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Rheinland-Pfalz Hochwasserkatastrophe: Querdenker und Nazis geben sich als Einsatzkräfte aus 

Die Aufbauarbeiten der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz laufen auf Hochtouren. In Bad Neuenahr-Ahrweiler nutzen mutmaßliche Reichsbürger, Antisemiten und Coronaleugner die prekäre Situation der Opfer aus und stellen sich als Retter in der Not dar.

Von Samantha Günther Aktualisiert: 21.07.2021, 11:59
"Peace" statt Polizei steht auf dem Auto, das ansonsten eine identische Lackierung hat.
"Peace" statt Polizei steht auf dem Auto, das ansonsten eine identische Lackierung hat. Foto: Video-Screenshot Twitter: https://twitter.com/Eifelralf

Bad Neuenahr-Ahrweiler/Koblenz - Die Hochwasser-Schäden in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind gigantisch - die Zahlen der betroffenen Einwohner unbegreiflich. Alleine im Kreis Ahrweiler sei die Zahl der Todesopfer der Flutkatastrophe auf 122 gestiegen, sagte ein Polizeisprecher am Dienstag in Koblenz. Die Zahl der Verletzten liege nun bei 763. Noch immer werden 155 Menschen vermisst, sagte der Sprecher weiter.

Während die Vermisstensuche und Aufräumungsarbeiten auf Hochtouren laufen, macht erneut die "Querdenker"- und Verschwörungsideologen-Szene auf sich aufmerksam. Sie machen Werbung, bitten um Schenkungen und Spenden für Katastrophenopfer - und machen erneut Gebrauch von Fake-News.

So warnte die Koblenzer Polizei am Dienstag auf Twitter vor falschen Durchsagen im Katastrophengebiet im Norden von Rheinland-Pfalz. "Fahrzeuge mit Lautsprechern, die polizeilichen Einsatzfahrzeugen ähneln, sind im Katastrophengebiet unterwegs". "Peace" statt Polizei steht auf dem Auto, das ansonsten eine identische Lackierung hat.

"Peace Officer" verbreitet Falschinformationen

Der selbst ernannte "Peace Officer", soll über die Autolautsprecher die Falschinformation verbreiten, dass Polizei und Rettungskräfte die Anzahl der Einsatzkräfte reduziert. "Wir sind ununterbrochen da!", stellte die Polizei Koblenz am Dienstag richtig. 

"Wir sind ununterbrochen da!"

Polizei Koblenz

Die Fahrzeuge gehören laut Redaktionsnetzwerk Deutschland zu der Querdenker-Bewegung. Der Mann, der für die "Friedens- und Wahrheitsbewegung" an der Ahr im Einsatz ist, soll unter anderem behauptet haben, dass die Flutkatastrophe auch durch gezielte Wettermanipulationen ausgelöst worden sein könnte. Seine Basis hat der "Peace Officer" in der "Kommandozentrale" in der Schule, von der aus die "maskenbefreite Zone" ausgerufen wird.

Neonazis mischen sich unter den Fluthelfern

Am Montag rückte in dieser "Kommandozentrale" die echte Polizei mit einem größeren Aufgebot an. Dazu schrieben am Dienstag die Beamten auf Twitter: "Wir haben die Lage in Bezug darauf genauestens im Blick und sind mit zahlreichen Polizisten vor Ort." Wozu der Einsatz diente, sagte die Polizei auf t-online-Anfrage nicht. 

Auch Neonazis mischen sich unter die Helfer der Flutkatastrophe. So meldete sich aus der Grundschule - die sogenannte "Leitstelle"- auch der Holocaustleugner und rechtsextreme Videoblogger Nikolai Nerling gemeinsam mit einem weiteren Rechtsextremisten auf seinem Telegram-Kanal zu Wort.

Nerling kommt die Katastrophe offenbar gelegen: "Das ist großartig, weil wir damit endlich in die Selbstverantwortung kommen. Und zeigen können, dass wir diese ganzen BRD-Organisationen gar nicht brauchen", sagt er in einem der Videos. Mit zehn Mann aus Thüringen sei er am Sonntag eingetroffen, um zu helfen, so Nerling.

Familienzentrum: Kinderbetreuung von "Querdenkern"

Für Aufregung sorgte auch der Verein "Eltern stehen auf", der von Beobachtern ebenfalls mit der Querdenker-Szene in Verbindung gebracht wird. Laut SWR-Bericht wollten die Vereinsmitglieder ein Familienzentrum in einer früheren Kaserne errichten mit 50 Therapeuten, Psychologen und Seelsorgern, um von der Flut betroffene Kinder betreuen zu können. 

Für Aufregung sorgte auch der Verein "Eltern stehen auf", der von Beobachtern ebenfalls mit der Querdenker-Szene in Verbindung gebracht wird.
Für Aufregung sorgte auch der Verein "Eltern stehen auf", der von Beobachtern ebenfalls mit der Querdenker-Szene in Verbindung gebracht wird.
Archivfoto: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Das hat das rheinland-pfälzische Familienministerium inzwischen verhindert und sogar öffentlich davor gewarnt. Ein abgestimmtes Angebot für Familien in den betroffenen Gebieten sei im Aufbau. Der umstrittene Verein lehnt strikt die Coronamaßnahmen wie die Maskenpflicht und die Corona-Impfung ab.

Manche dort sind tief abgerutscht in die Verschwörungswelten von "QAnon". Laut t-online postete die "Eltern stehen auf"-Gruppe Eifel/Trier am Sonntag eine Verschwörungstheorie zur Ursache des Hochwassers auf Facebook: Es könnte dazu gedient haben, den früheren Regierungsbunker in der Stadt zu fluten, um Beweise zu vernichten.

Enorme Spendenbereitschaft in der Querdenker-Szene

Nachdem immer weniger Menschen zu Corona-Demonstrationen kommen, hat die Szene in der Flutkatastrophe ein neues Thema für sich entdeckt. Der Verschwörungstheoretiker Bodo Schiffmann sammelte zudem fast 400.000 Euro auf seinem privaten Paypal-Account ein.

Das Geld soll Opfern der Überschwemmungen zugutekommen. Laut t-online postete der 53-jährige HNO-Arzt auf seine "Telegram"-Kanal mehrere Videos aus dem Katastrophengebiet. "Ich freue mich über die Flutkatastrophe", sagt Schiffmann in einem Video. Das klinge blöd, "aber ich freue mich, weil die Menschen wieder ihre Menschlichkeit entdecken".

"Ich freue mich, weil die Menschen wieder ihre Menschlichkeit entdecken."

Bodo Schiffmann

Zwischendrin verbreitet er Posts mit Überschriften wie "Merkel wurde gewarnt und ließ über 150 Deutsche ertrinken". Gegen Schiffmann, der sich angeblich aktuell im Ausland befindet, wird derzeit wegen falscher Maskenatteste und des Verdachts der Volksverhetzung ermittelt.