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Regierungsbildung Vom Kanzleramt auf die Hinterbank

Er wollte aus der Ampel ein Projekt für mehr als eine Wahlperiode machen. Nicht mal eine hat er geschafft. Was bleibt nach 1.245 Tagen vom neunten Bundeskanzler? Und was wird nun aus Olaf Scholz?

Von Michael Fischer, dpa 04.05.2025, 08:10
Am 6. Mai sagt Scholz „Tschüss“, wie man in seiner Heimat Hamburg sagt.
Am 6. Mai sagt Scholz „Tschüss“, wie man in seiner Heimat Hamburg sagt. Michael Kappeler/dpa

Berlin - Seine Entlassungsurkunde hat Olaf Scholz schon. Vor sechs Wochen, nach der Konstituierung des neuen Bundestags, bekam er sie von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ausgehändigt und ist seitdem nur noch geschäftsführender Bundeskanzler. Seine Amtszeit endet aber erst am kommenden Dienstag - jedenfalls, wenn nichts mehr dazwischenkommt. 

Sollte CDU-Chef Friedrich Merz dann wie erwartet vom Bundestag zu seinem Nachfolger gewählt werden, war's das für Scholz. 1.245 volle Tage wird er dann im Amt gewesen sein. Nur zwei seiner acht Vorgänger kamen auf eine kürzere Zeit: Ludwig Erhard (1963 bis 1966) mit 1.142 Tagen und Kurt Georg Kiesinger (1966 bis 1969) mit 1.055. 

Was bleibt: Zeitenwende und Ampel-Krach

Was von Scholz' Kanzlerschaft bleibt, werden nach seinem Abtritt die Historiker unter sich klären. Langfristig erinnern wird man sich auf jeden Fall an seine Zeitenwende-Rede im Bundestag vier Tage nach der russischen Invasion in der Ukraine. Scholz brach damals mit dem Tabu, keine Waffen in laufende Kriege zu liefern und setzte ein 100 Milliarden schweres Sondervermögen für die Bundeswehr auf - ein historischer Moment, der das Land verändert hat.

Bleiben wird aber auch, dass das Experiment der ersten Ampel-Koalition auf Bundesebene aus SPD, FDP und Grünen krachend gescheitert ist. Scholz wollte daraus ein Projekt für mehr als eine Legislaturperiode machen. Die Ampel zerbrach jedoch, bevor sie drei Jahre alt wurde - an endlosen Streitereien vor allem über die Finanzen.

 

Was es zum Abschied gibt: „Respect“ und die Beatles 

In den letzten Wochen hat man von Scholz nicht mehr viel gehört. Zwei Abschiedsreisen nach Warschau und Paris gab es, die letzte Kabinettssitzung mit einer Rentenerhöhung als Schlusspunkt seiner Regierungszeit. Der letzte Arbeitstermin des Kanzlers ist am Montag eine Podiumsdiskussion mit Schülerinnen und Schülern über Europa an einem Gymnasium in Eichwalde bei Berlin, bevor ihn die Bundeswehr am Abend mit einem Großen Zapfenstreich verabschiedet. 

„Respect“ von Aretha Franklin hat er sich dafür vom Stabsmusikkorps gewünscht. Respekt war das zentrale Schlagwort in seinem erfolgreichen Wahlkampf 2021. Auch „In my Life“ von den Beatles ist auf Scholz' Playlist. Von den Beatles sei seine erste Platte gewesen, hat er mal in einem Interview verraten, und zwar „Let it be“.

Was wird: Direkt gewählter Abgeordneter 

„Lass es sein“ hätte aber nicht so gut zu seinem Abschied gepasst, denn so ganz will Scholz dann doch noch nicht Schluss machen mit der Politik. Er wird vom Kanzleramt auf die Hinterbank des Bundestags wechseln und will dort als direkt gewählter Abgeordneter in seinem Wahlkreis Potsdam auch die ganze Legislaturperiode bleiben. „Das höchste Amt, in das man in Deutschland direkt gewählt werden kann, ist das des Abgeordneten im Deutschen Bundestag“, hat er schon vor der Wahl als Begründung gesagt.

Ungewöhnlich ist das nicht, die meisten seiner Vorgänger haben das auch so gehandhabt. Willy Brandt (SPD) war nach seinem Rücktritt 1974 sogar noch 18 Jahre bis zu seinem Tod 1992 im Bundestag und eröffnete das Parlament dreimal als Alterspräsident. Zuletzt blieb Helmut Kohl (CDU) nach seiner Wahlniederlage 1998 trotz Spendenaffäre volle vier Jahre im Bundestag. Sein Nachfolger Gerhard Schröder (SPD) heuerte dagegen als Lobbyist bei der russischen Energiewirtschaft an. Und Angela Merkel (CDU) trat 2021 gar nicht mehr für den Bundestag an.

Was sonst noch geht: Laufen und Rudern

Welchen Fachausschüssen Scholz angehören wird und wie oft es ihn noch ans Rednerpult zieht, wird man sehen. Ob er von der Hinterbank des Bundestags nach interessanten Nebenjobs Ausschau hält, ist ebenfalls ungewiss. Scholz hat mal gesagt, er sei Anwalt für Arbeitsrecht geworden, „weil ich finde, dass Arbeit unser Leben ausmacht“. Rente mit 66 kommt für einen wie ihn jedenfalls nicht in Frage. 

Auf ein bisschen mehr Freizeit freut er sich aber schon. „Ausschlafen würde ich gerne öfter“, hat er im „Zeit“-Podcast „Alles gesagt?“ auf eine Frage nach der Zeit danach verraten. Scholz läuft und rudert gerne, ab und zu schaut er sich ein Konzert an, eher selten geht er ins Kino oder ins Theater. 

Warum Scholz ins Kanzleramt zurückkehrt 

Seine Leidenschaft sind Bücher. Zeit hätte er nun zum Beispiel für die etwa 700-seitigen Memoiren, die seine Vorgängerin Angela Merkel (CDU) ihm zugeschickt hat - falls er sie inzwischen nicht schon gelesen hat. Dass er das fest vorhat, hatte er vor einiger Zeit mal im Podcast „Das Scholz-Update“ verraten. „Weil ich sie mag, und wir auch gut miteinander zusammengearbeitet haben.“

Scholz ist mit Merkel während seiner Kanzlerschaft im Gespräch geblieben. Gut möglich, dass er sich jetzt öfter mal mit ihr trifft. Die beiden verbindet, dass sie sich ganz und gar nicht mit dem künftigen Kanzler Friedrich Merz (CDU) verstehen. Eine gute Grundlage für lebhafte Gespräche. 

Die beiden haben noch etwas gemeinsam. Sie werden in absehbarer Zeit ins Kanzleramt zurückkehren. Aber nur als Gemälde in die Porträtgalerie im ersten Stock der Regierungszentrale. Merkel hat dieses Projekt in den letzten Jahren schleifen lassen, will aber noch in diesem Jahr liefern. Scholz hat auch schon einen Künstler im Blick, aber noch nicht verraten wen.

Wie er in die Geschichte eingehen will: „Man hat sich bemüht“

Und wie will Scholz selbst in Erinnerung bleiben? Was sollte in den Geschichtsbüchern über ihn stehen? „Es gibt dazu keinen besseren Satz als den, von dem Willy Brandt mal sagte, dass er ihn gerne auf seinem Grabstein lesen wollte“, sagte er im Januar auf diese Frage in einem „Stern“-Interview. Der Satz laute: „Man hat sich bemüht.“