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Hinter den Kulissen Drei Haselnüsse für James Bond

Ist das die irdische Außenstelle einer abgedrehten Parallelwelt? Ein total schräges, quietschbuntes Kaufhaus, in dem man überhaupt nichts kaufen kann? Und das obwohl bis unter die Decke alles vollgestopft ist mit Klamotten…

Von Axel Ehrlich Aktualisiert: 10.04.2023, 18:02
Auf dem riesigen Studiogelände befindet sich auch ein komplettes Mittelalter-Dorf aus Holz, Pappe und Styropor.
Auf dem riesigen Studiogelände befindet sich auch ein komplettes Mittelalter-Dorf aus Holz, Pappe und Styropor. Foto: Barrandov Filmstudios

Wir befinden uns in Europas wohl größtem Kostümfundus und machen dabei mit wenigen Schritten eine komplette Zeitreise. Es ist der einzige Kostümfundus, der alle Epochen vom Mittelalter bis heute abbildet. 350000 Kleidungsstücke – von Hüten über Uniformen bis hin zu prächtigen Barock-Kleidern. Zusammen mit jeder Menge Möbeln, Lampen und sonstigen Einrichtungsgegenständen sind weit über eine halbe Million Schätze im Fundus. Dazu später mehr.

Filmstudios Barrandov, hoch über der mit Geschichte und Geschichten übervollen tschechischen Hauptstadt. Gerade mal eine knapp halbstündige Metro-/Stadtbusreise vom Touri-Trubel um Burg und Karlsbrücke entfernt. Auf dem Gipfel des Barrandov-Hügels im südwestlichen Teil von Prag entstanden ab 1931 die modernsten Filmstudios der Welt. Gründer waren die Brüder Vaclav und Milos Havel. Aus ihrer Familie stammte auch der berühmte Dissident und spätere tschechischen Präsident Vaclav Havel.

Vielleicht auch ein bisschen wegen der Hügellage (prachtvoller Blick über die Moldau bis zum historischen Berg Vysehrad, zur Altstadt mit ihren Türmen und roten Dächern) werden die Barrandov-Studios „Hollywood des Ostens“ genannt. Aber eigentlich ist der Begriff eher ein Synonym für die florierende Filmindustrie hier oben: In elf Ateliers und auf knapp einem Hektar Studio- und Außenfläche wurden bislang weit über 5000 Filme gedreht. Und was für welche.

„Ich habe in praktisch allen Studios der Welt gedreht oder sie zumindest besucht und ich denke, das hier ist das feinste“, sagt Star-Regisseur Roman Polanski. Für seinen Film „Oliver Twist“ wurde in Barrandov das London des 19. Jahrhunderts nachgebaut.

Name-Dropping allerhöchster Klasse: Milos Forman (nach ihm ist auf dem Ateliergelände eine Straße benannt) drehte hier 1983 den Oscar-Erfolg „Amadeus“. Brian de Palma verfilmte 1996 „Mission Impossible“ mit Tom Cruise. 2006 entstand in Barrandov der James-Bond-Streifen „Casino Royale“ mit Daniel Craig. Einen Oscar und einen Golden Globe heimste der 1996 von Jan Sverak gedrehte tschechische Film „Kolya“ ein.

Wir alle erinnern uns an die Lieblings-Fernsehserien unserer Kindheit: „Pan Tau“, „Die Besucher“, „Luzie, Schrecken der Straße“. Alles made in Barrandov.

Eintritt in die abgedrehte Parallelwelt stilecht durch das Hauptgebäude im bauhausigen Industriestil. Auf dem Dach weht die tschechische Fahne, links davon die US-Flagge, rechts die britische und deutsche.

Durch eine fette, schalldichte Stahltür werfen wir einen Blick in das älteste Studio – es hat die Nummer 1 und ist locker so groß wie eine Sporthalle. Es riecht nach Holz und Kleber. Handwerker bauen gerade die Kulissen – Sandsteinsäulen aus Styropor für eine dänische Produktion. Am anderen Ende öffnet sich gerade ein riesiges Rolltor. Lkws bringen weiteres Material für noch mehr Sandsteinsäulen.

Die insgesamt elf Studios sind gut gebucht. Was im Innern vorgeht, ist in der Regel streng geheim. Damit keine Details von Filmen, Effekten oder der Handlung unkontrolliert nach außen gelangen.

Kenner aus der Branche rühmen Barrandov wegen seiner unschlagbaren Handwerker: Kulissen-Fachleute, Spezialeffekt-Experten, Kostümschneider. Und wegen der Ausstattung: Unter dem verschiebbaren Boden im neuesten der Studios kann bei Bedarf ein riesiger Pool mit Wasser gefüllt werden – hier lassen sich wunderbar historische Seeschlachten inszenieren. Um die Ecke bietet sich ein Freigelände an, das bevorzugt für Ritter-Kampfszenen genutzt wird. Und ein französisches Mittelalterdorf, in dem gerade blutige Dracula-Szenen gedreht werden.

Wenn das alles nicht reicht, geht es raus aus dem Studiogelände. In die Prager Innenstadt zum Beispiel. Hier wurden zahlreiche Szenen zu „Mission Impossible“ gedreht. Für den James-Bond-Thriller „Casino Royale“ wurde zusätzlich noch die Altstadt von Karlsbad zur Kulisse.

Schon mal was von der Serie „Die Liebenden aus Prag“ gehört? Kennt in Europa eigentlich niemand. Das Format des koreanischen Fernsehens wurde, natürlich, in den Barrandov-Studios sowie in der City von Prag gedreht und in Südkorea ein Mega-Erfolg. Seitdem kommen Heerscharen von koreanischen Touristen in die tschechische Metropole. Der britische Regisseur Ridley Scott („Alien“, „Bladerunner“) ließ für seinen Film „Child 44“, der 2013 zu großen Teilen in Prag gedreht wurde, sogar die U-Bahn anhalten.

Schnell zurück zum Fundus. Erste Etage, Damenabteilung. Es knistert und raschelt bei den Hochzeitskleidern, allein die Schuhe füllen mehrere hundert Regalmeter. Alles elektronisch katalogisiert und akribisch nach Epochen geordnet.

Direkt nebenan das sporthallengroße Möbellager. Unmengen von Kommoden, samtgepolsterten Sofas und Stühlen, Biedermeiersekretären oder Spanplatten-Schrankwänden im 80er-Jahre-DDR-Barock.

Eine Etage darüber gibt es alles für Männer. Viele Anzüge, ganze Regale voller Melonen oder Zylinder. Aber auch ein Kuh-Kostüm (warum ausgerechnet in der Herrenabteilung kann uns aber niemand schlüssig erklären) und diverse Roboter.

Gerade kommt eine Mitarbeiterin mit einem Schwung Krachlederner um die Ecke, vermutlich für den nächsten Lederhosenfilm. Kaufen kann man hier wie gesagt nichts. Aber (fast alles) ausleihen. Per Online Katalog (www.barrandov-fundus.cz) vorbestellen, Kaution und Leihgebühr hinterlegen.

Bevor wir das Hollywood des Ostens verlassen, um den Kulissen-Staub in der nächsten Eckkneipe mit einem zischigen Staropramen runterzuspülen, noch ein Blick ins hauseigene kleine Museum. Hier gibt es einen flotten Überblick über die Geschichte der Studios, einen Zeitstrahl mit vielen Fotos. Und ein paar einzigartige Ausstellungsstücke: Der Stuhl, auf dem Angelina Jolie sich in den Drehpausen bei „Wanted“ ausruhte, von ihr höchstpersönlich signiert, das Kostüm von Rolf Hoppe als König bei „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Gleich daneben der tapetenbahngroße Drehplan, auf dem detailliert alle Einstellungen und Szenen aufgelistet sind. Und natürlich als Highlight das Kleid von Libuse Safrankova, der Prinzessin aus „Drei Haselnüsse“. Das Kostüm ist so berühmt, dass es zum Nationalen Kulturerbe erklärt wurde. Und gelegentlich für Ausstellungen anderswo verliehen wird.

Hoch über Prag thront auf dem Barrandov-Hügel der Studio-Komplex. Im Vordergrund das historische Hauptgebäude aus den frühen 30er-Jahren.
Hoch über Prag thront auf dem Barrandov-Hügel der Studio-Komplex. Im Vordergrund das historische Hauptgebäude aus den frühen 30er-Jahren.
Foto: Barrandov Filmstudios
Weihnachtsklassiker im TV – natürlich made in Barrandov. Libuse Safrankova und Pavel Travnicek in „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“.
Weihnachtsklassiker im TV – natürlich made in Barrandov. Libuse Safrankova und Pavel Travnicek in „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“.
Fotos (3): dpa
Kinohit „Casino Royale“ führte den bekanntesten Geheimagenten der Welt,  James Bond, nach Prag. Schauspieler Daniel Craig war jedenfalls begeistert.
Kinohit „Casino Royale“ führte den bekanntesten Geheimagenten der Welt, James Bond, nach Prag. Schauspieler Daniel Craig war jedenfalls begeistert.
picture-alliance/ dpa
Mit seiner magischen Melone konnte Pan Tau so ziemlich jeden Wunsch erfüllen. Das galt jedoch nur für Kinder.
Mit seiner magischen Melone konnte Pan Tau so ziemlich jeden Wunsch erfüllen. Das galt jedoch nur für Kinder.
picture alliance / Heinz Wieseler/dpa
Eine Mitarbeiterin präsentiert ein paar schicke Barockkleider aus dem riesigen Kostümfundus der Barrandov-Studios.
Eine Mitarbeiterin präsentiert ein paar schicke Barockkleider aus dem riesigen Kostümfundus der Barrandov-Studios.
Foto: Axel Ehrlich