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Diskus-Weltmeister hat sich für verbalen Ausrutscher entschuldigt Robert Harting – Mensch zwischen Extremen

21.08.2009, 05:00

Gestern Morgen, 9 Uhr, Nike-Town in Berlin : Da saß er nun, der frischgebackene Weltmeister Robert Harting. Kleinlaut, verunsichert, schaumgebremst. Sieht so ein glückseliger Champion aus, der noch am Abend zuvor im Olympiastadion Heldenhaftes vollbracht hatte ? Einer, der sich " mit Schimpfworten innerlich verprügelt ", im letzten Versuch plötzlich über unmenschliche Kräfte zu verfügen scheint, den Diskus in den Abendhimmel hinein auf unglaubliche 69, 43 Meter schleudert und so einen Hexenkessel zum Überkochen bringt ?

Ja. Denn genau das Widersprüchliche, das Bewegen zwischen Extremen ist das Markenzeichen des Zwei-Meter-H ünen mit den groben Händen und der künstlerischen Ader, den Diskus-Ikone Franke Dietzsch gestern - auch wenn er wie ein großer Klotz aussähe – als einen " hochsensiblen jungen Mann " beschrieb.

Dass der 24-jährige Lokalmatador, der nicht nur die Zwei-Kilo-Scheibe, sondern gern auch mal Sprüche raushaut, wie das Kaninchen vor der Schlange saß und unangenehme Fragen erwartete, hatte auch seinen Grund. Auf den Gold-Coup war nämlich ein dunkler Schatten gefallen. Und den hatte Harting mit seiner verbalen Entgleisung in Bezug auf die DDR-Dopingopfer ( Volksstimme berichtete ) selbst geworfen.

Und so schob der in einem, wie er sagt, Cottbuser " Aussiedlerghetto " in einfachen Verhältnissen Aufgewachsene ein Lob seines Teamleiters Karl-Heinz Leverköhne, der Harting als Giganten bezeichnet hatte, schnell beiseite : " Na, ich weiß nicht, vielleicht ist das etwas zu sehr hochgejubelt. "

Schon sein nächster Satz bezog sich auf die provokante Äußerung, die hohe Wellen geschlagen hatte : " Ich möchte mich noch einmal dafür entschuldigen. Ich bin aber auch ein wenig enttäuscht, dass meine Aussage absichtlich falsch aufgefasst und wiedergegeben wurde. Aber ich lerne daraus, das wird in der Form nicht wieder vorkommen ", so Harting, der seinen Ausraster mit einem zuvor abgefeuerten " Störfeuer " aus der Ecke der DDR-Dopingopfer erklärte.

Eike Emrich, Delegationsleiter im deutschen Team, sprang dem Enfant terrible zur Seite und sprach davon, dass Harting als " Mittel zum Zweck " benutzt und möglicherweise sogar gezielt gestört worden ist : " Man sollte von einem Athleten, der unter ungeheurem Leistungsdruck und nervlicher Anspannung steht, nicht erwarten, dass er immer und überall als Diplomat im Trainingsanzug auftritt. "

Eine Bestrafung des Weltmeisters (" Ich habe mich ja entschuldigt und hoffe, es gibt keine Konsequenzen ") würde Emrich nicht befürworten : " Robert hatte medial vorher wahrgenommen, dass ein Dopingopfer per Ferndiagnose seinen Ausschluss aus der Nationalmannschaft gefordert hatte. Seine Reaktion war zwar überschießend, aber man sollte einem jungen Rebellen auch gestatten, sich zu wehren. Wir waren alle einmal jung und mussten lernen, kultiviert und dennoch effektvoll zu reagieren. "

Lernwillen bekundete der frischgebackene Weltmeister, der sich als nächstes sportliches Ziel die 70-Meter-Marke vorgenommen hat, " damit auch mein Opa Karl-Heinz endlich zufrieden mit mir ist ", dann auch : " Ich werde mir alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen und meine Schlüsse ziehen. "

Vielleicht aber wird der zukünftige Student an der Uni der Künste auch mal wieder zu Farbe und Pinsel greifen, um seine Emotionen abstrakt auf eine Leinwand zu bannen. Sein momentanes Lieblingsbild, das er in seiner Dachgeschosswohnung mit Galerie im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen aufgehängt hat, ist schwarz und weiß gehalten. Es stellt eine kantige, strichmännchenförmige düstere Gestalt dar, die zwischen zwei Welten einen Weg beschreitet, der mit " ONE WAY " gekennzeichnet ist. Harting wird seinen eigenen Weg weitergehen, mit Pinsel in der einen und Diskusscheibe in der anderen Hand. Ob er dabei weiter aneckt, wird die Zukunft zeigen.