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Boris Palmer taucht ab Ende einer medialen Schlingerfahrt

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer will nach seinem Austritt aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen eine einmonatige Pause im Juni einlegen, wie die Stadt Tübingen gestern mitteilte.

03.05.2023, 15:29
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer will nach  seinen jüngsten Äußerungen eine Therapie beginnen.
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer will nach seinen jüngsten Äußerungen eine Therapie beginnen. Foto: dpa

Palmer will nach Angaben der Stadt währenddessen professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. „Auch wenn dieser Zeitraum sicher nicht ausreichen wird, um die vor mir stehende Aufgabe vollauf zu lösen, bin ich doch zuversichtlich, dass es mir gelingen wird, sie anzugehen, genug Abstand zu gewinnen und Kraft zu schöpfen“, so Palmer in einem Schreiben an alle Beschäftigten der Tübinger Stadtverwaltung mit.

Laut Mitteilung der Stadt ist Palmer derzeit wegen eines Atemweginfekts krankgeschrieben. Sobald die Symptome abklingen, will er demnach bis zum Beginn seiner Auszeit wieder als Oberbürgermeister arbeiten. Palmer kündigte an, dann auch öffentliche Termine und die Leitung von Gemeinderatssitzungen bis Ende Mai wieder zu übernehmen. Verzichten wolle Palmer allerdings auf die Teilnahme an Veranstaltungen, die Anlass zur Konfrontation bieten könnten.

Palmer hatte am Montag seinen Parteiaustritt erklärt und zuvor bekanntgegeben, eine „Auszeit“ nehmen zu wollen. Am Rande einer Migrationskonferenz in Frankfurt am Main hatte er am Freitag Stellung zu Art und Weise seiner Verwendung des „N-Wortes“ genommen. Als er mit „Nazis raus“-Rufen konfrontiert wurde, sagte Palmer zu der Menge: „Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für euch ein Nazi.“ Mit dem sogenannten N-Wort wird heute eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben. Palmer war für seine Äußerungen heftig kritisiert worden. In einer persönlichen Erklärung vom Montag betonte Palmer, er hätte als Oberbürgermeister „niemals so reden dürfen“.

Die Tübinger Grünen äußerten Respekt für die Entscheidung Palmers. Mitglieder vor Ort hätten „große Anstrengungen für eine Annäherung unternommen“, hieß es in einer gemeinsamen Stellungnahme des Kreis- und Stadtverbands der Partei. Angesichts der jüngsten Äußerungen Palmers sei der Austritt aber ein „konsequenter Schritt“.

Der Vorsitzende der Bundespartei, Omid Nouripour, zollte Palmer Respekt für seinen Parteiaustritt, äußerte aber kein Bedauern darüber. „Es gab ja Gründe, warum wir viele Diskussionen alle miteinander hatten“, sagte er gestern im „ZDF-Morgenmagazin“. Palmers Schritt sei „respektabel, und ich wünsche ihm ein gutes Leben“.

Er sprach sich für Beugehaft von Impfgegnern aus

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann bedauerte den Austritt. „Persönlich tut es mir Leid um diesen klugen Kopf, der unsere Partei über eine sehr lange Zeit streitbar bereichert hat“, sagte er am Dienstag in Stuttgart. Er finde außerordentlich schmerzlich, was da passiert sei.

Der Tübinger Bundestagsabgeordnete Chris Kühn bezeichnete Palmers Parteiaustritt als konsequenten Schritt. Palmer habe sich besonders seit 2015 inhaltlich und programmatisch weit von der Partei entfernt. So schrieb Palmer 2018 auf Twitter über die Folgen von Flüchtlingsaufnahme und illegaler Migration auf Twitter: „Flüchtlinge machen Deutsche zu Schutzsuchenden.“

In der Corona-Pandemie polarisierte Palmer mit extremen Auffassungen. „Ich sage es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr wegen ihres Alters oder wegen schwerer Vorerkrankungen sowieso tot wären“, meinte er Ende April 2020, so die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Später war er ein Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht. Für Impfgegner brachte er Beugehaft und Rentenkürzungen ins Gespräch, berichtete die „Frankfurter Rundschau“ im Dezember 2021.

Palmer selbst meldete sich auf Facebook zu Wort. Dort postete er ein Bild von neugepflanzten Bäumen auf dem Mittelstreifen einer Straße. „An solchen Entwicklungen freue ich mich“, schrieb Palmer. Daran werde er auch weiter arbeiten. „Nächstes Jahr wollen wir mindestens 100 neue Straßenbaumstandorte einrichten“, schrieb er. Er verabschiede sich „bis auf weiteres“ in eine Auszeit. Auf seinem Facebook-Profil veröffentlichte er ein Bild, auf dem das Wort „Auszeit“ steht. (dpa/uk)