medizinischen Akademie Magdeburg (Erwähnung schon im Band 10 zu Studenten-IM). "Seine Methode besteht darin, mehrfach in Opposition zu gehen und das auch öffentlich kundzutun, so dass sich die Studenten um ihn scharen, die ebenfalls eine oppositionelle, wenn nicht sogar feindliche Haltung besitzen und betreiben", schreibt sein damaliger Führungsoffizier. "Ihm werden Informationen gegeben, die ansonsten in Studentenkreisen nicht kursieren. Dadurch gibt er Berichte mit hohem Informationsgehalt", heißt es weiter.

Diese hohe "Qualität" seiner Spitzeltätigkeit hat der spätere promovierte Allgemeinmediziner vielfach unter Beweis gestellt, was ihm so mache Prämie und Anerkennung durch das MfS einbrachte. Aus den Akten geht hervor, dass IM "Erich Mattke" mehrfach seine ärztliche Schweigepflicht gebrochen hat, indem er der Staatssicherheit mitteilte, dass ein Patient sehr krank ist, Muskelschwund hat, oder ein Offizier nervlich stark angegriffen ist. Außerdem hat er enge Freunde und Arbeitskollegen verraten und der Stasi mindestens zwei Blanko-Krankenscheine übergeben. Die Krankenscheine sollten, so mutmaßt Mielke, für andere IM genutzt werden, um diese unauffällig bei operativen Einsätzen von der Arbeit freizustellen.

Mit dem Forschungsheft 18 wird das Stasi-Unwesen im einstigen Kreis Haldensleben als siebenter Kreis des Bezirkes Magdeburg abschließend untersucht. In Zusammenarbeit mit der Außenstelle Magdeburg der Stasi-Unterlagenbehörde enttarnt Mielke in diesem Band 27 Spitzel, darunter 21 Mitarbeiter des Gesundheitswesens und sechs "hochkarätige IM" aus dem Umfeld, die aber eng mit dem Gesundheitswesen in Beziehung standen. Zu Letzteren gehören zum Beispiel ein Gerichtsvollzieher, der über Jahrzehnte eine Unzahl von IM geführt hat, und ein Stadtbaudirektor, den die Stasi "als Wiedergutmachung für eine Verfehlung" zur Mitarbeit erpresst hat. Er wurde gezielt auf Ärzte angesetzt und hat sich bis Ende 1989 nicht aus den Klauen der Geheimpolizei befreien können.

Zu den IM zählen neben mehreren Ärzten zwei Oberinnen aus der Bezirksnervenklinik Haldensleben sowie Pfleger, Schwestern und Verwaltungsangestellte aus dem Kreiskrankenhaus und anderen Einrichtungen. Erstaunlich für Mielke ist, dass es keine IM auf der Kreisarztebene und in der Zahnärzteschaft gegeben hat. Zuvor waren von Mielke in den Forschungsheften über die Altmarkkreise neun Kreisärzte als IM enttarnt worden.

Personalakten von fünf Führungsoffizieren

Zum ersten Mal werden im Band 18 ausgewählte Personalakten von fünf Führungsoffizieren vorgestellt, die ein anschauliches Bild über die Situation in der Geheimpolizei widerspiegeln. Insgesamt werden 67 hauptamtliche MfS-Mitarbeiter aus der Kreisdienststelle Haldensleben namentlich aufgeführt.

Im Band 18 werden auch noch einmal sechs IM aus dem Kreis Haldensleben genannt, die bereits in den Bänden 13 bis 17 vorgestellt worden sind. Darunter IM "Hans Richters", ein Chefarzt aus der Bezirksnervenklinik, der, wie Mielke schreibt, "kaum vorstellbare Verletzungen seiner ärztlichen Schweigepflicht begangen hat". Dazu kommen Spitzel aus Magdeburg und anderen Kreisen, die bereits bearbeitet worden sind, deren Akten aber erst jetzt aufgetaucht sind. Nach einer vorsichtigen Schätzung geht Mielke davon aus, dass zum Beispiel noch mit mindestens 50 inoffiziellen Mitarbeitern aus dem Magdeburger Gesundheitswesen zu rechnen ist. Sie seien bisher nicht näher, manchmal nur mit Decknamen bekannt.

Ulrich Mielke stellt sein neuestes Forschungsheft am kommenden Montag um 18 Uhr im Dokumentationszentrum am Moritzplatz in Magdeburg (ehemaliger Stasi-Knast) vor.