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Johann Legner beobachtet für die Volksstimme von Washington aus den Kampf um die Präsidentschaft in den USA Das Chicago der Schlachthöfe oder die neue Aggressivität Obamas

30.07.2012, 03:21

Bevor das Drama im Kino von Aurora den amerikanischen Wahlkampf zunächst einfrieren ließ, ging es heiß her. "Heiß wie in den Chicagoer Schlachthöfen", schrien plötzlich und überrascht die republikanischen Gegner von US-Präsident Barack Obama. Obama kommt ja aus Chicago, der drittgrößten Stadt der USA.

Und die wurde nicht nur viele Jahrzehnte von der berühmten, berüchtigten Parteimaschine der Demokraten beherrscht, sondern war auch lange Zeit das mit Abstand größte Schlachthaus der Welt, in dem jeden Monat bis zu einer Million Rinder zu Fleisch verarbeitet wurden. Diese eigenartige Mischung aus Macht und Blut wurde legendär und hat viele Künstler wie beispielsweise Bertolt Brecht angeregt. Für die Republikaner und ihren Frontmann Mitt Romney war nicht nur die Stadt, sondern auch der Staat Illinois lange Zeit auch so etwas wie ein Schlachthaus. Richard Nixon verlor dort sein Rennen gegen Jack Kennedy und bis heute gibt es die wildesten Gerüchte, wonach dieser Sieg zusammengekauft wurde. Heute wird Chicago übrigens von Bürgermeister Rahm Emanuel regiert, der zuvor im Weißen Haus Obamas erster Stabschef war.

Romney und seine Republikaner wurden erkennbar überrascht von dem brutalen Nahkampfstil, den der Chicagoer Obama plötzlich an den Tag legte. Dieser Romney sei der "erste Präsidentschaftskandidat mit einem Schweizer Bankkonto". Und dann noch - das klang dann fast schon, als habe man ihn im Bordell erwischt - mit Konten auf den Cayman-Islands.

Die liegen irgendwo zwischen Jamaika und Kuba, haben eine Fläche, die noch nicht einmal ein Drittel Berlins umfasst, etwa 60000 Einwohner und sind in aller Bescheidenheit auf Platz 5 der Liste der wichtigsten Finanzzentren der Welt. Da hat so ziemlich jede größere Bank der Welt eine Filiale und da hatte dann auch Herr Romney Bankkonten. Aus dem gottesfürchtigen Mormonen, der als erfolgreicher Geschäftsmann ein kleines Vermögen erarbeitete, wurde plötzlich ein dubioser Finanzhai. Die Republikaner glaubten sich nach den jüngsten deprimierenden Zahlen vom Arbeitsmarkt schon auf der Siegesstraße und fanden sich in einer Schlammschlacht wieder.

Die Krönung der Geschichte war dann Romneys Weigerung, mehr als die letzten beiden Steuerbescheide zu veröffentlichen. Da schüttelten selbst treue Parteigänger der Republikaner den Kopf. Das sehe ja so aus, als ob er mit seinen Konten etwas zu verbergen habe. In den Umfragen jedenfalls hat die Schlammschlacht zu einem Stillstand geführt - Obama fiel nicht weiter zurück und liegt damit zumeist noch immer leicht vorne.

Nun haben solche Geschichten in den USA durchaus Tradition. 2004 gelang es George W. Bush, der sich um den Vietnam-Krieg gedrückt hatte, den vielfach dekorierten Kriegsheld Kerry madig zu machen, als einige frühere Kameraden von Kerry verkündeten, der Mann gebe mit Heldentaten an, die sich so gar nicht zugetragen hätten.

Mit den Wahlprogrammen der beiden hatten diese sehr früh im Wahlkampf vorgetragenen Attacken gar nichts zu tun, aber es beschädigte ohne Zweifel das bis dahin makellose Image des Kandidaten. Jetzt droht Romney das gleiche Schicksal. Aus dem Mann, der weiß, wie man gute Geschäfte macht, droht der Kerl zu werden, der sich gut auskennt damit, Kapital und damit Arbeitsplätze nicht nur außer Landes, sondern auch noch in solch anrüchige Steueroasen zu schaffen.

Ob das Manöver nachhaltig Erfolg zeigt, weiß heute keiner. Aber die panikartige Reaktion der Republikaner zeigt, dass ihnen solch eine Kampagne gar nicht in eine Landschaft passt, in der die Banken sowieso wegen der neuesten Skandale am Pranger stehen. Aber dann kam ja der Todesschütze von Aurora und die Pause in der alltäglichen Schlammschlacht.