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Linke Warum Linken-Ikone Wagenknecht von der eigenen Partei angegriffen wird

Das neue Buch der ehemaligen Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht: „Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt.“ sorgt für viel Zündstoff.

Von Markus Decker Aktualisiert: 17:01
Sahra Wagenknecht
Sahra Wagenknecht  hat ein neues Buch geschrieben. Foto: dpa

Magdeburg/Wittenberg. Der aus Wittenberg in Sachsen-Anhalt kommende Bundesgeschäftsführer der Linken wurde am Freitag deutlich. Es sei nicht zielführend, „Menschen, die sich gemeinsam mit uns für eine bessere Gesellschaft einsetzen, Vorwürfe zu machen und sie so vor den Kopf zu stoßen“, sagte Jörg Schindler. Er meinte das neue Buch der ehemaligen Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht: „Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt.“

Denn obwohl das Buch erst an diesem Mittwoch erscheint und erst ab dann offiziell daraus zitiert werden darf, sorgt es bereits seit voriger Woche für erheblichen Ärger. Seitdem kursieren Passagen des 345-Seiten-Werkes in den digitalen Netzwerken. So beklagt die 51-Jährige, dass Linke sich gegen die Diskriminierung von Migranten oder sexuellen Minderheiten wendeten, statt für sozial Schwache zu kämpfen. Für sinkende Löhne macht sie Migration verantwortlich. Auch wendet sich Wagenknecht gegen Klimaaktivisten wie „Fridays for Future“ und schreibt über den ehemaligen Vorsitzenden Bernd Riexinger, dieser sei eigentlich schon vergessen. Das macht böses Blut.

Wagenknecht polarisiert seit Beginn ihrer Karriere

Dies hat zunächst mit Wagenknecht als Person zu tun. Sie polarisiert seit Beginn ihrer Karriere. Das war so, sie noch Mitglied der Kommunistischen Plattform war. Und das war so, als sie später zur Fraktionsvorsitzenden aufstieg, diesmal jedoch aus anderen Gründen. Wagenknecht hat nämlich je länger, desto mehr Positionen bezogen, die Kritiker für national, ja nationalistisch halten. So wandte sich die in Jena geborene, in Berlin aufgewachsene und heute mit ihrem Mann Oskar Lafontaine im Saarland lebende Tochter einer Deutschen und eines Iraners gegen die Euro-Rettungspolitik und gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Im neuen Buch geht Wagenknecht einen Schritt weiter, indem sie ihrerseits jene angreift, die andere Positionen beziehen. Nicht wenige halten das Tischtuch jetzt für endgültig zerschnitten. Um Lafontaine hatte es übrigens ähnliche Kontroversen gegeben.

Hinzu kommt, dass die Frage, die Wagenknecht berührt, auch in anderen linken Parteien Konflikte auslöst – so zuletzt bei der SPD. Die Frage ist, welche Bedeutung der Kampf gegen die Diskriminierung von Migranten, Frauen oder sexuellen Minderheiten für Linke haben soll. Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) findet, dieser Kampf werde überbetont. Wagenknecht ist derselben Meinung, heizt den Streit allerdings noch zusätzlich an, in dem sie sagt, dieses Thema stelle das Anliegen in den Schatten, um das es eigentlich gehen solle: soziale Gerechtigkeit für die einheimische Durchschnittsbevölkerung. Die Linke schaffe also in Wahrheiten neue Ungerechtigkeiten. Die Zuspitzung hat Folgen.

Als am Wochenende die nordrhein-westfälische Landesliste für die Bundestagswahl bestimmt wurde und die in Düsseldorf-Süd kandidierende Wagenknecht auf Platz eins gewählt werden sollte, stellten sich ihr zwei Gegenkandidatinnen in den Weg. Zwar wurde Wagenknecht am Ende gewählt – aber nur mit 61 Prozent der Stimmen. Das war zweifellos ein Dämpfer.

Die neuen Vorsitzenden der Linken, Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow, gingen ebenfalls auf Distanz. „Für uns gehört der Kampf für soziale Gerechtigkeit, gegen Rassismus, gegen alle Formen der Ausgrenzung zusammen“, sagte Wissler am Montag. „Solidarität ist unteilbar für uns.“ Jeder, der für die Linke kandidiere, müsse die Programmatik der Partei vertreten können. Hennig-Wellsow erklärte, Ziel der Linken sei, Menschen Geborgenheit und Halt zu geben, man wolle „nicht weiter spalten“. Auf die Frage, ob Wagenknecht Teil eines Spitzenteams für die Bundestagswahl sein solle, wie es Linken-Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte gefordert hatte, antwortete Wissler: „Sahra Wagenknecht hat ja gesagt, dass sie sich sehr stark auf den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen konzentrieren möchte.“ Von daher sei „ihr Platz in Nordrhein-Westfalen“. In Klartext übersetzt bedeutet die Antwort: Nein, sie soll nichts ins Spitzenteam.

Der linke Bundestagsabgeordnete Niema Movassat beließ es nicht bei einer sanften Distanzierung. Er nannte das Buch „unerträglich“. Die Landtagsabgeordnete Henriette Quade aus Sachsen-Anhalt warf Wagenknecht vor, „der Partei immer wieder in den Rücken zu fallen, aber sich als Opfer zu inszenieren“. Die Linksjugend in Oberhausen ließ wissen, sie sei nach den jüngsten Aussagen „nicht mehr tragbar“.

Hinter den Kulissen heißt es unterdessen, wer Zitate aus dem Buch vorzeitig – und womöglich widerrechtlich – veröffentliche, der mache es ja erst richtig bekannt. Ohnehin hätten die Kritiker ihr Ziel ja augenscheinlich verfehlt. Denn Wagenknecht habe Platz eins der Landesliste an Rhein und Ruhr, die ihr einen Wiedereinzug in den Bundestag praktisch garantiert, trotzdem erklommen. Soll heißen: Die Kritiker haben sich selbst ins Knie geschossen.

In der Linken dürfte die Schlacht jedenfalls fürs Erste geschlagen sein, in der Öffentlichkeit aber womöglich noch nicht. Wagenknecht wird jetzt auf die Talkshows setzen, deren Tore ihr schon immer weit offen standen.