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Landtagswahlen AfD kann stärkste Partei im Osten werden

Die AfD erzielt bei Wahlen mehr Zuspruch als bei Umfragen. 2019 will die Partei dies in Thüringen, Sachsen und Brandenburg beweisen.

28.12.2018, 10:45

Dresden/Erfurt/Potdsam (dpa) l Die AfD will 2019 im Osten Geschichte schreiben. Bei drei Landtagswahlen hat sie die Chance, CDU, SPD oder die Linke als stärkste Kraft abzulösen. Ob das nun ein Sündenfall wäre oder einfach nur Demokratie, liegt ganz im Auge des Betrachters. Die Alternative für Deutschland als Wahlalternative? In einer aktuellen Umfrage liegt sie in Brandenburg mit 23 Prozent gemeinsam mit der SPD vorn, in Thüringen einen Prozentpunkt hinter der CDU gleichauf mit den Linken (je 22). In Sachsen beträgt der Rückstand der AfD auf die Union zwar vier Punkte, zur Bundestagswahl 2017 konnte sie hier aber schon einmal an der Union vorbeiziehen.

Auffällig ist, dass die AfD in Umfragen in der Regel schlechter abschnitt hat als später bei der Wahl. "Man weiß aus der Forschung, dass es bei Befragungen häufig eine Verzerrung durch "soziale Erwünschtheit" der Antworten gibt. Viele glauben, dass es sozial nicht erwünscht sei, sich zur AfD zu bekennen. Das ist ein gewichtiger Faktor bei Umfragen", erklärt Politikwissenschaftler Hans Vorländer. Der Dresdner Professor sieht das Potenzial der AfD in Osten bei etwa 25 Prozent. Ein Teil der Wähler teile die Haltung der AfD zu Fragen wie Migration oder Law & Order, ein anderer Teil wähle die Partei aus Protest gegen die etablierten Parteien.

"Ich bin optimistisch und gehe mit einem guten Gefühl in das neue Jahr. Wir haben die Chance, stärkste Kraft in Sachsen zu werden", sagt der sächsische AfD-Partei- und Fraktionschef Jörg Urban. Er mache sich Sorgen um die Entwicklung des Freistaates und trägt bekannte AfD-Positionen vor. Die Kriminalität werde als Folge der "illegalen Masseneinwanderung" weiter zunehmen, die Wirtschaftspolitik der anderen sei eher industriefeindlich. "Das alles wird dazu führen, dass mehr Leute die AfD wählen. Für das Land an sich ist diese negative Entwicklung aber verheerend."

Dass die sächsische CDU mit ihrem Ministerpräsidenten Michael Kretschmer eine Koalition mit der AfD kategorisch ausschließt, ficht Urban nicht an. Er hält solche Aussagen für pure Verzweiflung und nicht in Stein gemeißelt. Der 54 Jahre alte Bauingenieur war früher Geschäftsführer des Umweltverbandes Grüne Liga in Sachsen. Heute glaubt er nicht an einen von Menschen verursachten Klimawandel und ist strikt gegen einen schnelleren Ausstieg aus der Braunkohle. Urban will Spitzenkandidat in Sachsen werden und hat dabei mindestens einen Mitbewerber, den Görlitzer AfD-Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla. Der hatte bei der Bundestagswahl Kretschmer das Mandat abgejagt.

Bei AfD-Wahlkampfthemen rangieren Innere Sicherheit und Migration ganz vorn. Beides würde sich einander bedingen, sagt Urban. Aber auch die Bildungspolitik mit Lehrermangel und "Gesinnungsunterricht" soll aufgegriffen werden. Gleiches gilt für Soziales mit Rente, Pflege und Gesundheitsversorgung. "Die AfD versucht ihr Programmportfolio zu erweitern, um nicht allein von dem Thema Migration abhängig zu sein", sagt Vorländer. Laut Urban will sich die AfD in allen drei Ländern für den Wahlkampf abstimmen: "Wir möchten mit einem möglichst einheitlichen Bild auftreten, damit man die AfD wiedererkennt."

In Thüringen zieht sie mit ihrem bundesweit umstrittenen Partei- und Fraktionschef Björn Höcke in die Landtagswahl am 27. Oktober. Höcke, der für den ultrarechten Flügel in der AfD steht, hält sich bisher bedeckt zu den Wahlchancen seiner Partei. Zuletzt hatte er viel damit zu tun, sich über die Entscheidung des Verfassungsschutzes aufzuregen, die Thüringer AfD zum Prüffall zu erklären. Immerhin geht es um die Vorstufe einer Beobachtung – ohne geheimdienstliche Mittel wird geprüft, ob es verfassungsfeindliche Tendenzen in der AfD gibt.

Die Folge: Höcke hat Rechtsaußen in der Partei angezählt, sogar gefordert, einen von ihnen nicht auf die Landesliste zu setzen. Der Verfassungsschutz sei derzeit kein "Staatsschutz, sondern ein Establishmentschutz", schimpfte er. Vor einigen Tagen schickte die AfD eine Klageschrift nach Weimar zum Verfassungsgericht. Tenor: Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer und Innenminister Georg Maier (SPD) würden mit der Unterstellung, die AfD würde mit Extremisten zusammenarbeiten, gegen ihre Neutralitätspflicht und das verfassungsmäßige Recht der Parteien auf Chancengleichheit verstoßen.

Andreas Kalbitz, Landes- und Fraktionschef der AfD in Brandenburg, hofft, dass die AfD auch in seinem Bundesland stärkste Kraft wird. Zu möglichen Konstellationen nach der Landtagswahl sagt er: "Das wahrscheinlichste Szenario ist eine beliebige, bunte Schmetterlingskoalition als Parteienblock gegen die AfD." Das würde der AfD mittelfristig eine gute Vorlage liefern, glaubt er. "Denn weder die Anhänger der CDU wären damit zufrieden noch die Wähler aus dem linken Spektrum."

Kalbitz wird dabei dem äußerst rechten Flügel der AfD zugerechnet – für Aufsehen sorgte er, als er in Chemnitz gemeinsam mit Rechtsextremisten demonstrierte. Dabei musste er zuletzt aber Rückschläge hinnehmen. Der AfD-Landtagsabgeordnete Steffen Königer, der auch Mitglied des AfD-Bundesvorstandes war, verließ Fraktion und Partei. "Die Bürgerlichen in der AfD haben den Kampf gegen die Destruktiven in der Partei in vielen Landesverbänden endgültig verloren", erklärte Königer.

Die Landtagswahlen sind nicht die einzigen Bewährungsproben. Auch Kommunalwahlen und die Europawahlen stehen an. Gerade dafür betreibt die AfD viel Aufwand. Da die Delegierten wegen der hohen Bewerberzahl zur Wahlversammlung in Magdeburg im November nur 13 Kandidaten aufstellten, ist für den 11. Januar eine zweite Runde im sächsischen Riesa anberaumt. Dort soll auch das Programm für die Wahl zum Europäischen Parlament beschlossen werden. Dann wird sich zeigen, ob aus der als Anti-Euro-Partei gestarteten AfD inzwischen eine Anti-EU-Partei geworden ist. Teile der AfD halten einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union für wünschenswert.

Am wichtigsten bleiben jedoch die anstehenden Landtagswahlen. Hier wollen die AfD-Strategen alles daransetzen, die CDU zu überrunden. Denn abgesehen vom Wahlerfolg würde ihnen das in einigen Kreisen vielleicht helfen, das gesellschaftliche Stigma loszuwerden, das ihnen radikale Äußerungen und Auftritte einiger Amts- und Mandatsträger beschert haben.

Diese Ächtung ist neben einer möglicherweise drohenden Beobachtung von Teilen der Partei durch den Verfassungsschutz ein Grund dafür, dass sich einige bürgerliche Mitglieder von der AfD abgewandt haben. In Sachsen oder Thüringen ist das für AfD-Mitglieder vielleicht nicht so ein großes Problem. Doch, wer sich in Münster oder Bremen zu den Rechtspopulisten bekennt, muss damit rechnen, dass der Bekanntenkreis schrumpft. Eine Berliner Waldorfschule lehnt unlängst die Aufnahme eines Kindes ab, weil sein Vater AfD-Politiker ist.