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Oberstes Gericht erlaubt Sterbehilfe Ärzte dürfen Maschinen für Koma-Patienten abschalten

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist klar
für die Sterbehilfe. Doch es ist die Frage, ob die Ärzte Vincent Lambert
tatsächlich sterben lassen können. Seine Eltern wollen ihn um jeden
Preis am Leben erhalten.

06.06.2015, 01:22

Straßburg (dpa/epd) l Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einem europaweit vielbeachteten Urteil die Sterbehilfe für einen Querschnittsgelähmten in Frankreich gebilligt. Die Entscheidung des obersten französischen Verwaltungsgerichts, die künstliche Ernährung des Wachkoma-Patienten Vincent Lambert zu beenden, sei kein Verstoß gegen das Recht auf Leben der Europäischen Menschenrechtskonvention, befanden 12 der 17 Richter des EGMR am Freitag in Straßburg. "Die französische Justiz hat alle medizinischen und ethischen Aspekte dieses Falls sorgfältig abgewogen", heißt es in dem Urteil.

Lambert liegt seit einem Motorradunfall im Jahr 2008 im Koma und ist gelähmt. Die behandelnden Ärzte kamen zu dem Schluss, dass sich sein Zustand auch nicht mehr ändern wird. Sie empfahlen, die lebenserhaltenden Maßnahmen zu beenden und den Patienten sterben zu lassen.

Die zutiefst zerstrittene Familie war im Gerichtssaal anwesend. Die Eltern, streng gläubige Katholiken, wollen den 38-jährigen ehemaligen Krankenpfleger um jeden Preis weiterbehandeln lassen. Er sei schwerbehindert, der Stopp der künstlichen Ernährung sei "verkappte Euthanasie", sagte die Mutter.

Lamberts Ehefrau Rachel und ein Teil seiner Geschwister will ihn dagegen "in Würde gehen lassen". Sie sind für ein Abschalten der Maschinen. Ihr Mann habe sich nie gewünscht, dass sein Leben künstlich verlängert werde, sagte sie. Eine Patientenverfügung von ihm gibt es allerdings nicht.

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof entschied nun, dass die Beendigung der lebensverlängernden Maßnahmen dem mutmaßlichen Willen Lamberts entsprechend. Die Ärzte und der französische Staatsrat hätten diesen korrekt interpretiert. So hätten die Ehefrau und andere Verwandte überzeugende Angaben zum mutmaßlichen Willen des Patienten gemacht.

Urteil ist endgültig

Die französischen Gesetze berücksichtigten für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen ausreichend die Rechte der Patienten und stünden im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, so die Große Kammer des Gerichts. Das Recht auf Leben werde nicht verletzt.

Nun können die Ärzte die Magensonde Lamberts entfernen und ihn sterben lassen. Das Urteil des EGMR ist endgültig; eine Berufung ist nicht möglich. Doch der Anwalt der Eltern, Jean Paillot, will weiterkämpfen und neue Gutachten über seinen Zustand beantragen.

Für Paillot ist das Urteil "skandalös". Mit ihm sei die Möglichkeit gegeben, die künstliche Ernährung für einen Behinderten zu stoppen, "der weder krank ist noch im Sterben liegt". Lambert könnte also noch längere Zeit im Wachkoma liegen.

Die Ehefrau habe Vincent Lamberts mutmaßlichen Willen glaubhaft vorgetragen, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der Deutschen Presse-Agentur. Deshalb konnte der EGMR nur eine solche Entscheidung treffen.

"Um ein solch unwürdiges Gezerre wie jetzt in Frankreich auszuschließen, sollte sich jeder Mensch genau überlegen, eine Patientenverfügung zu verfassen", sagte er. So könne man verbindlich festlegen, welche Maßnahmen bei Wachkoma, bei Demenz oder bei Hirnschädigung ausgeschlossen werden. In Deutschland leben nach seinen Schätzungen etwa 10 000 Menschen im Wachkoma.

Andere Länder, die Sterbehilfe-Gesetze einführen, könnten die französische Regelung über das Lebensende und das EGMR-Urteil als Beispiel nutzen, sagte der Anwalt der Ehefrau Lamberts, Laurent Pettiti.

Debatte in Deutschland

In Frankreich wie in Deutschland können lebensverlängernde Maßnahmen beendet werden, wenn dies dem klaren oder dem mutmaßlichen Wunsch des Patienten entspricht. Aktive Sterbehilfe, also einem Menschen ein tödlich wirkendes Mittel zu verabreichen, ist in Deutschland und Frankreich wie in den meisten europäischen Ländern verboten. Der Bundestag wird noch in diesem Jahr eine neue Regelung verabschieden.