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Kommentar Der Abstieg des FCM

Der 1. FC Magdeburg steht kurz vor dem Abstieg in die Bedeutungslosigkeit. Das würde den Verein um zehn Jahre zurückwerfen.

Von Nico Esche 30.06.2020, 23:01

Magdeburg l Da sind wir also nun wieder, im Kellergeschoss der Liga, das zweite Mal innerhalb weniger Monate, und bangen mit dem erneuten Abstieg. Diesmal mit einem kleinen und feinen Unterschied, diesmal geht es um alles, und damit meine ich, die Bedeutung im nationalen Fußball.

Das Damoklesschwert schwebt bereits seit geraumer Zeit über dem 1. FC Magdeburg. Dabei war vieles einst so ansehnlich und herzerwärmend, wenn man sich an die kürzere Vergangenheit zurückerinnert. Eine Zeit, als das blau-weiße Herz schnell und schneller geschlagen hatte: Ex-Kapitän Marius Sowislo und seine Männer kämpften sich entgegen aller Widrigkeiten auf den Drittliga-Olymp. Die Meisterschaft wurde eingetütet, den Skeptikern mit einer brutal effizienten Leichtigkeit Staub zu schlucken gegeben.

Doch das Unterhaus, die zweite Liga, ist von Mannschaften durchsetzt, die neben dem Kampf im Herzen, vor allem auch spielerische Klasse in den Knochen trägt. Eine Tugend, die den meisten Clubs in der Dritten fehlt. An Heidenheim, Köln und Pauli biss sich der FCM die Kiefer wund, der Aufstieg war kräftezehrend, die Motivation versiegte im Sumpf ständiger Niederlagen.

Der Abstieg wurde bald besiegelt, der Sieg gegen den großen Hamburger Sportverein (2:1), ein letztes Aufbäumen des darbenden FCM. Doch was anschließend geschah, spottete jeder Beschreibung. Die Trainer wurden in den kommenden Monaten durchgereicht, eine Vertrauensbasis wurde noch an ihrer Knospe zerdrückt, weit vorher, bevor ein Vertrauen hätte entstehen können.

Michael Oenning kam, sah und scheiterte. Wie viel Schuld er an dem schlechten Abschneiden des wichtigsten Fußballclubs Magdeburgs trug, lässt sich schwer fassen, die Basis, auf die er hätte aufbauen können, war denkbar schlecht. Der Abstiegskampf hing den Männern in den Knochen, der ein oder andere Spieler hatte (oft hinter vorgehaltener Hand) bereits mit anderen Vereinen Verträge vereinbart, die Leistungen waren dementsprechend schlecht.

Stefan Krämer folgte, war beliebt unter den Spielern und den Fans. Allen voran die Leistungsträger sollen eine sehr gute Beziehung zu dem heutigen Uerdingen-Trainer gehabt haben. Erfolge blieben aus, der 1. FC Magdeburg pendelte sich im Mittelfeld ein. Und doch: eine Mannschaft wurde geformt, schlicht “eingerüttelt” wurde die Elf noch nicht, dafür fehlte einfach die Zeit. Krämer musste den Club verlassen, noch bevor seine “Impfung” bei den Spielern Wirkung gezeigt hätte.

Nur wenige Stunden später war es Claus-Dieter Wollitz, der an der Seitenlinie stehen sollte. Zu einem Zeitpunkt, an dem eben angesprochene Leistungsträger, ob der "Hals-über-Kopf-Entlassung" Krämers, immer noch verwundert die Häupter schüttelten. Nicht nur, dass der Verein den Trainer rausgeschmissen hat, der im Begriff war, ein Vertrauen aufzubauen. Nein, der Club holte sich einen neuen Trainer ins Haus, der bei Fans, Kritikern und (wahrscheinlich) bei vielen Spielern, sagen wir einmal, nicht hoch in der Gunst stand. Und das ist schon sehr positiv ausgedrückt, las man die vielen negativen Kommentare zur Wollitz-Situation auf den sozialen Netzwerken quer.

Jeder, der selber einmal auf dem Platz stand, kann bestätigen, wie wichtig eine Vertrauensbasis zum Trainer und Stab ist - sei es in einem Drittligaverein oder in der F-Jugend des SV Rot Weiß Wackersleben. Oft ist eine Beziehung zwischen Ausführenden und Taktikgebenden Grundlage, die zwischen Sieg und Niederlage entscheiden kann; oder aber auch zwischen “Ich gehe gerne auf den Platz” und “Ich traue mich nicht auch nur den Mund aufzumachen”. Ein Verein ist wie eine zweite Familie. Wackelt das Vertrauen zum Oberhaupt, bricht das Fundament nach und nach unter den Füßen zusammen.

Die Chancen, die Liga zu halten, sind da, doch wurden sie von Spiel zu Spiel niedriger, die Pleiten gegen München in der letzten Sekunde und der Schmach von Großaspach, schmerzen zutiefst in der Fan-Seele. Eine Sekunde länger konzentriert geblieben, ein einziges Mal einen kühlen Kopf vor dem Tor behalten, und die Zeilen hier würden sich gänzlich anders lesen.

Sicherlich wäre es einfach, einzelne Schuldige aus diesem Wust an Menschen, die den Club seit Jahren am Laufen halten, herauszupicken. Viele falsche Entscheidungen wurden getroffen, wie die Entlassung Härtels. Und das zu einem Zeitpunkt, da zwar nicht viel nach vorne ging, das aufgebaute Vertrauen zwischen Verein und Trainer jedoch in den Folgespielen das Zünglein an der Waage hätte sein können. Auch spielerisch war das in weiten Teilen Murks, entweder lag das an fehlendem Esprit, Können oder abhanden gekommener Motivation der Spieler - gerade letztes war stets eines der großen Leitbilder des 1. FC Magdeburgs, bekannt auch über die Landesgrenzen hinaus.

Und ja, auch Corona könnte eine Rolle gespielt haben, immerhin konnten sich die Spieler kaum auf die Situation einstellen, durften nicht gemeinsam trainieren. Gleichzeitig war der Großteil der Mitbewerber bereits im Training. Fair ist das nicht. Faire Verhältnisse sind das ebenso nicht. Ein fairer Umgang mit diesen Mannschaften? Keine Option. Der DFB ist nicht fair, kein Geheimnis, aber etwas, das immer wieder mal erwähnt werden sollte.

Was passiert, wenn der FCM in die Regionalliga absteigt? Eine mögliche Insolvenz, wie manche bereits unken, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber sehr unwahrscheinlich. Die dicke Finanzspritze , eingeleitet durch den Top-Transfer von Marius Bülter, ist ein Segen für den Club, das Geld wurde stets zusammengehalten (vielleicht zu sehr?).

Der Abstieg würde jedoch die Vereinsfarben verblassen lassen. Das Prestige, das Sowislo, Mario Kallnik bis hin zu Jugendabteilungschef und Jetzt-Trainer Thomas Hoßmang über Jahre hinweg aufgebaut hat, wird zu Grabe getragen. Der FCM teilt seinen 30.000 Seelen zählenden Tempel künftig mit Fans aus den Lagern des ZFC Meuselwitz (durchschnittlich 625 Heim-Zuschauer in der Saison 18/19) oder Union Fürstenwalde (484 Heim-Zuschauer). Der FCM hatte im Vergleich übrigens 20.225 Zuschauer im Schnitt. Demütigende Zukunftsperspektiven.

Leidtragende sind vor allem all jene, die Woche für Woche am Rande des Herzinfarkts mitleiden und treu ihrem Verein ins Stadion folgen und durch ganz Deutschland hinterherreisen, nämlich den Fans. Diese werden mit ihrer Anwesenheit künftig alle Stadien der Liga dominieren, da sie stets mit ihren rund 700 bis 1000 Auswärtsfahrern in der Mehrzahl sein werden - und das ist genauso traurig, wie es sich liest.

Allein die Vorstellung, dass der 1. FC Magdeburg künftig in der Regionalliga spiele, ist so absurd wie real. Gab es je ein Club im Amateurfußball mit einem solch großen Stadion? Oder gar mit insgesamt fast 10.000 Mitgliedern? Der Aufstieg aus der Regionalliga? Ein Ziel, das nach allen absehbaren Spielerabgängen, erst in zwei bis drei Jahren erreicht werden kann. Frühestens.

Was passiert, wenn der FCM die Liga halten kann? Als Erstes wird aussortiert. Eine ganze Reihe an Verträge laufen diesen Sommer aus, mit den Bülter-Millionen muss klug und effizient eingekauft werden. Auch muss auf die eigene Jugend gesetzt und den jungen Kerlen zumindest die Chance gegeben werden, sich zu beweisen - das kann zudem ein gutes Licht auf die Jugendabteilung des Vereins werfen und so potenzielle Talente zum FCM gelockt werden.

Die zweite Chance muss genutzt werden, am besten nimmt man sich das Beispiel aus Braunschweig zu Herzen. Der BTSV ist nach seinem harten Abstieg von der ersten in die dritte Liga schwer ins Schwimmen geraten. In der vergangenen Spielzeit retteten sie sich gar auf dem 16. Platz und hielten ächzend die Liga. Ein Jahr später können sie den Aufstieg in die zweite Liga so gut wie sicher einpacken und mit nach Hause nehmen.

Ein kämpferisches Beispiel: Werder Bremen. Sie waren in dieser Saison so gut wie abgestiegen, brauchten ans rettende Ufer mindestens vier Tore Unterschied und Schützenhilfe von Union Berlin, die bei der Parallel-Partie gegen Düsseldorf spielten. Bremen schoss in sieben Minuten drei Tore(!), Endstand 6:1, Düsseldorf unterlag, die Hanseaten konnten sich retten.

Zudem wäre es generell nicht verkehrt den Trainer zu halten, sollte er dies wünschen. Hoßmang “ist” 1. FC Magdeburg, das ist nicht zu leugnen, zeigt sich in seiner Körpersprache und seinem Lebenslauf. Die großen Erfolge blieben zwar bislang aus, einer wie er kann jedoch zur Identifikationsfigur für das neue Zeitalter des Clubs werden. Zudem bleibt die Frage, was mit der Personalie Maik Franz geschehen wird. Der Sportchef des Clubs, der aktuell beurlaubt und dessen Rolle von Kallnik gefüllt wurde, bleibt ein Zankapfel zwischen Verein und Fans. Sein Verbleib, ob bei Abstieg oder Klassenerhalt, wird auch künftig Zunder der Gemüter von Vereinsmitglieder sein. Vertrauen ist auch hierbei das Stichwort.

Die Hoffnung bleibt. Hoffnung auf einen Verbleib im Profi-Sport. Der Abstieg wäre zwar nicht der Untergang des Vereins, einer Zäsur käme der Schritt in den Amateurfußball jedoch gleich. Eine der für die Sportstadt Magdeburg dunkelste Stunde ihrer Geschichte wäre der Fall in die Regionalliga zweifelsohne.

Nico Esche ist leidenschaftlicher “Blau-Weißer”. Dabei ist das Wort “leidenschaftlich” wörtlich zu nehmen, leidet er doch viel zu oft bei den Spielen seines Clubs in den vergangenen Monaten echte Pein. Der erste Stadionbesuch seines Lebens? Im HKS. Der voraussichtlich letzte Stadionbesuch seines Lebens? Im HKS. Seine Liebe zum Verein? Einmal immer.