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Heimaträtsel Starker Geruch an der „Käseinsel“

Am zweiten Volksstimme-Heimaträtsel haben sich wieder viele Leser beteiligt. Die Straße An der Lorenzkirche ist die Lösung.

Von Annemarie Fehse 23.04.2016, 02:00

Salzwedel l Wer durch die Straße An der Lorenzkirche in Salzwedel geht oder fährt, findet heute einen gebührenpflichtigen, kleinen Parkplatz vor. Das war einst allerdings nicht so. Dort, wo jetzt Autos parken, stand früher eine Häuserreihe. „Diese wurde um 1960 abgebrochen“, erzählt Steffen Langusch, Leiter des Salzwedeler Stadtarchivs. Er hat der Volksstimme das alte Bild aus dem Archiv für das zweite Heimaträtsel zur Verfügung gestellt.

„Das Foto könnte aus dem Fotografenbetrieb Oberst stammen“, vermutet Lutz Michelsen aus Ziethnitz. Das Motiv zeigt sechs Häuser, wobei das erste auf der linken Straßenseite nur partiell sichtbar ist.

„Das Haus ganz links, es ist nur halb zu sehen, gehörte dem letzten Salzwedeler Drechslermeister Georg Oelßner und seiner Tochter Sidonie Kraft“, erzählt Reinhard Krüger aus Salzwedel. „Oelßner hat uns Kindern immer ´Küssel´ gedreht“, kann Paul Thurm, der heute in Duisburg wohnt, aus seiner Kindheit berichten. „Das sind kleine Kreisel zum Spielen gewesen.“

Zum zweiten Haus auf der linken Seite (An der Lorenzkirche 12) berichtet Erwin Müller aus Salzwedel: „Dort hat nach der Wende der Elektriker Horst Kakerbeck ein Geschäft gehabt.“ Kakerbeck habe das Haus nach Abriss um 1990 neu aufgebaut, fügt Reinhard Krüger hinzu. Außerdem sagt er: „Zuvor gehörte es Schuhmacher Hermann Schulz, später seiner Schwiegertochter.“

Das dritte Haus auf der linken Seite (An der Lorenzkirche 8) befindet sich heute noch in marodem Zustand. Die einzige bauliche Veränderung scheint eine erneuerte Fassade zu sein, sowie der Ausbau von Garagen. Im Nachbarhaus (Kramstraße 7) wohnt seit Langem Familie Kuschmitz. „Die Frau vor dem Haus auf dem alten Foto könnte daher Frau Kuschmitz sein“, vermutet Erwin Müller.

Der Blick auf das Haus der Familie ist heute frei. Zur Aufnahmezeit des Schwarz-Weiß-Bildes war die Straßenführung durch die Häuserreihe auf der rechten Seite, die als „Insel“ bekannt war, nicht einsehbar. Heute können Passanten auf die Kramstraße blicken. Paul Thurm erinnert sich: „Wir nannten es die ´Käseinsel´, weil es dort immer stark gerochen hat.“ Die 82-jährige Waltraud Krüger wohnte um 1945 in der Straße und berichtet über das erste Haus auf der rechten Seite: „Zwischen den Häusern gab es eine kleine Nische. Im Obergeschoss war die Fassade herausgebrochen.Familie Blassek, die dort wohnte, hat das Loch mit Tüchern verhangen. Wenn sie ihr Geschäft verrichten mussten, schoben sie die Vorhänge beiseite und alles landete auf dem kleinen Gang.“

Ein anderer Name für die Häuser an der rechten Straßenseite war „Rattenburg“ oder auch „Käseblock“. Marie-Luise Gieseler aus Salzwedel erinnert sich: „Frau Stiebilski (Schreibweise unklar, Anm. d. Red.) ist immer mit einem Handwagen durch die Straßen gegangen, um Pferdeäpfel aufzusammeln.“ Dabei habe sie stets lange Kleider und Schürzen getragen. Christa Winkler kann berichten: „Ich war als Kind ab 1946 oft dort bei der Freundin meiner Mutter.“ Frau Cibis (Schreibweise unklar, Anm. der Red.), die besagte Freundin, soll zwei Töchter gehabt haben.

Egon Gehrke wurde 1930 als Sohn eines Schuhmachers in der Kramstraße 12 geboren und kann sich an eine Familie Busse erinnern, die im zweiten Haus der „Käseinsel“ im Erdgeschoss gewohnt habe. „Man erreichte sie über den Eingang von der Kramstraße aus“, erläutert er.

Zur NS-Zeit sei die Familie Grube, die in der zweiten Etage gewohnt habe, verfolgt und umgesiedelt worden. „Sie waren Kommunisten“, sagt Gehrke. Reinhard Krüger berichtet, eine kommunistische Zeitung sei in den Häusern rechts verfasst oder gedruckt worden.

Gottfried Przybylski aus Salzwedel erzählt, in dem Häuserblock seien nach dem Zweiten Weltkrieg auch Roma-Familien und Flüchtlinge wohnhaft gewesen. Zu diesen ist nichts bekannt, da kein Kontakt bestanden habe.

Um 1960 wurde die Häuserreihe abgerissen. „Danach wurden dort Platten verlegt, auf denen Kinder Rollschuh gefahren sind“, erzählt Waltraud Krüger aus ihrer Erinnerung. Heute ist die Fläche ein Parkplatz. „Ich muss zugeben, dass ich die Straße nicht sofort erkannt habe“, räumt Barbara Boos aus Ilmenau ein. Gisela und Rainer Schulze dachten zuerst, es sei die Schmiedestraße abgebildet. „Wir sind extra hingegangen, um nachzugucken“, erzählen die beiden amüsiert. „Das war sehr kniffelig.“ Erkannt haben sie die Straße dann aber am Haus der Familie Kuschmitz, das noch immer die kleinen Dreiecke im Giebel aufweise.

Richtig gelegen haben auch: Regina Brüns aus Salzwedel, Wolfgang Dahse, Heidrun Dreyer aus Salzwedel, Bodo Habermannn aus Salzwedel, Rotraud Karweil, Flora Kleinschrod aus Salzwedel, Reinhard Rösch aus Thüringen, Petra Steigemann aus Pretzier, Wolfgang Vogt aus Salzwedel, Margarete Hein aus Salzwedel sowie Paul Widlitzki, J. Winkler und Werner Müller aus Salzwedel.