Bundesgerichtshof prüft Wann Hersteller für mögliche Corona-Impfschäden haften
Kopfschmerzen, Fieber - Hörverlust? Wenn nach einer Corona-Impfung Gesundheitsschäden auftreten, fordern Betroffene oft vor Gericht eine Entschädigung. Aber wann haften die Hersteller?

Karlsruhe - Im Laufe der Corona-Pandemie wurden in Deutschland fast 200 Millionen Impfungen zum Schutz gegen das Virus verabreicht. Für die Allermeisten verlief das ohne anhaltende Probleme, doch einige Menschen berichteten nach der Impfung von gesundheitlichen Schäden. Vor Gericht verlangen sie teils Entschädigung und Auskunft von den Impfstoffherstellern. Der Bundesgerichtshof (BGH) prüft anhand eines Falls, wann solche Ansprüche bestehen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Verhandlung:
Wann spricht man von einem Impfschaden?
Ein Impfschaden liegt laut Bundesgesundheitsministerium dann vor, wenn eine Person durch eine Schutzimpfung eine Gesundheitsschädigung erleidet, die über übliche Impfreaktionen wie zum Beispiel kurzfristiges Fieber oder Schmerzen an der Einstichstelle hinausgeht. Ob im konkreten Fall eine Schädigung tatsächlich durch die Impfung verursacht wurde und damit grundsätzlich ein Anspruch auf Entschädigung besteht, entscheidet die dafür zuständige Behörde des jeweiligen Bundeslandes.
Wie viele Menschen sind von Corona-Impfschäden betroffen?
Wie viele Menschen von der Covid-19-Impfung tatsächlich Schäden erlitten haben, ist schwer zu sagen. Dem Paul-Ehrlich-Institut wurden von Ende 2020 bis Ende 2024 rund 350.000 Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen gemeldet. Damit lag die Rate bei 1,78 Meldungen pro 1.000 Impfdosen. Für schwerwiegende Nebenwirkungen waren es 0,32 Meldung pro 1.000 Impfdosen.
Diese Verdachtsfälle seien „unerwünschte Reaktionen, die in zeitlicher Nähe zu einer Impfung aufgetreten sind, jedoch nicht notwendigerweise durch den Impfstoff ausgelöst wurden“, betont das Institut. Es handele sich weder um bestätigte Nebenwirkungen noch um Impfschäden.
Wer klagt in Karlsruhe?
Der BGH beschäftigt sich mit der Klage von Pia Aksoy, die im März 2021 mit dem Impfstoff Vaxzevria des Herstellers Astrazeneca geimpft wurde. Kurz darauf wurden bei ihr verschiedene Gesundheitsschäden festgestellt. Unter anderem kann sie seitdem auf einem Ohr nicht mehr hören. „Ich bin mir einfach total sicher, dass die Impfung die Ursache war“, erklärte sie in Karlsruhe. Die Berufsgenossenschaft habe den Impfschaden auch anerkannt. Von Astrazeneca verlangt Aksoy vor Gericht Schadenersatz sowie Auskunft, etwa zu bekannten Wirkungen und Nebenwirkungen der Impfung.
Wann haften Impfstoffhersteller für Schäden?
Hersteller können nach dem Arzneimittelgesetz grundsätzlich verpflichtet sein, bei Impfschäden den entstandenen Schaden zu ersetzen. Das gilt aber nur, wenn der Impfstoff bei sachgerechter Anwendung schädliche Wirkungen zeigt, die über ein nach wissenschaftlichen Erkenntnissen vertretbares Maß hinausgehen – wenn also das Risiko der Impfung größer ist, als ihr Nutzen – oder, wenn der Schaden darauf beruht, dass die Fachinformationen nicht den damaligen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprachen.
Wann haben Betroffene Anspruch auf Auskunft?
Wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Impfstoff den Schaden verursacht hat, kann der Geschädigte vom Hersteller Auskunft verlangen. Das gilt aber wiederum nur, wenn die Auskunft notwendig ist, um festzustellen, ob ein Anspruch auf Schadenersatz besteht. Der Anspruch richtet sich auf dem Unternehmen bekannte Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie Verdachtsfälle und sämtliche weitere Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen wichtig sein können.
Was heißt das für die Klage gegen Astrazeneca?
Die Klage, um die es nun in Karlsruhe geht, hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz habe darauf verwiesen, dass der Impfstoff von Astrazeneca laut der Europäischen Arzneimittelagentur ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis aufgewiesen habe, sagt Rudolf Ratzel, Fachanwalt für Medizinrecht. Auch zahlreiche andere deutsche Gerichte hätten einen Haftungsanspruch des Herstellers mit dieser Begründung abgelehnt.
Das Argument der Klägerin, die Fachinformation sei unzureichend gewesen, überzeugte das OLG auch nicht. „Die Besonderheit dieses Verfahrens ist, dass Astrazeneca 2024 selbst die Zulassung zurückgegeben hat“, sagt Ratzel. „Das OLG hat aber gesagt, es komme nicht auf den Zeitpunkt des Widerrufs der Zulassung durch den Hersteller an, sondern auf den der Impfung.“
Was sagt der BGH dazu?
In der vorläufigen Einschätzung des zuständigen sechsten Zivilsenats wurde deutlich, dass die Karlsruher Richterinnen und Richter der Vorinstanz in einigen Punkten wohl nicht zustimmen. Womöglich könnte das OLG etwa zu Unrecht davon ausgegangen sein, dass der Klägerin kein Anspruch auf Auskunft zustehe, sagte der Vorsitzende Richter, Stephan Seiters. Die Anforderungen hierfür dürften nicht zu hoch angesetzt werden, mahnte er. Wichtig sei, dass ein Zusammenhang zwischen Impfung und Schaden plausibel scheine.
Wenn der Auskunftsanspruch vom OLG womöglich fälschlicherweise verneint wurde, könnte wohl allein deshalb auch die Begründung, mit der ein Anspruch auf Schadenersatz abgelehnt wurde, der Prüfung des BGH nicht standhalten. Der Senat stellte zudem in den Raum, es könnte für eine abschließende Bewertung des Falls vielleicht eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nötig sein. Eine Entscheidung soll am 9. März fallen.
Und was ist, wenn der BGH anders entscheidet als das OLG?
Womöglich könnte die Haftung der Hersteller aber auch dann ausgeschlossen sein, wenn der BGH doch ein negatives Nutzen-Kosten-Verhältnis sieht, erklärt Rechtsanwalt Ratzel weiter. Denn es gebe noch eine wichtige Regelung in der sogenannten „Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungs-Verordnung“. Danach seien Ansprüche gegen Pharmaunternehmen ausgeschlossen, wenn das Bundesministerium für Gesundheit Arzneimittel als Reaktion auf die Verbreitung des Corona-Virus beschafft und in den Verkehr bringt. In Gerichtsentscheidungen hätte die Verordnung bisher aber keine Rolle gespielt.
Müssen Ärztinnen und Ärzte für Impfschäden haften?
Mit dieser Frage hat sich der BGH erst im Oktober beschäftigt und entschieden: Nein, die impfenden Ärztinnen und Ärzte müssen jedenfalls nicht persönlich für mögliche Corona-Impfschäden vor Gericht einstehen. Die Verantwortung für etwaige Aufklärungs- oder Behandlungsfehler bei einer bis April 2023 vorgenommenen Corona-Schutzimpfung treffe grundsätzlich den Staat. Entsprechende Klagen von Geschädigten müssten sich demnach gegen Bund oder Länder richten, nicht aber gegen die Ärzte. (Az. III ZR 180/24)