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Schädling Wettlauf gegen den Borkenkäfer

Zehntausende Fichten fielen dem Sturmtief „Friederike“ Ende Januar im Harz zum Opfer. Jetzt droht eine Borkenkäferplage.

Von Julia Bruns 10.02.2018, 00:01

Wernigerode l Wenn die Borkenkäferlarven in den ersten warmen Sommermonaten ausfliegen, müssen sie weg sein: Hunderttausende Bäume, die nach Sturmtief „Friederike“ in den Harzer Wäldern liegen. Und das kreuz und quer, im reinsten Mikado–Windbruch sagen die Forstleute dazu. „Das hier ist oder vielmehr war unsere Paradefläche für Buchenvoranbau“, sagt Christian Lux nachdenklich. Im Nationalpark Harz ist der 61-Jährige für die Waldentwicklung verantwortlich. Zwölf Reviere betreut er, jedes ist zwischen 2300 und 4000 Hektar groß. Die jungen Laubbäume sollten hier, im Schatten der Fichten unter einem Schirm gedeihen, die Nadelbäume nach und nach im Zuge der Walderneuerung weichen.

Wie viel Fichtenholz nun nach dem Orkan verkauft werden muss? „Wir wissen es nicht genau“, sagt er und kneift die Augen zusammen, blickt im Gegenlicht auf die Bäume, die der Orkan hier am Treppenstieg bei Drei Annen Hohne Ende Januar umgerissen hat. Der Bestand an dieser Stelle sei 70 bis 100 Jahre alt gewesen. „50.000 bis 60.000 Festmeter Schadholz werden es sicher im gesamten Nationalpark sein.“

Die Nachfrage sei zwar aufgrund des Baubooms groß. „Aber die Industrie pokert, man will die Preise drücken.“ Der Handel spekuliere auf ein Überangebot. „Da geht es um 5 Euro mehr oder weniger pro Festmeter.“ Für das Fichtenlangholz gebe es um die 90 Euro. Er schätzt, dass allein am Treppenstieg 1000 Festmeter liegen. Eine Fichte kann je nach Dicke und Höhe ein bis fünf Festmeter Holz ergeben.

Zwei Lagerplätze werde der Nationalpark anmieten – einen in Abbenrode im Nordharz, den anderen im niedersächsischen Bad Harzburg. „Für uns ist das Wichtigste, dass wir fertig sind, bevor der Borkenkäfer kommt“, sagt der 61-Jährige. „Die Weibchen bohren sich Mitte Mai in den umgestürzten, geschwächten Bäumen ein. Ein Weibchen legt 50 Eier, nach vier bis sechs Wochen schlüpfen sie und fliegen aus. Dann gehen sie auch in das stehende, gesunde Holz.“ Und das sei gerade hier, im 500-Meter-Randbereich in direkter Nachbarschaft zu Privatwaldbesitzern wie dem Fürsten Philipp Constantin zu Stolberg-Wernigerode ein Problem. „Die Käfer kennen keine Grundstücksgrenzen“, sagt Christian Lux. Den Befall von Privatwäldern will der Nationalpark verhindern. Und ohnehin sei es das Beste, die Bäume schnell zu verarbeiten. „Im Juni beginnt das Holz sich zu verfärben, dann kommen Pilze, das Holz wird bläulich“, sagt Lux.

Die Landesforsten, die mit einer Fläche von 137.000 Hektar der größte Waldbesitzer in Sachsen-Anhalt sind, setzen derweil auf Nasslager, um das Holz länger haltbar zu machen. Zwei Standorte – einer im Harz, der andere in Thüringen – würden derzeit geprüft, berichtet Viktoria Große vom Landesforstbetrieb. „Mindestens 50.000 Festmeter wollen wir auf den beiden Plätzen unterbringen“, sagt die Försterin. Zwei Jahre werde das Holz dort unter freiem Himmel gelagert und bewässert, die Qualität bleibe erhalten.

Angesichts der knapp 800.000 Festmeter Schadholz, die „Friederike“ in den Landeswäldern hinterlassen hat, höre sich das nach wenig an. „Aber die beiden Lager entspannen die Situation erheblich,“ sagt sie. So habe der Landesforstbetrieb zwei Jahre lang Zeit, das Holz gewinnbringend zu vermarkten. Normalerweise schlage und verkaufe der Betrieb pro Jahr 650.000 Festmeter. „An diesem einen einzigen Tag im Januar ist also mehr Holz gefallen, als wir sonst das gesamte Jahr über verarbeiten“, verdeutlicht sie die Dimension.Solche Mengen lasten Forstunternehmen, Sägewerke und andere Abnehmer, die das Holz verarbeiten, völlig aus.

Im Südharz bei Sangerhausen hätte „Friederike“ sogar schlimmer als der Jahrtausendsturm „Kyrill“ im Januar 2007 gewütet. Besonders stark betroffen seien neben dem Südharz die Wälder zwischen Wernigerode und Hasselfelde an der Grenze zum Nationalpark und das Gebiet im Oberharz bei Trautenstein. „‚Friederike‘ hat einen Streifen in Mitteldeutschland besonders stark getroffen. Kyrill traf das gesamte Bundesgebiet“, sagt die Pressesprecherin des Landesforstbetriebs. Dadurch würden Sägereien in Nord- und Süddeutschland das Holz nach wie vor dankbar abnehmen. Nach „Kyrill“ war der Fichtenholzpreis um 20 Euro von 70 auf unter 50 Euro eingebrochen.

Die Borkenkäferproblematik setzt auch den Landesforstbetrieb unter Zeitdruck, denn auch er hat sich dem Waldschutz verschrieben. „Wir schaffen deshalb zuerst die Einzelwürfe an den Südhängen heraus, obwohl der Aufwand dort am größten ist“, sagt Viktoria Große. An den Südhängen, wo die Sonne die geschädigten Bäume zuerst austrocknet, würde sich der Borkenkäfer mit Vorliebe einnisten. „Diese kleinen Nester können später zu erheblichen Problemen führen, die Käfer greifen auf gesunde Bestände über.“

Erst später werden die großen Flächen beräumt, wo ganze Baumgruppen vom Sturm umgenietet wurden. Betroffen sei man, weil diesmal vor allem Altholz aus dem Boden gerissen wurde. „Manche Bäume waren weit über 100 Jahre alt“, berichtet Große. „Da der Boden aufgeweicht war, hat es die Bäume samt Wurzeltellern aus dem Untergrund gerissen.“

Am Treppenstieg arbeitet an diesem eisigkalten Nachmittag niemand. „Es war zu gefährlich, Arbeiten selbst mit schwerer Technik kaum möglich“, sagt Christian Lux. Schnee, Frost, aufgeweichte Böden und Granitfelsen, die aus dem Boden kragen, machen es selbst erfahrenen Forstwirtschaftsmeistern mit Harvestern und Seilwinde unmöglich, die Bäume bei dieser Witterung zu beräumen. „Sie sind gerade auf der anderen Seite des Brockens beschäftigt“, sagt er.

Dass die Lage derzeit zu gefährlich ist, bestätigt Dirk Grotelüschen. Das Bild, das sich ihm hier bei Drei Annen Hohne bietet, verschlägt selbst dem langjährigen Forstwirtschaftsmeister die Sprache. Er wollte demonstrieren, wie heikel sich die Säge- und Räumungsarbeiten angesichts des Chaos, das „Friederike“ hinterlassen hat, gestalten. Doch die Wirklichkeit übertrifft das Szenario, das der erfahrene Mitarbeiter der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau für die Presse inszenieren wollte. „Hier können wir nichts demonstrieren, wir würden uns gefährden“, sagt er und blickt auf einige umgestürzte Fichten, die sich unter der Last des Schnees biegen, ineinander verkeilt sind.

„So ein Baum ist unberechenbar. Gefroren verhält sich das Holz zudem anders. Keiner kann vorhersagen, in welche Richtung er hochschnellt“, schildert er die Problematik. Auf dem glitschigen Untergrund habe er zudem Mühe, Halt zu finden. Druck- und Zugseite der tonnenschweren Stämme seien kaum berechenbar. Die Bäume stehen unter Spannung. Mitarbeiter von der Berufsgenossenschaft wie Dirk Grotelüschen drängen deshalb darauf, die Bäume am besten nur hochmechanisiert – also mit Harvester, Bagger oder Seilwinde – aus dem Gelände zu schaffen. „Technik vor Mann“, sagt sein Chef Christian Lüschow von der Berufsgenossenschaft.

Der 54 Jahre alte Präventionsbeauftragte ist im Harz unterwegs, um aufzuklären. Nicht ohne Grund. „Sturmereignisse ziehen immer Verletzte und Tote nach sich. Wer hier arbeitet, muss unbedingt Erfahrung mit Windwurf haben“, sagt er. Es sind vor allem Nichtfachleute, die sich mit der Motorsäge im Baum-Mikado zu schaffen machen, entwurzelte Bäume falsch anschneiden und dann von Stämmen oder mehrere Tonnen schweren Wurzeltellern erschlagen werden. Es gebe allzu viele Privatwaldbesitzer, die sich das Geld für Profis sparen wollen und selbst zur Kettensäge greifen. „Ich habe schon Leute in Turnschuhen im Wald sägen sehen“, sagt Britta Wellge, die in der Berufsgenossenschaft als Aufsichtsperson arbeitet. Und genau so triviale Fehler hätten schon tödliche Unfälle nach sich gezogen. Vorgeschrieben seien eine Schnittschutzhose, Gesichts- sowie Gehörschutz und Stiefel mit Schnittschutzgewebe und Stahlkappen sowie eine Warnjacke.

Bis in den Sommer würden die Aufräumarbeiten noch andauern, heißt es von den Forstbetrieben und im Nationalpark. „Dann kommt die nächste große Aufgabe: Der Wegebau“, sagt Viktoria Große. „Die Wege wurden von den schweren Maschinen und Lkws kaputt gefahren, die Schäden werden auch 2019 noch sichtbar sein.“ Die Aufforstung, bei der vor allem Laubbäume gepflanzt werden, werde in den nächsten zwei bis drei Jahren erfolgen.