Anschlag auf Stadtfest „Unschuldige getötet“: Solingen-Attentäter gesteht
Auf dem „Festival der Vielfalt“ wütete in Solingen ein Messerstecher. Kurz danach reklamiert die Terrorgruppe Islamischer Staat den Anschlag für sich. Der Strafprozess beginnt mit einem Geständnis.

Düsseldorf - Die Opfer lauschten der Live-Musik, zum Teil mit geschlossenen Augen. Einige nahmen eine Unruhe wahr, dann traf sie schon die Klinge. Im Strafprozess um den mutmaßlich islamistischen Terroranschlag von Solingen mit drei Toten hat der Angeklagte die Messerattacke gestanden. In einer Erklärung, die seine Verteidiger für ihn abgaben, räumte der Syrer Issa al H. (27) den Angriff ein, bei dem drei Menschen starben. „Ich habe schwere Schuld auf mich geladen. Drei Menschen sind durch meine Hand gestorben. (...) Ich bin bereit, das Urteil entgegenzunehmen.“ Weiter ließ er verlesen: „Ich habe Unschuldige getötet, keine Ungläubigen.“
Lediglich zum Tatvorwurf der IS-Mitgliedschaft schweige ihr Mandant, erklärten die Verteidiger. Der Strafprozess gegen den Syrer begann am Düsseldorfer Oberlandesgericht neun Monate nach der blutigen Messerattacke auf dem Solinger Stadtfest.
Bundesanwaltschaft: Suchte gezielt Kontakt zum IS
Die Bundesanwaltschaft wirft dem Angeklagten dreifachen Mord und zehnfachen versuchten Mord vor. Außerdem soll er IS-Terrorist sein und wenige Stunden vor der Tat am Abend des 23. August 2024 dem sogenannten Islamischen Staat in Videos die Treue geschworen haben. Videos davon habe er zum Teil wenige Minuten vor der Tat seinem IS-Kontaktmann geschickt.
Er habe in islamistisch-dschihadistischen Foren gezielt Kontakt zum IS gesucht, so die Bundesanwaltschaft. Bereits seit 2019 habe sich Issa al H. mit der Ideologie des Salafismus beschäftigt und die freiheitliche Lebensweise abgelehnt. Im Messengerdienst Telegram habe er den Kontakt zu führenden Mitgliedern des IS gesucht. Ideologische Operateure des IS hätten ihn dann - auch bei der Auswahl der Tatwaffe - angeleitet.
Seine völlig überraschten Opfer habe er mit einem Messer meist von hinten attackiert und mit einem gezielten Stich in den Hals verletzt. Mehrfach habe er dabei „Allahu akbar“ gerufen. Erst das letzte Opfer habe Widerstand geleistet, ihn getreten und abgewehrt. Der Angeklagte betrat den Gerichtssaal bekleidet mit einem blauen T-Shirt und hielt den Kopf auf der Anklagebank überwiegend gesenkt.
Psychiater: Angeklagter bezeichnete sich nicht als streng religiös
Der psychiatrische Gutachter berichtete, ihm habe der Syrer erzählt, dass ihn Bilder des Gaza-Konflikts von getöteten palästinensischen Kindern sehr bewegt hätten. Er habe diese Bilder auf seinem Telegram-Kanal weiterverbreitet und sei daraufhin von einem Unbekannten angeschrieben worden, der ihn aufgefordert habe, einen Anschlag in Deutschland zu begehen. Die Deutschen seien mitverantwortlich. Dieser Mann habe ihm das Gehirn gewaschen, er sei hereingelegt worden und letztlich selbst ein Opfer, habe der Angeklagte ihm erklärt.
Im Gegensatz zur Anklage führte der Psychiater aus, Issa al H. habe sich selbst nicht als streng religiös oder salafistisch bezeichnet. Er rauche, ziehe Actionfilme der Koranlektüre vor und habe schon manches Freitagsgebet verschlafen. Deutschland sei für ihn ein schönes Land. „Hier kann man ein Leben führen, wie man es möchte“, habe er gesagt. Er wäre nicht nach Deutschland geflüchtet, wenn er die Menschen hier als Ungläubige abgelehnt hätte. Nur Freunde habe er hier nicht gefunden.
Bei der Tat habe er erstmals in seinem Leben unter einer Wahrnehmungsstörung gestanden und auf der Bühne die Leichen palästinensischer Kinder gesehen, sagte der Psychiater weiter. In der Vorstellung des Angeklagten habe ein israelischer Polizist dazu gelacht - diesen habe er attackiert und sei dann in einen Wald geflüchtet. Am nächsten Tag habe er sich einer Polizeistreife gestellt.
Vom Bürgerkrieg in Syrien geprägt
Wenn es die Kinder nicht gegeben hätte und die religiöse Indoktrinierung, hätte er es nicht getan, habe der Angeklagte dem Psychiater gesagt. An weitere Tote und Verletzte könne er sich nicht erinnern. Der Angeklagte habe die Tat ihm gegenüber als Dummheit bagatellisiert, die er begangen habe, er sei hereingelegt worden.
Seine Videos, die im Prozess vorgeführt wurden, sprechen eine andere Sprache: „Ich werde Euch in Stücke reißen“, sagt er dort. Er werde „Rache nehmen für unsere Familien in Palästina. (...) Deswegen werde ich sie zerstückeln - aus Rache für ihre Massaker (...)“. In einem Chat äußerte er sich stark abfällig über Deutschland und Homosexuelle.
Der Psychiater sagte weiter, die Zeit des Angeklagten in Syrien mit sieben Geschwistern sei vom Bürgerkrieg geprägt gewesen. Er sei mit seiner Familie vertrieben worden, habe die Schule nur bis zur sechsten oder siebten Klasse besucht. Der Angeklagte habe angegeben, ein schwacher Schüler gewesen zu sein, er habe lieber Fußball gespielt. Über die Türkei und Bulgarien sei er für 6.800 Euro, die er an Schlepper gezahlt habe, nach Deutschland gekommen, sagte der Psychiater.
Prozess im Hochsicherheitstrakt
Der Prozess findet im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf statt. Sowohl Verletzte als auch Angehörige von Todesopfern des Anschlags treten als Nebenkläger auf. Insgesamt sind es zwölf Nebenkläger.
Bei den Todesopfern handelt es sich um zwei Männer (56 und 67 Jahre alt) und eine Frau (56). Acht Menschen wurden verletzt. Zwei Besucher soll der Angreifer knapp verfehlt, aber ihre Kleidung zerfetzt haben. Auch diese Attacken wertet die Bundesanwaltschaft als Mordversuche.
Einen Tag später reklamierte der IS den Anschlag für sich. Es war das erste Bekenntnis dieser Art seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016.
Ein Abschiebungsversuch
Der Anschlag hatte die politische Diskussion um Abschiebungen, das Dublin-System und die innere Sicherheit in Deutschland befeuert. Sicherheitspakete wurden geschnürt und verabschiedet. Ein Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag befasst sich derzeit unter anderem mit der Frage, warum die Abschiebung des späteren mutmaßlichen Attentäters scheiterte.
Das Düsseldorfer Oberlandesgericht hat bis zum 24. September 22 Verhandlungstage angesetzt.
Philipp Müller, der Mitorganisator des Stadtfestes, plant unterdessen ein neues Fest, das fast ein Jahr nach dem Anschlag in Solingen gefeiert werden soll. „Damit soll dieser Attentäter wissen: In dieser Situation hat er nicht gewonnen.“