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Der lange Kampf gegen den Lehrermangel

Mit einem neuen Gesetz soll der Personalschlüssel für pädagogische Kräfte festgeschrieben werden. Es braucht 163 000 Unterschriften im Land, um dieses vorlegen zu können. Bisher gibt es 15 000.

Von Enrico Joo 18.03.2020, 19:20

Staßfurt/Schönebeck l Stuhl um Stuhl hatten die Mitarbeiter der Urania am vergangenen Mittwoch in ihren großen Raum links vom Eingang hereingetragen. Dabei waren die Mühen fast unnötig. Die Staßfurter Bildungseinrichtung hatte Thomas Lippmann – Fraktionsvorsitzender der Linken im Landtag – eingeladen, damit dieser als Koordinator des Volksbegehrens „Den Mangel beenden – Unseren Kindern Zukunft geben“ über die aktuelle Situation an den Schulen berichtet. Nur sieben Neugierige waren dem Aufruf der Urania gefolgt. Was bezeichnend ist.

Am 8. Januar startete das Volksbegehren, das einen Personalschlüssel für pädagogische Kräfte festlegen will. 163 000 Unterschriften braucht es bis zum 7. Juli. Nach einem Drittel der Frist haben 15 000 Menschen unterschrieben.

Woran hapert es? „Es gibt jeden Tag neue Hürden“, sagt Thomas Jäger, Sprecher des Landeselternrats beim Volksbegehren. Ein breites Bündnis mit zwölf Partnern und fünf Unterstützern trägt das Volksbegehren. Politisch getragen wird es von den Linken. Schon 2017 gab es eine Volksinitiative mit fast 100 000 Unterschriften. Weil sich aber nichts getan hätte, wurde ein Volksbegehren gestartet. Dass es bisher holprig läuft, hat laut Thomas Jäger auch mit einem „Knebelbrief“ zu tun, wie er es bezeichnet. Das Landesschulamt hatte im Januar die Schulleitungen angeschrieben und darin eine Befassung mit dem Anliegen innerhalb des Schulbetriebes untersagt. Gerhard Degner, stellvertretender Direktor des Landesschulamtes, erinnerte an die „Pflicht zur Wahrung der politischen Neutralität“.

Für die Initiatoren des Volksbegehrens ist der Brief irreführend. „Das ist völliger Quatsch. Weil diese Anweisungen an die Schulen gegeben wurde, wird das Volksbegehren in seiner Findung gefährdet“, meint Jäger. Thomas Lippmann erläutert: „Lehrer dürfen natürlich werben und sammeln, mit Eltern darüber reden und Aushänge im Lehrerzimmer machen. Sie dürfen nur nicht in ihrer dienstlichen Eigenschaft Einfluss üben.“ Jäger: „Mein persönliches Ziel ist es, dass das Landesschulamt eine Richtigstellung per Brief herausgibt.“ Generell kritisiert er: „Das Bildungsministerium ist ein motorloser Tanker. Wir sind zu langsam und nehmen keine Hilfe an. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“

Für das Volksbegehren gibt es weitere Hürden. Zum Beispiel der feste Zeitrahmen. Dass es in Sachsen-Anhalt 122 Meldebehörden gibt (im Salzlandkreis 13) und keine Unterschrift auf einer falschen Liste landen darf, sei eine hohe Hürde. Nun wurde mit einem neuen Gesetz die Anzahl der benötigten Unterschriften von neun auf sieben Prozent gesenkt, für das Volksbegehren „Den Mangel beenden“ gilt aber noch die Neun-Prozent-Regelung. „Nur ganz ganz wenige Volksentscheide sind erfolgreich“, meint Lippmann. So hat es in Sachsen-Anhalt bisher erst drei Volksentscheide gegeben, die alle gescheitert sind.

Im Jahr 2000 gab es das Volksbegehren „Für die Zukunft unserer Kinder“, das sich für die Rücknahme der Kürzungen der Kindertagesstätten-Landeszuschüsse einsetzte. Dieses hatte zu wenig Unterschriften. „Für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt“ hieß ein Volksbegehren im Jahr 2003, das sich für Reformen in der Kinderbetreuung und gegen Kürzungen aussprach. Hier gab es im Volksentscheid zwar eine Mehrheit. Jedoch wurde nicht die erforderliche Zahl an Abstimmungen erreicht. Den bisher letzten Volksentscheid gab es im Jahr 2011 mit dem Titel: „Sachsen-Anhalt 2011“. Dieses richtete sich gegen die zwangsweise Bildung von Einheitsgemeinden im Zuge der Gemeindegebietsreform. Auch dieses Volksbegehren hatte zu wenig Unterschriften.

Was können die Initiatoren des aktuellen Begehrens anders machen, damit ihnen nicht das gleiche Schicksal droht? „Wir müssen werben, werben, werben, damit es ein Schneeballsystem wird“, so Lippmann. Aktuell seien 70 000 Bögen verteilt. Die Listen liegen aus in den Wahlkreisbüros der Linken im Salzlandkreis. Zum Beispiel in Staßfurt in der Löderburger Straße und in Schönebeck in der Pfännerstraße. Auch in der Staßfurter Urania liegen Bögen aus. Im Internet gibt es die Listen auf der Internetseite des Volksbegehrens zum Ausdrucken. Letzte Woche wurden für den Salzlandkreis 968 Unterschriften gelistet. „Das ist der zweitbeste Wert in Sachsen-Anhalt, verglichen mit den Einwohnerzahlen. Der Salzlandkreis hat starke Strukturen“, so Thomas Lippmann.

Trotzdem gilt: „Wir müssen neue Wege gehen“, sagt Lippmann. Ab April soll es konzertierte Aktionen geben in den Kommunen. „Wir werden zur Einkaufszeit an großen Plätzen stehen, bei Dorffesten und Sportfesten vor Ort sein.“ Jeden ersten Freitag und Sonnabend im Monat wollen die Initiatoren aktiv werben. Wo genau, soll noch bekanntgegeben werden. Thomas Jäger will sich parallel dafür einsetzen, dass nicht nur der Landeselternrat, sondern alle einzelnen Schulelternratsvorsitzenden eingebunden werden. „Wir müssen an die Basis gehen“, sagt er. Eine Online-Petition ist hingegen gesetzlich nicht vorgesehen und nicht möglich.

Ob die 163 000 Unterschriften erreicht werden? „Wir sind gut gestartet und optimistisch“, sagt Thomas Lippmann. Sollten die nötigen Unterschriften erreicht werden, geht Lippmann davon aus, dass der Landtag die Gesetzesänderung nicht annimmt. Dann würde es am 6. Juni 2021 einen Volksentscheid geben, parallel zur Landtagswahl. Wenn mehr als 25 Prozent der Wahlberechtigten abstimmen und das Votum positiv ausfällt, wäre die Gesetzesänderung bindend.